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"Das Sichtbare und das Unsichtbare"

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Drehbuch

 
DAS SICHTBARE UND DAS UNSICHTBARE

 

© 2006 by Moana-Film GmbH
  Die Abendsonne scheint auf eine hügelige Landschaft im Frühling. MARQUARD VON POLHEIM (45) fährt mit seinem Motorrad gefährlich schnell. Er legt sich so stark in die Kurven, als wolle er ausprobieren, wie weit er dabei gehen kann (darüber die Anfangstitel).

2.
Ein großer Festsaal. Darin etwa 100 feierlich angezogene Menschen, die in kleinen Gruppen zusammenstehen und miteinander reden. LEO BARNSTEIN (50) geht zum Mikrofon, das auf einer Bühne steht. Hinter ihm an der Wand hängt ein Transparent. Darauf ist zu lesen: „Paul Gauguin-Preis 2006“. LEO: Meine Damen und Herren, sehr verehrtes Publikum, bitte haben Sie noch etwas Geduld. Unser diesjähriger Preisträger, Marquard Morgenstern, muss jeden Augenblick eintreffen. MARIA DÖBEREINER (55) steht an einem der großen Fenster und wählt eine Nummer auf ihrem Handy. ELEONORE (45) steht neben ihr. ELEONORE: Du solltest ihn endlich zum Teufel jagen! MARIA: Ich kann nicht ohne ihn leben. ELEONORE: Dann heirate ihn. Dann gehört dir die Hälfte von dem Geld. LEO kommt zu den beiden. LEO: Hast du ihn erreicht? MARIA: Sein Handy ist aus. Er ist heute Mittag mit dem Motorrad weggefahren. Danach habe ich nichts mehr von ihm gehört. LEO: Wir warten noch eine Viertelstunde. Dann nimmst du für ihn den Preis in Empfang. MARIA: Er wird kommen. Er war so glücklich als dein Anruf kam.

3.
In einer Stehkneipe. MARQUARD leert mit einem Schluck ein Glas Wodka. MARQUARD: Gib mir noch einen. SONJA, die Bedienung: Marki, du solltest aufhören. MARQUARD: Sonja! Wann ich aufhöre, entscheide ich, nicht du. MARQUARD sucht in seinem Motorradanzug nach Geld und legt Sonja einen 20 Euro-Schein auf die Theke.

4.
MARQUARD fährt mit seinem Motorrad auf die Auffahrt des Commerzbank-Gebäudes am Pariser Platz. Er stellt den Motor ab und geht in voller Motorradfahrermontur in das Gebäude. Ein PORTIER will ihn aufhalten. PORTIER: Sie können hier nicht einfach reingehen! Haben Sie eine Einladung? MARQUARD: Ich brauche keine Einladung!

5.
MARQUARD, umgeben vom PORTIER und zwei WACHSCHUTZLEUTEN, die ihn aufzuhalten versuchen, stürmt in den Saal. MARQUARD nimmt seinen Helm ab und ruft in den Saal : Jetzt bin ich da! Ihr könnt mit eurem Kultur-Zirkus anfangen! MARQUARD setzt sich auf einen Stuhl in der ersten Reihe. MARIA setzt sich neben ihn. Alle anderen Gäste setzen sich wieder auf ihre Stühle. LEO gibt dem PORTIER und den WACHSCHUTZLEUTEN einen Wink und geht zum Mikrofon. LEO: Wenn sich alle gesetzt haben, beginnen wir mit unserem Programm. Alle Gäste haben sich wieder gesetzt. LEO: Zuerst wird uns Katharina Simonesko ein Rondo von Mozart vorspielen. KATHARINA SIMONESKO kommt aus einem Seiteneingang und geht zum Flügel. Das Publikum klatscht. KATHARINA verbeugt sich und fängt an zu spielen. MARIA (leise): Wo warst du? MARQUARD holt aus seinem Motorradanzug einen Flachmann und trinkt einen Schluck. MARQUARD: Ich hab heute Nacht von Moorea geträumt.

6.
Vor dem Saal. Der PORTIER und die WACHSCHUTZLEUTE stehen zusammen. PORTIER: Der gehört eingesperrt! WACHSCHUTZMANN: Oder gleich vergast. PORTIER: Na, na, na! Sowas darf man nicht sagen. Nicht einmal denken. Im Hintergrund ist leise die Musik zu hören.

