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Die Zeit, 24.12.91   Norbert Grob, Märchen des Alltags
Frankfurter Rundschau, 28.12.91   Karsten Witte, ...und der Zukunft zugewandt
Tip, 19.12.91   Christoph Terhechte, Grosse Liebe in Kleinmachnow
Der Tagesspiegel, 19.12.91   Volker Baer, Eine deutsche Liebesgeschichte
Süddeutsche Zeitung, 16.12.91   Hans Schifferle, Spielplatz der Sehnsucht



MÄRCHEN DES ALLTAGS
Rudolf Thomes "Liebe auf den ersten Blick"

Norbert Grob
Die Zeit
24.12.91
Die arrivierten Filmemacher hierzulande, überwiegend "psychologische Realisten" fürs sozialdemokratische Gemüt, retten sich momentan ins Laute und Übergroße: in die anerkannte Literatur (wie Volker Schlöndorff), die politische Tragödie (wie Reinhard Hauff) oder das grelle Medienspektakel (wie Alexander Kluge). Natürlich ist das junge Deutsche Kino schon lange in die Jahre gekommen. Aber muß es so altbacken vor sich hindümpeln wie im Moment? Das soll wirklich alles gewesen sein?

Als Ende der fünfziger Jahre ein paar Franzosen anfingen, das Kino zu revolutionieren, ging es ihnen vor allem um einen neuen, persönlicheren Blick auf die Welt. Ihre Auflehnung galt der "Tradition der Qualität": Filmen voller Talent und Geschmack, ordentlich geschrieben, ordentlich ausgestattet, ordentlich inszeniert - "brillant, aber formlos". Ein "nutzloses Mühewalten" sahen sie darin, "das auf der Leinwand doch zu nichts weiter führt als ausgeklügelten Einstellungen, komplizierten Beleuchtungseffekten, geleckten Photos". Truffauts Fazit, das nach vierzig Jahren noch stimmt, klingt so, als sei es gegen unser heutiges "Kino der Qualität" geschrieben.

Menschen vor unseren Augen sich zeigen lassen, so wie sie sind: Darin lag das Neue, Revolutionäre der Nouvelle vague. "Die Skizze wahrer, detaillierter als das Detail und die genaueste Kopie, die Ausführung wahrer als die Komposition.” Jacques Rivette)

Rudolf Thome ist hierzulande einer der wenigen, die diesem Prinzip bis heute huldigen. Er arbeitet gegen Lack und Glamour, auch wenn seine Geschichten gelegentlich ins Schweben kommen. Das rührt vor allem daher, daß er das Verhalten seiner Helden mit geradezu dokumentarischem Gestus einfängt. Er stellt betont künstliche Charaktere in eine betont alltägliche Umgebung und beobachtet die Folgen dann mit dem präzisen Blick des Ethnographen. Dabei interessiert ihn nur eins: wie das mit der Liebe ist, wie sie entsteht, Spannungen standhält oder ihnen erliegt, wie sie andauert oder endet.

Dennoch bleibt alles Entwurf, Skizze, Fragment. Thome weiß, er spiegelt nicht Alltägliches, auch wenn sein Film dem Alltäglichen nahe bleibt; er weiß, er arbeitet mit ausgesuchten Einstellungen, isolierten Ausschnitten. So nutzt er die Zwischenräume des Erzählens wie kein anderer hierzulande - als Leerstellen für assoziative Phantasie. Der Mut zur Skizze; die Offenheit, Unvorhergesehenes zu integrieren; und die Freiheit, mit wenig Geld vieles zu wagen - all das kommt nun zusammen: "Liebe auf den ersten Blick" ist der erste große Liebesfilm des deutschen Kinos der neunziger Jahre.

Ein Mann auf dem Fahrrad mit zwei kleinen Kindern auf dem Weg zum Spielplatz, den jungen vor sich auf der Stange, das Mädchen vorne vor dem Lenker. Er schlingert mehrmals, während er das eine Kind streichelt oder dem anderen ruhig zuspricht. Die Straßen, durch die er fährt, sind holprig, manche sind noch im Bau. Plötzlich ist auf einem Ortsschild zu lesen: Berlin. Wonach alles gediegener und gepflegter wirkt, auch grüner. Der Kommentar zur momentanen Situation in Berlin wird - wie immer bei Thome - eher nebenbei in den Bildern formuliert. Eine Fahrt von Ost nach West ist noch immer wie eine Reise in eine andere Welt.

Auf dem Spielplatz beginnt der Mann sofort, in einem Buch zu lesen. Als eine Frau sich neben ihn setzt, rückt er zur Seite. Woraufhin sie ihn beruhigt: Sie tue ihm schon nichts. Kurzer Small talk, direktes Anschauen ihrerseits, verstohlene Blicke zurück. "Störe ich Sie?” - "Nein!" Danach geht sie spielen mit den Kindern. Und lädt ihn zu Kaffee und Kuchen ein. Was ihn verblüfft und irritiert: "Ich kenne Sie doch gar nicht." Trotzdem geht er mit.