7.
KATHARINA SIMONESKO beendet das Rondo von Mozart, steht auf und verbeugt sich. Das Publikum klatscht. LEO BARNSTEIN geht wieder auf die Bühne zum Mikrofon. LEO: Danke Katharina Simonesko. KATHARINA SIMONESKO verbeugt sich nocheinmal und setzt sich auf einen freien Stuhl in der ersten Reihe. LEO: In diesem Jahr verzichte auf eine lange Rede – obwohl ich, wie die meisten unter Ihnen wissen, gerne lange Reden halte. Das mache ich, weil Marquard mein Freund ist, und weil er Reden überhaupt nicht mag. Er ist da sehr eigenwillig und überhaupt…(LEO hat den Faden verloren und macht eine Pause. Dann räuspert er sich.) Marquard von Polheim, kannst du bitte auf die Bühne kommen!  MARQUARD macht keinerlei Anstalten aufzustehen. LEO: Hallo Marquard! Ich will dir den Preis überreichen. MARIA stößt MARQUARD in die Rippen. MARIA: Jetzt geh schon! So betrunken kannst du nicht sein. Du kriegst hunderttausend Euro. MARQUARD steht wie in Zeitlupe auf und geht genauso langsam auf die Bühne. Eine ASSISTENTIN von LEO taucht auf, in der Hand eine etwa dreißig Zentimeter große goldene Statue. Sie gibt sie LEO. LEO: Du bist eine der wichtigsten Maler-Persönlichkeiten unserer Zeit. Deshalb habe ich die große Ehre, dir im Namen des „Deutschen Fördervereins für junge Kunst“ in diesem Jahr unseren Paul Gauguin-Preis zu überreichen. Ich freue mich ganz aufrichtig für dich. LEO schüttelt MARQUARD die Hand, umarmt ihn und überreicht ihm dann feierlich die Statue. MARQUARD sagt zunächst nichts. Dann fragt er: Und wo ist der Scheck? LEO holt einen Umschlag aus seiner Jackett-Tasche. LEO: Mein Gott, den hätte ich vor Aufregung fast vergessen. Es ist ein Scheck über hunderttausend Euro. MARQUARD: Ist er auch gedeckt? Das Publikum lacht. LEO: Da bin ich mir ganz sicher, denn ein großes deutsches Bankhaus hat in diesem Jahr den Preis gestiftet. Das Publikum klatscht lange. MARQUARD stellt umständlich die Statue auf das Rednerpult,  öffnet  den Umschlag, zieht den Scheck heraus und schaut nach, ob der Betrag stimmt. Das Publikum klatscht noch lauter. MARQUARD steckt den Scheck achtlos weg. MARQUARD: Danke. Dann sagt er lange nichts, bleibt aber auf der Bühne stehen. MARQUARD spricht stockend: Leider kann ich mich nicht bedanken. Der Preis kommt zwanzig Jahre zu spät. (Pause) Meine Arbeit ist fast beendet. (Pause) Es gibt nur wenige Bilder, die ich noch malen will. Für mich war Malen immer ein Abenteuer und  - (Pause)  naja, und wie eine Reise. Wenn einer am Ziel angekommen ist, muss er aufhören. Das Publikum klatscht. Eine FRAU ruft laut: Nein, Sie dürfen nicht aufhören!

8.
Im Treppenhaus zur Wohnung von MARIA und Marquard. MARIA schleppt MARQUARD mühsam die Treppenstufen hinauf. MARIA schnauft: Kannst du dich nicht ein bisschen leichter machen? MARQUARD: Ich fühle, dass ich sterbe. MARIA: Hier wird jetzt nicht gestorben. Stell dich nicht so an!

9.
MARIA schließt die Wohnungstür auf. Dann schleift sie MARQUARD, als wäre er eine Leiche, in die Wohnung.

10.
Im Schlafzimmer. MARIA legt MARQUARD auf das Bett. MARIA: Kannst du dich jetzt bitte alleine ausziehen? MARQUARD: Ohne dich bin ich verloren. MARIA beginnt, MARQUARD die Schuhe auszuziehen. Dann versucht sie ihm die Hosen seiner Motorradmontur auszuziehen. MARIA: Es würde mir helfen, wenn du endlich mal diese Scheiß-Statue wegstellen könntest? MARQUARD: Nein. MARIA nimmt ihm die Statue mit aller Kraft, die sie hat –also ziemlich aggressiv - aus der Hand und dabei bricht sie auseinander, denn sie ist nicht aus Gold, sondern nur aus Gips.  MARQUARD ist plötzlich hellwach und setzt sich auf: Du hast meinen Preis zerbrochen. MARQUARD fängt beinahe an zu weinen. Er schaut MARIA in die Augen. MARQUARD: Weil du ihn mir nicht gönnst. Du bist gemein! MARIA: Du bist gemein! Du besäufst dich auf der Preisverleihung, bis du nicht mehr stehen kannst. Aber vorherr schlarwenzelst du um diese Blondine da herum, als hättest du seit Jahren mit keiner Frau mehr gevögelt.
MARIA macht ihm vor, wie MARQUARD sich gegenüber der Blondine verhalten hat. Sie spielt  sowohl die Blondine wie auch Marquard (wird beim Drehen improvisiert).
MARQUARD: Das war Angie. Die musst du doch kennen. Die hat bei mir Modell gestanden. Die kenne ich in- und auswendig.  MARIA: Eben. Wahrscheinlich mehr inwendig. MARQUARD: Bist du eifersüchtig? MARIA: Nein. MARQUARD: Du weißt, dass ich dich liebe. MARIA: Das ist mir scheißegal. Ich schlafe heute Nacht im Atelier.

11.
MARIA geht in ihr Atelier, schaltet das Licht ein und geht zu einer Staffelei, auf der ein noch unfertiges Bild steht. Sie schaut eine Weile auf das Bild: Es zeigt ein Pferd in einer kargen Landschaft. Dann legt sie sich auf ein Metallbett, das in einer Ecke des Ateliers steht. Dann macht MARIA das Licht aus. MARIA: Lieber Gott, den Gauguin-Preis hätte eigentlich ich kriegen müssen.

12.
Ein neuer Tag. MARQUARD, immer noch in seiner Motorradmontur, wacht auf. MARQUARD: MARIA! MARIA, wo bist du?

13.
MARIA deckt in der Küche den Frühstückstisch. MARQUARD, unrasiert und immer noch in seiner Motorradmontur, kommt dazu. MARQUARD macht ein zerknirschtes Gesicht: Ich muss mich gestern ziemlich schlecht benommen haben? MARIA reagiert nicht. MARQUARD: Bist du mir immer noch böse? MARIA: Wenn du es genau wissen willst, ja. MARQUARD setzt sich an den gedeckten Küchentisch und trinkt einen Schluck Kaffee. MARQUARD: Schmeckt eklig. MARIA setzt sich zu ihm und macht ihr Frühsücksei auf. Sie reden nicht miteinander. MARQUARD: Wir hätten immer in Moorea bleiben sollen! MARIA: Wenn dir mein Kaffee nicht schmeckt, trink doch Wodka. Ich hindere dich nicht daran. MARIA steht auf, holt aus dem Kühlschrank eine volle Wodkaflasche und stellt sie heftig vor MARQUARD auf den Tisch. MARQUARD: Wir könnten nochmal hinfahren. Und dort heiraten. Heiraten in der Südsee ist bestimmt wunderbar. Geld genug haben wir beide jetzt. MARIA: Du hast genug Geld, ich nicht. MARQUARD: Was mein ist, ist auch dein. MARIA reagiert nicht. MARQUARD: Na gut. Er steht vom Tisch auf. MARQUARD: Ich gehe Motorradfahren. Weißt du zufällig, wo mein Motorrad ist? MARIA: Zufällig da, wo du es gestern abend abgestellt hast.

14.
MARQUARD fährt mit einem Taxi zum Pariser Platz. Er steigt aus und geht zu seinem Motorrad. Der PORTIER kommt dazu. PORTIER: Sie haben Ihr Motorrad nicht abgeschlossen und der Zündschlüssel hat auch noch gesteckt. MARQUARD: Wo ist er? PORTIER: Eine schöne Maschine. Ich habe immer ein Auge auf sie gehabt. Es gibt ja soviel schlechte Menschen heutzutage. Der PORTIER überreicht MARQUARD den Zündschlüssel. MARQUARD kramt in seiner Hosentasche nach Geld und gibt dem Portier einen Hundert-Euro-Schein: Kaufen Sie sich was Schönes davon. MARQUARD startet die Maschine und fährt weg.