Am nächsten Tag fühlt sie sich unruhig und unbehaglich. Sie entschließt sich, ein neues Kleid zu kaufen (was Thome als innere Verwandlung stilisiert). Während er unterdessen wie ein Somnambuler durch die Straßen geht.

Was ist es, das einen Mann an einer Frau fasziniert? Oder eine Frau an einem Mann? "Das Bild des Körpers in einer Situation!” sagt Roland Barthes in seinen "Fragmenten einer Sprache der Liebe”. Rudolf Thome zeigt nun: Es ist das Bild, das sich jemand macht von der Erscheinung des anderen, ausgelöst durch eine besondere Geste, ein besonderes Detail. Als die Frau, Elsa, später den Mann beschreibt, erzählt sie von seinen Kindern, von seiner Frau, die gestorben ist, von seiner Größe, davon, daß er Zenon heiße und "wunderschöne Hände" habe. Ihre Freundin versteht sofort, worum es geht: "Wunderschöne Hände? Aha!”

Nicht die Erscheinung insgesamt ist erregend, sondern ein bestimmter Ausdruck, eine bestimmte Wendung: das Detail, das den Augenblick beherrscht. Wie Zenon seiner Tochter die Windjacke öffnet, wie er zu seinem Buch aus der Aldi-Tüte greift: Die Gesten der Hand sind es, die sich Elsas Verlangen anpassen. jenseits aller "Rücksicht auf Stil" gibt es plötzlich nur noch das schwärmerische Gefühl, nicht mehr widerstehen zu können. Es ist wie in Racines "Phädra": "Ich sah ihn, ich errötete, verblaßte / Bei seinem Anblick; meinen Geist ergriff / Unendliche Verwirrung.”

Am Abend, nachdem sie ihn "entdeckt" und "erkannt" hat, besucht sie ihn in seinem Haus. Sie fährt durch die ganze Stadt, um ihn kurz anzuschauen - wofür Thome und seine Kamerafrau Sophie Maintigneux sie mit einem irrealen Heiligenschein belohnen. Er ist überrascht und erfreut und scheu. "Ich habe schlecht geschlafen letzte Nacht” sagt sie. "Du bist mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen.” Etwas später: "Ich glaub’, ich hab' mich in dich verliebt. ja, das war’s, was ich dir sagen wollte!" Danach geht sie wieder. Er ruft ihr nach, sehr schüchtern, sehr steif: Sie könne ihn jederzeit besuchen kommen.

Ganz unaufdringlich nähern sie sich, locken einander, scheuen zurück, begegnen sich erneut. Gelegentlich ist es, als schaute man realen Menschen beim Leben zu. Alles wirkt selbstverständlich und einfach. Bedenkt man das overacting im sonstigen Deutschen Kino, das übermäßige Ausspielen, das unerträgliche Chargieren, wird klar, wie schwierig gerade dieses Einfache ist.

Über die behutsame, scheue Darstellung von Julian Benedikt und Geno Lechner gelingt die magische Beschwörung. Liebe auf den ersten Blick, das macht Thome sichtbar, ist Verzückung, Verzauberung, Gefangennahme: die Erfahrung, plötzlich hingerissen zu sein. "Liebe auf den ersten Blick ist Hypnose: ich bin von einem Bild fasziniert: zunächst erregt, elektrisiert, verwandelt, aufgewühlt, ‘betäubt’." (Roland Barthes)

Die Frauen bei Thome waren von Anfang an pure Männerphantasien, aber im radikaleren Sinn. Von Uschi Obermeier und Iris Berben in den Münchner Filmen der späten sechziger Jahre über Sabine Bach in "Berlin Chamissoplatz" (1979) bis zu Adriana Altaras in der "Liebes"-Trilogie Ende der achtziger Jahre: eine magische toughness ging von ihnen aus, eine Stärke und Entschiedenheit, die sie als Traumfiguren auswies. Gleichzeitig jedoch behielten sie viel von ihrem eigenen Witz und Charme, was sie sehr weltlich machte und erdnah. Diese doppelte Phantasie, das Weibliche als Ideal und Versprechen zugleich, ist es, die bei Thome immer aufs neue verzaubert.

In seinem neuen Film wagt Thome eine zusätzliche Steigerung: Er zeigt, wie die Frau sich verändert mit ihren Gefühlen, wie sie zu wissen beginnt, wo der Mann noch zaudert. Anfangs, auf der Bank am Spielplatz, wirkt sie in ihren Jeans und dem roten Pulli, den sie wie eine Rüstung trägt, etwas aufdringlich. Am nächsten Tag aber, als sie sich für das neue Kleid entscheidet, fällt alles Penetrante und Indiskrete von ihr ab. Wie auch alles Zögerliche. In ihrem knappen Schwarzen strahlt sie einen solchen Verführungswillen aus, daß es nur eine Frage der Zeit ist, bis Zenon jeden Widerstand aufgibt.