15.
MARIA macht in der Küche den Abwasch. Sie weint. MARIA (leise): Ich könnte ihn umbringen!

16.
MARQUARD fährt mit seinem Motorrad wieder dieselbe Strecke wie gestern. Er fährt extrem langsam. An der Abbiegung zu einer Nebenstraße hält er an, steigt ab, läßt den Motor aber weiter laufen. Dann durchsucht er zweimal alle seine Taschen. MARQUARD: Scheiße, der Scheck ist weg!

17.
MARIA zieht sich in ihrem Atelier einen von oben bis unten mit Farbe beklecksten grauen Trainingsanzug und Turnschuhe an. Dann geht sie zu ihrem Bild, schaut es lange an. Dann preßt sie Farbe aus Farbtuben auf ihre Palette. Sie nimmt den Pinsel und beginnt behutsam ein paar Farbstriche. MARQUARD kommt in ihr Atelier gestürzt. Er ist ehrlich verzweifelt. MARQUARD: Der Scheck ist spurlos verschwunden. Ich habe überall gesucht. MARIA: Welcher Scheck? MARQUARD: Mein Gauguin-Preis. Hast du eine Idee, wo der sein könnte? MARIA: Geschieht dir recht. (Pause) Ruf Leo an und lass ihn sperren. MARQUARD: Es war ein Barscheck. Ich wollte heute zur Bank gehen und das ganze Geld holen. MARIA: Vielleicht hat ihn Blondie. Lange genug hat sie an dir rumgegrapscht. Vielleicht sitzt sie schon im erstbesten Flieger und träumt vor sich hin. MARQUARD: Das tut die nie. Sie ist in mich verliebt, das weiß ich. Sie würde mir nie was klauen. Außerdem wußte sie gar nicht, dass es ein Barscheck war. Hätte ich mir bloß einen Verechnungsscheck geben lassen! MARIA: Wahrscheinlich kennt Blondie nichteinmal den Unterschied. Ruf sie doch an.

18.
Im Atelier von MARQUARD. Er telefoniert. MARQUARD: Gott sei Dank, bist du da. Es klingelt an der Wohnungstür. MARQUARD: Der Scheck über hunderttausend Euro ist verschwunden.


19.
MARIA öffnet die Wohnungstür. Es ist ELEONORE. Sie umarmt MARIA. ELEONORE: Ich war den ganzen Morgen mit der Ausstellung beschäftigt und konnte nicht früher kommen. MARIA: Du weißt doch, dass ich um diese Zeit immer arbeite. ELEONORE: Ich habe den Scheck. MARIA: Wieso hast du den Scheck? ELEONORE: Ich hab ihn auf dem Boden gefunden. Ihr wart schon weg, sonst hätte ich ihn euch sofort gegeben. MARIA: Komm rein. ELEONORE: Außerdem wollte ich Marquard ein bisschen auf die Folter spannen. MARIA: Sadistin! Marquard ist verzweifelt. ELEONORE: Wir könnten ihn zusammen noch ein bisschen länger quälen.

20.
Im Atelier von MARQUARD. MARQUARD (am Telefon): Ich lasse ihn sofort sperren. Hoffentlich ist es noch nicht zu spät. Tschau Angie. MARQUARD legt auf und wählt eine neue Nummer. Es klopft an der Türe. MARQUARD: ich telefoniere! MARIA und ELEONORE kommen ins Atelier. Sie machen beide geheimnisvolle Gesichter. MARQUARD: Was wollt ihr? Ich hab doch gesagt, dass ich telefoniere. ELEONORE: Ich wollte mit dir über MARIAs Ausstellungskatalog sprechen. Du bist ja jetzt ein berühmter Maler. Ein Text von dir wäre für uns hilfreich.  MARQUARD: Keine Zeit. Ich habe im Moment ganz andere Sorgen. ELEONORE: Wir möchten beide, dass du dir ein bisschen Zeit nimmst. Bei einer schönen Tasse Kaffee lassen sich alle Probleme lösen. MARQUARD (ins Telefon): Leo, der Scheck ist weg. Ich muss ihn irgendwo verloren haben. – Okay, ich danke dir.

21.
In der Küche. ELEONORE gießt MARIA und MARQUARD, die am Küchentisch sitzen, Kaffee in die Tassen. ELEONORE: Ich möchte dir etwas sagen, was dich freut. MARQUARD: Mich freut heute gar nichts mehr. MARIA: Hör ihr doch mal zu.  MARQUARD: Was zum Teufel habt ihr euch jetzt wieder ausgedacht? (zu MARIA) Bitte tu mir einen Gefallen und schick diese Frau weg. MARIA: Eleonore ist eine Zauberin. MARQUARD: Sie ist keine Zauberin, sondern eine hässliche Hexe! ELEONORE: Ja, ich habe gehext. Simsalabim, abrakadabra, dreimal schwarzer Kater… ELEONORE greift in ihre Tasche. MARQUARD: Du hast den Scheck!

22.
In MARQUARDS Atelier. MARQUARD breitet andächtig 200 nagelneue Fünfhundert-Euro-Scheine auf dem Boden seines Ateliers aus. In der Mitte läßt er einen kreisförmigen Raum frei.

23.
In MARIAS Atelier. MARIA steht wieder vor ihrem Bild und malt. MARQUARD kommt herein. MARQUARD: Tust du mir einen Gefallen? MARIA: Was willst du? MARQUARD: Ich möchte, dass du ein Foto von mir und dem Geld machst.

24.
MARQUARD steigt vorsichtig über die ausgebreiteten Geldscheine und setzt sich in die Mitte. MARQUARD: Du musst dich auf einen Stuhl stellen, damit man die Scheine auch richtig gut sieht. MARIA nimmt einen Stuhl, steigt darauf. MARIA: Du musst mich anschauen. MARQUARD: Nein, ich will das Geld anschauen. Vieleicht male ich nach dem Foto ein Selbstporträt und nenne es „Selbstporträt als Dagobert Duck“. MARIA: Klingt postmodern. MARIA macht ein paar Fotos. MARIA: Nimm mal einen deiner schönen Scheine in die Hand und guck so gierig, wie du nur kannst. MARQUARD macht, was MARIA sagt. MARIA: Noch gieriger! MARQUARD: Mehr kann ich nicht. Mach mir doch vor, wie man noch gieriger guckt. MARIA steigt von ihrem Stuhl und zeigt MARQUARD, wie man extrem geldgierig guckt. MARQUARD: Ich liebe dich. Du bist wunderbar.

25.
Hügelige Landschaft. MARIA sitzt hinter MARQUARD auf dem Motorrad. Sie schreit laut, damit er es hört: Fahren wir in die Südsee?

26.
Ein See in Brandenburg. MARIA und MARQUARD schwimmen nebeneinander. MARIA: Ich hätte schon Lust.

27.
Am Seeufer. MARIA breitet vor MARQUARD eine Decke aus und holt aus einer Plastiktüte ein kleines Picknick: Mit Wurst und Käse und Salatblättern belegte Brötchen, weichgekochte Eier, Plastikbecher und Kaffee in einer Thermoskanne. MARIA gießt den Kaffee in die Becher. MARIA: Auf Moorea haben wir immer so gelebt. MARQUARD steht auf und küßt MARIA. MARIA wird ganz weich und umarmt ihn fest.

28.
In MARIAs ATELIER. MARIA ist total konzentriert. Sie steht vor ihrem noch immer unfertigen Bild und macht mit Gelb- und Rottönen die Landschaft etwas wärmer. Es noch immer die Landschaft im Nebel mit einem Pferd im Vordergrund.

29.
In MARQUARDS Atelier. MARQUARD spannt eine große neue Leinwand auf einen Rahmen. Zwischendurch nimmt er einen Schluck aus einer schon halbleeren Wodkaflasche. Dann stellt er das leere Bild auf eine Staffelei und betrachtet es lange, so als müsse er herausfinden, was er jetzt malen will. Dabei trinkt er immer wieder aus der Wodkaflasche.

30.
Ein geschmackvoll eingerichtetes Zimmer mit einem großen Bett. LUCIA (25) liegt im Bademantel auf dem Bett und läßt sich von PEDRO (27) die Füße massieren. PEDRO: Du bist massagesüchtig. LUCIA: Meine Mutter war das auch. Jetzt ist sie tot. PEDRO küßt ihre Füße. PEDRO: Fertig! LUCIA: Danke. Sie steht auf und verläßt das Zimmer

31.
In der Küche. LUCIA wählt eine Telefonnummer. LUCIA: Papa, bist du’s? – Deine Stimme klingt so komisch. PEDRO kommt herein. LUCIA (zu PEDRO): Pscht! - Ich wollte dir gratulieren. – Ich hab’s in der Zeitung gelesen. – Ist nicht so schlimm, dass du mich nicht eingeladen hast. Die Leute da interessieren mich sowieso nicht.