Von Anfang an ist klar, daß Elsa die Fäden zieht, daß sie ständig handeln muß, damit überhaupt etwas passiert. Der Mann darf noch sagen, was er zu meinen und zu tun gedenkt. Aber die Frau weiß sowieso schon, wie es enden wird. Er läßt sich Zeit mit seinen Entscheidungen, sie plant derweil die gemeinsame Zukunft: "Ich möchte ein Kind von dir.”

Elsa und Zenon werden ein Paar. Ihre Kinder stören sie dabei - und führen sie gleichzeitig auch zusammen. In der berührendsten Szene des ganzen Films, die Kinder halten gerade ihren Mittagsschlaf, sitzen die beiden ruhig nebeneinander. Elsa sagt, ihr wäre es am liebsten, wenn sie alle jetzt für immer bei ihr blieben, aber sie wisse, das sei ganz und gar nicht vernünftig. Daraufhin ergreift Zenon ihre Hand und liebkost sie, sehr zärtlich. Wonach sie seine Hand nimmt und voller Kraft zupackt. Für einen kurzen Augenblick liegt die ganze Leidenschaft der beiden in ihren Händen. Von da an ist klar, daß sie nicht anders können, als sich füreinander zu entscheiden. "Das eben ist die Wunde der Liebe: ein gierendes Klaffen' (bis zu den Wurzeln' des Seins), dem es nicht gelingt, sich zu schließen.” (Roland Barthes)


...UND DER ZUKUNFT ZUGEWANDT
Rudolf Thomes "Liebe auf den ersten Blick"

Karsten Witte
Frankfurter Rundschau
28.12.91
In der Regel bricht sie ja nicht aus, die titelgebende Gewalt, sondern baut sich widerspenstig eine Bahn aus wiederholten Blicken. Erst diese brechen die Determination des banalen Wunsches, alles sei mit einem Mal entschieden. Von wegen Schicksal, schon auf den zweiten Blick herrscht manchmal Haß. Wie zum Beispiel - glaubt man deutschen Massenblättern, die Frustrationen wie Uran ausbeuten - bei Gelegenheit der späten Hochzeit zweier Republiken in Europa.

Ein junger Vater fährt seine beiden Kleinkinder mit dem Rad zum Spielplatz. Zerstreut von der Aufmerksamkeit für seine Lektüre und der Sorge um die Spielenden, wird er auf der Parkbank angesprochen. Eine junge Frau rückt zu ihm. Ihr Kind spielt mit seinen Kindern, denen sie Appetit auf Kuchen suggeriert, um dem Vater zu helfen, ihre Einladung anzunehmen. Unter schmatzendem Kinderglück und Tellerklappern kommt es zu einer Annäherung und zu einer neu hergestellten Distanz. Sie ist dafür, die Welt zu verbessern. Er teilt diesen Wunsch. Doch er gibt zu bedenken: wenn man dazu Macht hätte, die Welt zu verbessern.

Ein Skeptiker mit einer Windbluse aus den 60er Jahren, ein Bedächtiger ohne Telefon, der nicht in der Stadt, sondern auf dem Dorf wohnt. Fünf Kilometer südlich von Berlin, erklärt er ihr zum ersten Abschied. Sie antwortet, ohne Interesse zu verlieren: "Ach so!” Damit wird dem Publikum lakonisch mitgeteilt, wie die Liebesverhältnisse liegen. Einmal in Klein-Machnow, das andere Mal in Zehlendorf-Süd. Auf dem Spielplatz trafen sich Menschen unterschiedlich deutscher Herkunft.

Sie (Geno Lechner) ist Zukunftsforscherin, er (Julian Benedikt) ist Archäologe, zur Zeit arbeitslos. Auf seiner Seite ist die Zurückhaltung, die intensive Kommunikation, der Anspruch auf Aufrichtigkeit. Ihre sozialen Werte sind dem Westen konnotiert. Sie hält es mit extensiver Kommunikation, beredet ihren Fall mit einer Freundin, deren Komplizenschaft sie wunderbar trägt. Auf ihrer Seite sind die Forschheit und der Planungswille. Fortan werden die zwei Teilfamilien nicht länger zerrissene Monaden sein, die bloß um ihren Ursprungsort kreisen. Auferstanden aus den Ruinen der Gesellschaftstheorie und der Zukunft zugewandt, werden Elsa und Zenon sich anschicken, zu den drei vorhandenen Kindern ein viertes zu produzieren. Die heilige Familie im Glanze, der von innen leuchtet?

So schnell ist das Glück der Selbstgenügsamkeit nicht zu haben. Das verschwenderische Licht täuscht, die stetig ungetrübte Harmonie blendet. Hatte Thome vor, Agnès Vardas Film "Le Bonheur" (Das Glück) für eine neue Generation im gedämpften Sarkasmus einzuüben? Wohl kaum. Denn sein Film steht nicht auf der Kippe. Er behauptet im Changieren keine kritische Position, noch überzogene Ironie. "Liebe auf den ersten Blick" hat sich entschieden für eine Ästhetik der Gradlinigkeit. Die dramaturgische Raffinesse liegt im Aufschub. Die Spannung erwächst aus der Konfliktvermeidung.