32.
In Marquards Atelier. MARQUARD (am Telefon): Wofür brauchst du zehntausend Euro? – Hm? Klar kann ich dir soviel leihen. Wann kriege ich sie wieder zurück? -– Naja. So ist das Leben. – Ich bin dir nicht böse. Morgen schicke ich die Überweisung raus. – Du kannst dich immer auf mich verlassen. Ich hab dich lieb. Tschau LUCIA.

33.
Straße in der Stadt. MARQUARD steigt auf sein Motorrad, startet den Motor und fährt los.

34.
Kleine Nebenstraße am Stadtrand. MARQUARD fährt mit seinem Motorrad auf den Hof eines landwirtschaftlichen Betriebs. Er stellt seine Maschine ab und klingelt an der Wohnungstür eines aus Containern zusammengesetzten Hauses. Niemand öffnet. Er geht zu den Stallgebäuden. MARQUARD ruft laut: GREGOR! Niemand antwortet.

35.
Eine große, von Bäumen umgebene Wiese. GREGOR  (50) kommt auf einem Pferd angeritten. GREGOR: Das ist eine schöne Überraschung. Er steigt ab und begrüßt MARQUARD mit einer Umarmung. GREGOR: Gratuliere dir zum Gauguin-Preis. Wo ist MARIA? MARQUARD: Die arbeitet. Ich kann nicht mehr malen. Mir fällt nichts ein. Deshalb bin ich hier. Diese blöde Preisverleihung hat in meinem Kopf was durcheinandergebracht. Ich hasse diese Leute alle! GREGOR: Kann ich gut verstehen. Ich rede nur noch mit meinen Pferden.

36.
Im Wohnhaus. GREGOR macht für sich und MARQUARD einen Kaffee. GREGOR: Marki, die Welt ist aus den Fugen. Die Menschheit muss lernen, wieder zu denken. Sonst überlebt sie nicht. Mit Pferden reden, hilft da sehr. Ich kann denen Heidegger erklären und die verstehen, was ich ihnen sage. MARQUARD: Vielleicht muss ich auch anfangen, Heidegger zu lesen. Vielleicht fangen meine Bilder dann an, mit mir zu reden. (Pause) Das tun sie sowieso. Aber irgendwas muss ich verändern. ANGIE (25) kommt in die Küche. ANGIE: Hallo, ihr beiden! MARQUARD: Was machst du denn hier? (zu GREGOR) Hast du was mit ihr? ANGIE: Ich reite. Was denkst du? Du hast immer schlechte Gedanken. GREGOR: Marki, du weißt doch, ich bin ein Mönch und ein einfacher Pferdezüchter.

37.
Ein Wald. Auf einem Reitpfad kommen GREGOR, MARQUARD und ANGIE angeritten. MARQUARD (zu ANGIE): Ich wußte nicht, dass du reitest. ANGIE: Du weißt vieles noch nicht. Du glaubst, wenn du mich malst, zeige ich dir meine Seele. Ich spiel dir was vor! Du hast ja keine Ahnung, wer ich bin.

38.
In der Wohnung von ANGIE. MARQUARD und ANGIE haben miteinander geschlafen. MARQUARD zündet sich eine Zigarette an. ANGIE: Bereust du es? MARQUARD: Ich bereue nie, was ich tue! ANGIE schmiegt sich an ihn. ANGIE: Weißt du, dass ich dich liebe, dass ich dich schon immer geliebt habe. Ich schreibe meine Doktorarbeit über deine Bilder. MARQUARD: Ich wusste auch nicht, dass du studierst. ANGIE: Du weißt so viel nicht. ANGIE küsst MARQUARD. ANGIE: Aber jetzt weißt du ein bisschen mehr. Der Titel ist: Das Sichtbare und das Unsichtbare – Ein Blick hinter die Bilder von Marquard Morgenstern. MARQUARD: Hm? So heißt auch die Ausstellung, die MARIAs Galeristin machen will. ANGIE: Es geht darin um den Kunstbegriff des Abendlands, der sich seit der Reformation verändert hat. In der katholischen Kirche hat es diese Trennung zwischen Inhalt und Form nie gegeben. Deine Bilder dienen als Beispiel dafür, dass diese Trennung jetzt wieder aufgehoben ist. MARQUARD: Hm? Können wir nicht über was anderes reden. ANGIE: Ich rede mit dir über alles, was du willst. MARQUARD: Ich glaube, ich hab mich in dich verliebt. ANGIE: Du warst schon in mich verliebt, als du mich gemalt hast. Du hast es bloß nicht zugelassen.