Kann man Heiratspläne schmieden, ohne den erwählten Partner zu fragen? Frau kann, wenn sie einen reichen Vater (Hans Michael Rehberg) mit roten Rosen um Kredit angeht. Beim Ausflug an die Ostsee, wo die nähergerückten Teilfamilien schon das gleiche Hemd mit dem jeweiligen Namenszug: also Zusammengehörigkeit zur Schau tragen, hat der verlegene Witwer den unverschämten Mut, vor der schäumenden Brandung ein Kästchen mit Verlobungsringen hervorzuzaubern.

Das Kleingeld der Konflikttheorie kommt hier nicht in den Umlauf. Ständig erwartet man Mißverständnisse in deutscher Semantik und ost-/west-deutscher Haltung. Aber dieses Paar thematisiert nicht sein Deutschsein, noch seine Vergangenheit in antagonistischen Systemen, sondern nur sein Paarsein. Die Axt in den Alltag fällt erst spät und kann dann kein Unheil mehr anrichten. Elsas Eltern sollen den Zukünftigen kennenlernen. Die Mutter (Vera Tschechowa) muß das Kompliment für Zenons Küche verpatzen mit der Bemerkung, sie habe gedacht, jede Form von Eßkultur sei in der DDR verlorengegangen. Auf einen solchen Satz hat man längst gewartet, und doch gehofft, er bliebe dem Publikum erspart.

Wesentlich wird Thomes Film von der Kamera-Arbeit bestimmt. Wie begabt die Kamerafrau Sophie Maitigneux, die bei Eric Rohmer und Jean-Luc Godard begann und in Deutschland mit Jan Schütte und Michael Klier filmte, für das Randständige ist, zeigt ein Vergleich ihrer Arbeit in Kliers Film "Ostkreuz". Dort war Ost-Berlin ein apokalyptischer Ort, eine Stadtsteppe zwischen Ruinen und Wohncontainern. Die Ekstase des öffentlichen Lebens von 1989 wich der Ereignislosigkeit des Privaten von 1991. In "Liebe auf den ersten Blick" bleibt von der Mauer nur ein Schlagloch. Die Grenze ist eine Baustelle. Schon ist das Schlagloch überteert. Nur Radfahrer wie Zenon spüren noch einen kleinen Ruck beim Überqueren.

Wenn denn Liebe sein muß und noch auf den ersten Blick, dann findet sie ihren Ausdruck in der visuellen Zuwendung zu den hier gezeigten Figuren der unbeirrbaren Naivität. Nicht die Armseligkeit von Zenons Dachkammer irritiert Elsa, noch bremst seine widerliche Schlafcouch ihre Leidenschaft. Zenon seinerseits geht umstandslos vom Windelwechseln.für die Kleinen über zur Umarmung dieser Frau, die ihn ohne Vorbehalt, ohne jede soziale Prüfung als Liebhaber und Vater künftiger Kinder erobern will. Selten sah man einen Film wie diesen (es sei denn Ozus Klassiker "Ich wurde geboren, aber", dessen Plakat in einem der letzten Thomefilme zu sehen ist), in dem Kinder geradezu notwendig und ungezwungen zur Vervollständigung des erwachsenen Wohlbefindens agieren.

Das Klima der schleichenden Sympathie wird vorsätzlich hergestellt durch einen Blickwechsel, wie er schon bei Kliers "Ostkreuz" herrschte. Die Schauplätze am Rande der Großstadt beobachtet die Kamera wie Leidenschaften, um dann die Leidenschaft zum Schauplatz zu erklären: mit den Mitteln der Behutsamkeit und denen der Verlangsamung "Liebe auf den ersten Blick” gibt kein reißendes Versprechen ab, eher hinreichend Zeit, sich in dieser Behauptung umzusehen. Einmal unter einem Dach vereint, wird sich für Elsa und Zenon die Frage nach der Versöhnbarkeit von Utopien stellen: Geht hier ein blasses Paar im Dienste der Vergangenheitsentsorgung, oder geht hier die Archäologie mit der Zukunftsforschung ins Bett der Wiedervereinigung? Das Fragen fängt erst an. "Liebe auf den ersten Blick" ist ein geglückter Versuch, es filmisch zu bedenken.



GROSSE LIEBE IN KLEINMACHNOW

Christoph Terhechte
Tip
19.12.91
Nach einem unglücklichen Abschluß seiner Trilogie "Formen der Liebe” zeigt sich Rudolf Thome mit "Liebe auf den ersten Blick” wieder auf der Höhe der Zeit

Rudolf Thome liebt die mathematischen Konstruktionen. Die Frauen in "Rote Sonne" mordeten nicht nur, sie taten es mit System. Fünf Tage blieben die Männer an ihrer Seite, dann mußten sie ihr Leben lassen. Thomes spätere Arbeiten tragen ihr Programm bereits in den Titeln: "System ohne Schatten" oder "Formen der Liebe”, wie die umstrittene Trilogie überschrieben war, die Thome zwischen 1987 und 1989 realisierte. Nicht nur die parabelhafte Konstruktion dieser Filme, auch ihr Minimalismus, ihr Streben danach, die Poesie des Einfachen, Alltäglichen zu erfassen, erinnert an Eric Rohmer. Gelang es dem Regisseur der "Vollmondnächte" jedoch, die Lebendigkeit und Natürlichkeit seiner Protagonisten in der artifiziellen Konstruktion zu bewahren, so sind die Filme Thomes in ihrer Märchenhaftigkeit teils verunglückt. Bewußt naiv sollte der Blick der Filme auf die Figuren wohl sein; "Sieben Frauen", der Abschluß der Trilogie, geriet zuletzt bloß seicht.

"Liebe auf den ersten Blick” zeigt den Regisseur wieder auf der Höhe der Zeit. Als erstem und bislang einzigem Filmemaeher aus dem Westen ist es ihm gelungen, dem neuen Deutschland eine unverkrampfte, aktuelle Geschichte abzutrotzen, statt sich hinter den eigenen Vorurteilen und Ängsten zu verschanzen. Thome hat sich neugierig umgesehen in Berlin und Umgebung und eine Liebesgeschichte zwischen Ost und West geschrieben, die nicht viel Aufhebens davon macht, daß sie zwischen Ost und West spielt. Wer die Geschichte so unverfangen betrachtet, wie sie erzählt wird, muß davon gar nicht Notiz nehmen. Übrigens liegt das Dorf Kleinmachnow nicht im Osten, sondern im Süden Berlins.

Von Kleinmachnow bricht allmorgendlich, beladen mit seinen Kindern Nicolai und Joya, der arbeitslose Archäologe und alleinerziehende Vater Zenon Bloch (schöner Name) mit dem Fahrrad nach Berlin zum Kinderspielplatz auf. Wo er eines Morgens der Futurologin Elsa Süßeisen und ihrer Tochter Sophie begegnet, die ihn und die Kinder zu Kaffee und Kuchen einlädt. So fremd sie sich im ersten Moment sind, so schnell wird ihnen klar, daß sie sich ineinander verliebt haben. Und das Schönste: Im selben Augenblick darf auch der Zuschauer, dem weder der dröge Bücherwurm noch die weltoffene Frau Doktor allzuviel Interesse abgerungen haben, mit den Figuren zu fühlen und für sie zu hoffen beginnen.

Thome zeigt, als wären es quasi die Spielregeln seiner Geschichte, kaum mehr als die banalen Dinge des Alltags. Wie sie in einer alternativen Buchhandlung ein Straßenverzeichnis der Berliner Vororte verlangt. Wie er im Postamt ihre Telefonnummer erfragt. Wie sie ihren Chef bittet, sich einen Nachmittag freinehmen zu dürfen. Wie er seiner Schwägerin Sabine (mit der er nach dem Tod seiner Frau manchmal schläft) auf Heller und Pfennig das Brötchengeld entgilt. Das alles ist so harmlos, so einfach, daß man ständig das Eintreten größerer Ereignisse befürchtet, die dem umständlichen Zueinanderfinden Elsas und Zenos hinderlich wären. Doch in der Kunst des Weglassens ist Rudolf Thome geübt. Die möglichen Konflikte finden nicht statt. Sabine verabschiedet sich traurig mit einer schweigenden Umarmung am Frühstückstisch aus dem Film, und das Zusammentreffen mit Elsas skeptischen Eltern (Hans-Michael Rehberg und Vera Tschechowa) sorgt eher für einige äußerst komische Mißverständnisse denn für familiäre Auseinandersetzungen.

Nicht alles ist Thome auf diese Weise gelungen. Aufdringlich stemmt sich der nervöse Jazz Chico Hamiltons, der die leisen Töne des Films viel zu oft übertüncht, gegen den Rhythmus der Erzählung, und störend wirkt auch eine lange Liebesszene, die Thome wider alle Gewohnheiten in platter Abbildhaftigkeit inszeniert hat. Wirklich schade, denn diese Sequenz hätte die schönste des ganzen Films sein können: In einer Parallelmontage zeigt Thome, wie Zenon sich abends aus dem Haus schleicht, um von einer Telefonzelle aus bei Elsa anzurufen, die nicht zuhause ist, sondern im Theater, wo sie in der Pause unruhig vor dem Eingang auf und ab geht, um schließlich ihren Mantel zu holen und unangekündigt bei Zenon aufzutauchen. Als sie dann beschließen, miteinander zu schlafen, geht sie ins Badezimmer, während er umständlich das Bettsofa ausklappt und als pedantischer Hausmann ein weißes Laken ausbreitet. Als Elsa zurückkehrt verharrt die Kamera einen langen Augenblick auf ihrem Gesicht, das Zenon ansieht. Mehr wäre dazu gar nicht zu sagen.

Am nächsten Morgen fährt Elsa in ihrem Golf durch den verschlafenen Ort in Richtung Berlin zurück. Auf ihr Gesicht fällt ein Licht, während langsam der Morgen dämmert. "Liebe auf den ersten Blick" ist, wie alle Arbeiten Thomes, kein realistischer, sondern ein utopischer Film.


EINE DEUTSCHE LIEBESGESCHICHTE
Rudolf Thomes neuer Film
"Liebe auf den ersten Blick"

Volker Baer
Der Tagesspiegel
19.12.91
Wenn man einen neuen Film sich anschaut, dann sieht man mitunter, ohne die Aufmerksamkeit für das Geschehen im geringsten zu verlieren, das gesamte Oeuvre des Regisseurs, hat plötzlich Szenen, die der Erinnerung schon entschwunden waren, vor dem inneren Auge, vergleicht Episoden früherer Inszenierungen mit dem jüngsten Werk. So jetzt auch bei Rudolf Thomes neuer Arbeit, die sich - oftmals schon ein Charakteristikum für Thomes Werk - von den vorangegangenen Filmen unterscheidet. Sein Stil ist leichter, ruhiger, behutsamer geworden. Ein Film, der außerhalb der gegenwärtigen deutschen Produktion steht.

Wie kaum einer seiner Altersgenossen hat Rudolf Thome konsequent einen Film nach dem anderen in Szene gesetzt, ist dem Metier nicht untreu geworden, hat sich nicht dem Fernsehen zugewandt, ist nicht, wie so mancher seiner Generation, auf die man einst so große Erwartungen gesetzt hat, vorzeitig verstummt. An seinem Oeuvre läßt sich - immerhin in einer Zeitspanne von nahezu einem Vierteljahrhundert - westdeutsche Filmgeschichte ablesen, von den frühen Inszenierungen an, die ganz von den Tendenzen der Münchner Atmosphäre bestimmt waren, Lebens-, Leidens- und Draufgängergeschichten junger Leute zumeist. Mit seiner Übersiedlung nach Berlin in den frühen siebziger Jahren ist eine Wende klar erkennbar, eine Wende, die Unruhe im täglichen Leben signalisiert: Thomes realisierte Filme ohne szenische Vorlagen, aus dem Augenblick heraus, Tagebücher, wenn man so will. Ethnologische Versuche, Beobachtungen einer Gruppe unter extremen Bedingungen schlossen sich an, auch dies ein Zeugnis der Zeit, die nach neuen Wegen, oft nach vermeintlichen Auswegen suchte. Thome war von der Unruhe wie von der Neugier ergriffen.

Aus diesen Versuchen ging ein Thome hervor, der nach der Form Ausschau hielt, der stille Filme - wie "Berlin Chamissoplatz" - inszenierte, der sich - wie im "System ohne Schatten" - an streng konstruierte Fabeln hielt, bekannte Themen - wie Goethes "Wahlverwandtschaften" in "Tarot” - zu variieren suchte. Aus diesen Versuchen entwickelten sich kleine, beiläufige Inszenierungen, der Regisseur in einer Trilogie vereinigt sah, Spielereien meist, komödiantisch-witzig gehalten gelegentlich. Der Ton war unbeschwert, der Humor mitunter etwas gesucht wie am Ende der Geschichte der "Sieben Frauen”.

Was wohl würde Rudolf Thome, der, sieht man von seiner frühen Münchner Zeit vielleicht einmal ab, keiner der Gruppierungen der deutschen Filmszene zuzurechnen ist, wohl als nächstes in Szene setzen? Auch diesmal hat er, mittlerweile 52 Jahre alt, eine Überraschung parat: eine ganz alltägliche und zugleich aber auch eine ganz besondere Liebesgeschichte, auf die zu stoßen man in der heutigen Filmentwicklung nicht gewärtig war. Rudolf Thome kann, und das allein schon ist der Erwähnung wert, noch erzählen, kann eine menschliche Begebenheit ganz aus sich selbst heraus entwickeln, ohne dabei die Realität ringsum aus den Augen zu verlieren. Er verzichtet auf äußere Effekte, auf aufgesetzte Einfälle, grelle Töne. Sein Film lebt von der inneren Wahrheit der Geschichte.

Und es ist eigentlich eine ganz alte Geschichte, jene nämlich von der Begegnung einer Frau und eines Mannes. Thome aber läßt sie außergewöhnlich und ganz alltäglich zugleich erscheinen, läßt sie fast zum Märchen und doch auch zu unmittelbarer Wirklichkeit werden. Der Autorregisseur bietet, was heute kaum mehr einer seiner Kollegen vermag, unterhaltende Momente und daneben ein klar umrissenes Zeitbild: es ist der erste westdeutsche Film, der deutsch-deutsche Realität als ganz selbstverständlich hinnimmt, ohne törichte Spekulationen, ohne simple Humorigkeit. Thomes Arbeit ist heiter und ernst. Sie ist, bei aller Entschlossenheit der Frau zu einer Begegnung, von einer schönen Keuschheit. Wollte man noch andere Charakteristika verwenden, geriete man vielleicht nur zu schnell in ein etwas altertümliches Vokabular, Aber gerade das würde der Inszenierung nicht gerecht, die die Welt ungemein lebendig zeichnet.

Ossi liebt Wessi - auch das führte in die falsche Richtung; selbst wenn zwischen beiden Menschen zu Beginn noch immer, wenn auch unsichtbar, so etwas wie eine Grenze liegt. Thome hat mit großer Aufmerksamkeit östliches und westliches Verhalten beobachtet, läßt den verwitweten Mann mit zwei kleinen Kindern aus Kleinmachnow bei Zehlendorf (also nicht, wie es im Text einmal heißt, aus einem Dorf, fünf Kilometer südlich von Berlin) introvertiert, unsicher, fast ein wenig linkisch erscheinen; die junge Frau aus Zehlendorf hingegen wirkt gewandt, souverän, zielbewußt. Zugleich aber prägen auch die Berufe: sie als Futurologin blickt voraus, er als Archäologe hat den Blick zurückgewandt (und bekommt doch plötzlich, ein Arbeitsloser seit der Wende, wieder eine Tätigkeit: Hans Helmut Prinzler spielt da einen wundersamen Museumsdirektor).

Die Stärke von Inszenierung und Führung der beiden Protagonisten beruht vornehmlich in steter Verhaltenheit: das oftmals leichte Zögern in den Gesprächen, die innere Zurückhaltung, das unbewußte Zaudern bei vielen Gesten, verleiht dem Film eine beachtliche Intensität. Sie ist Geno Lechner, die bisher vornehmlich als Bühnenschauspielerin hervorgetreten ist, und Julian Benedikt in seiner ersten Filmrolle zu verdanken. Er zeichnet einen Introvertierten, sie eine klar denkende, ihrer Gefühle so sichere und sich dann doch wieder an alles behutsam herantastende Frau. In ihren Blicken, ihren Bewegungen, in den ungesagten Worten liegt ihre Stärke, ein strenger, aparter Typ, zu schön schon fast wieder für die Wirklichkeit von heute, die das Schnelle, Unkomplizierte, Unverbindliche liebt. Aber sie steht für eine kultivierte Welt, die es doch auch noch gibt (die Buchtitel in ihrem Hause, soweit man sie lesen kann, stehen jedenfalls für eine bestimmte traditionelle Haltung, von der im übrigen auch das Verhältnis zu ihren Eltern, gespielt von Vera Tschechowa und Hans-Michael Rehberg, zeugt).

Gerade diesem Milieu heute in einem deutschen Film zu begegnen, mag überraschen; doch Thome zeichnet es als ganz selbstverständlich, kann aber gerade auch dadurch die Verhaltensweisen motivieren, wie er auf der anderen Seite, im Häuschen in Kleinmachnow, die Einfachheit, die Enge, den Zusammenhalt von Vater und Kindern als Begründung für manche Reaktion nutzen kann. Ein Vorzug übrigens noch, daß Thome die Kinder (die des Kleinmachnower Vaters sind seine eigenen übrigens) sich nie in den Vordergrund spielen läßt.

Es hat alles eine große Selbstverständlichkeit, das Aufeinanderzugehen zweier Menschen, die Kraft der gegenseitigen Anziehung, das Sich-Herantasten an den anderen, das erste vorsichtige Lächeln, das innere Strahlen, das keiner Worte bedarf. Und so ist die Inszenierung auch weithin ein Film, der - dank der beiden Schauspieler - seine Geschichte in Bildern erzählt. Rudolf Thome ist da ein exakter Beobachter auch vieler Kleinigkeiten, Geno Lechner (ihre Freundin im Film hat recht: ihr steht das hochgesteckte Haar besser als das lang wallende) und Julian Benedikt sind zwei intensive Interpreten seiner Intentionen in einem Film, wie man ihm heute zu begegnen kaum für wahrscheinlich hält. Thome hat da durchaus eine Überraschung parat.


SPIELPLATZ DER SEHNSUCHT
Rudolf Thomes neuer Film
"Liebe auf den ersten Blick"

Hans Schifferle
Süddeutsche Zeitung
16.12.91
Eine Geschichte der BRD in Liebesfilmen schreibt Rudolf Thome. Lebensgefühl, Sehnsucht und Realität hat er eingefangen von seinen furiosen Kurzfilmen aus Münchens 60ern wie Stella oder Jane erschießt John, weil er sie mit Ann betrügt über Berlin Chamissoplatz, dem Resümee der 70er zum Start der 80er, bis zu seiner neuen glasklaren Love Story der 90er: Liebe auf den ersten Blick.

Ein reizvolles Experiment in Liebe hat Thome, der magische Realist, wieder angeordnet, das viel mit Phatasie zu tun hat und mit dem täglichen Leben, und wenig mit einer Parabel: Zenon Bloch, ein Witwer mit zwei Kindern aus der Ex-DDR, und Elsa Süßeisen, eine alleinstehende Mutter eines kleinen Mädchens aus Westberlin verlieben sich ineinander. Zenon Bloch, der Mann mit dem irren Philosophen-Namen ist zudem Archäologe, im Moment ohne Anstellung, während Elsa Süßeisen, die Frau, deren Vorname ein wenig an Ingrid Bergman in Casablanca und deren Nachname an das 50er-Jahre-Wirtschaftswunder denken läßt, als Futurologin arbeitet. Wie bei allen seinen Filmen hat Thome für seine Hauptfiguren wieder unaufdringliche, wunderbare Darsteller gefunden. Julian Benedikt gibt als Zenon ein Porträt in Stille und sinnlicher Sensibilität. Die schöne Geno Lechner erinnert als Elsa an die starke, geheimnisvolle Französin Dominique Sanda.

Die ersten entscheidenden Blicke der beiden finden auf einem Kinderspielplatz statt, an einem,Ort der Vorstellungen und Ausgelassenheit, an dem viel möglich ist. Zenon sitzt auf einer Bank und liest in einem dicken Buch über alte Kulturen, als Elsa aus dem Off an ihn heran und in sein Leben tritt. Während die Kinder von beiden herumtoben und sich gleich prächtig verstehen, beginnt zwischen Zenon und Elsa das seltsame Spiel der Liebe, das so ernst ist wie kein anderes.

Blicke der Liebe, das zeigt Thome immer wieder, müssen sich nicht treffen. Der verträumte Blick am andern vorbei oder ins Leere ist das sicherste Zeichen, daß es einen erwischt hat. Für Zenon geht ein Männertraum in Erfüllung: Die aktivere Elsa übernimmt die Initiative und lockt ihn behutsam aus der Reserve. Elsa ist es, die zuerst den Mut hat, die Grenzen der eigenen Welt zu überschreiten, wie schon ihr beiläufiger und doch so theatralischer erster Auftritt bewiesen hat.

Denn für beide ist die Liebe auf den ersten Blick auch eine zweite Chance. Sie haben schon einiges hinter sich: Zenons Frau ist bei einem Autounfall tödlich verunglückt, der Vater von Elsas Tochter ist nach Amerika verschwunden. Und sie haben beide Kinder, für deren Zukunft sie Sorge tragen. Die Liebe versetzt beide selbst wieder in einen kindlich-unschuldigen Zustand. Thome und seine Kamerafrau Sophie Maintigneux, die zuletzt für Eric Rohmer gearbeitet hat, schaffen es anstrengungslos, dem Alltag, etwas Zauberhaftes zu geben.

Die unspektakulären Schauplätze in Berlin, ein Schwimmbad oder die Straßen in einem Wohnviertel, werden zu Räumen von Liebe, Traum und Hoffnung. Zenon und Elsa träumen voneinander, sie in ihrem halbwegs schicken Appartement in der Stadt, er in seiner kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung in einem Dorf vor Berlin, wo er nicht mal ein Telephon hat. Sie wohnen so nah beieinander, und doch noch in verschiedenen Welten. Die Ost-West-Situation, die dem Unterschied zwischen modern und postmodern gleicht, erschwert das Zusammenkommen und verstärkt die Sehnsucht. Weil sie Zenon nicht einfach telephonisch erreichen kann, schickt ihm Elsa einmal ein Telegramm. Wie aus einem Hollywood-Liebesfilm der 30er wirkt das, wenn sie dieses romantische Kommunikationsmittel benutzt.

An Hindernissen und Gegensätzen hat sich ihre Liebe auch entzündet, durch die Liebe werden sie überwunden. Zenon bekommt wieder einen Job bei seinem alten Professor (der Berliner Filmhistoriker Hans Helmut Prinzler in einem schönen Gastauftritt), und Elsa hält einen umjubelten Vortrag über die Zukunft der Erde. Auf Elsas Anstoß hin proben die beiden das Zusammenleben, wenn sie mit den Kindern zusammen in einem Wohnmobil, dieser Kuschelecke auf Rädern, zur Ostsee fahren. Elsa, die eine Zukunfts-Frau ist wie alle Frauen bei Thome spätestens seit Supergirl, veranlaßt auch, daß Zenon, der von seinem Glück wieder nichts ahnt, in eine Szene gerät, die in ihrer ganzen komischen Verquerheit doch so wirkt, als halte er, Zenon, bei Elsas Vater (Hans Michael Rehberg) um ihre Hand an. Es ist ,die große Kunst des Rudolf Thome, alte, schöne Rituale in einem modernen Kontext wahr erscheinen zu lassen.'

Zenon und Elsa und vor allem auch Rudolf Thome kennen natürlich den Schmerz, den das Neigen von Herz zu Herz verursachen kann. Ein wenig Melancholie liegt immer in den Augen von Zenon und Elsa. Das kleine schwarze Kleid, das Elsa so sexy macht, strahlt auch etwas Trauriges aus. Die Musik von Chico Hamilton gibt ein Gefühl von Aufbruch und zugleich vom Blues des Lebens. Und dennoch, mit dem Wissen vom Wandel aller Dinge, gibt es am Ende von Thomes schönem kleinen Film über eine Liebe in Deutschland 1991 einen. fast weihnachtlichen Ausblick auf ein Zusammensein: Ich und du, deine Kinder, meines und unsere. Liebe auf den ersten Blick, das ist auch ein Programm für die letzten Jahre des 20. Jahrhunderts. (In München im Türkendolch)