39.
MARIA bereitet das Frühstück für sich und MARQUARD vor. MARQUARD kommt in die Küche. Er hat die zerbrochene Statue in der Hand. MARQUARD: Weißt du, wo der Sekundenkleber ist? Letzten Monat habe ich ihn gekauft, um deinen Lieblingsteller zusammenzukleben. MARIA: Mit dem du mich umbringen wolltest! MARQUARD: Ich wollte dich nur erschrecken. Warum bist du immer so nachtragend? MARIA holt aus einer Küchenschublade den Sekundenkleber und legt ihn vor MARQUARD auf den Tisch. MARQUARD beginnt, die zerbrochene Statue wieder zusammenzukleben.

40.
In MARIAS Atelier. MARIA steht vor ihrem Bild „Pferd im Nebel“ und betrachtet es lange.

41.
Im Büro von ELEONORE. ELEONORE sitzt an ihrem Schreibtisch und telefoniert. MARIA kommt herein, in der Hand hat sie ein mit Plastikfolie umwickeltes Bild. ELEONORE (am Telefon): Der Text ist mir viel zu einfach. Der muss so sein, dass die Kritiker ihn nicht verstehen. Da muss auch unbedingt ein bisschen Kunsttheorie mit rein. – Entschuldige, ich muss jetzt aufhören. Gerade kommt MARIA zu mir ins Büro. – Also bis morgen. ELEONORE legt auf. MARIA hat inzwischen ihr Pferdebild ausgepackt und zeigt es ELEONORE. MARIA: „Pferd auf der Weide 10“. Jetzt ist es fertig. ELEONORE: Toll! Deine Pferdebilder gehen weg wie warme Semmeln. Kannst du nicht nochmal zehn davon malen? MARIA: Weiß ich nicht. ELEONORE: Sei nicht so spröde. Kunst ist auch ein Geschäft. MARIA: Hm? ELEONORE: Dieser blöde Kritiker hat einen Text abgeliefert, der ist total unbrauchbar. Der schreibt die ganze Zeit von sich und von dem was er fühlt. Als ob es darum ginge. So berühmt ist er auch wieder nicht. Wir brauchen etwas Philosophisches. Kennst du keinen richtig guten Philosophen? So was wie Nietzsche, das wäre toll. Aber der ist ja leider tot. MARIA: Ein Freund von mir studiert Philosophie. Jetzt züchtet er Pferde. Aber er studiert weiter.

42.
Wohnung von LUCIA. LUCIA öffnet im Bademantel die Türe. MARQUARD steht vor ihr. MARQUARD: Ich hab’s mir anders überlegt. Ich hab dir das Geld gleich mitgebracht. Richtiges Geld ist doch viel schöner als eine Überweisung. LUCIA: Hallo Papa. Du kannst jetzt nicht rein. Ich hab Besuch. MARQUARD verbirgt seine Enttäuschung, holt zwanzig Fünfhundert-Euro-Scheine aus der Tasche und gibt ihr das Bündel LUCIA. LUCIA: Danke, Papa. MARQUARD: Lass es dir bloß nicht klauen! LUCIA: Ich bring’s noch heute auf die Bank. Tschüss, Papa. LUCIA küsst MARQUARD zum Abschied und schließt die Tür.

43.
In MARQUARDS Atelier. MARQUARD steht vor dem noch immer leeren Bilderrahmen und trinkt Wodka. Die Flasche ist schon dreiviertel leer. Dann nimmt er einen breiten Pinsel, taucht ihn in rote Farbe und malt einen dicken roten Strich quer über die Leinwand.

44.
In MARIAS Atelier. MARIA befestigt zehn Fotos der bisher gemalten Pferdebilder an der Wand und betrachtet sie. ELEONORE sieht ihr zu. MARIA: Es geht um das Licht. Wenn ich das Licht verändere, verändert sich alles. ELEONORE: Du bist die Mathematikerin unter den Malern. Ich bin todsicher, dass du nochmal zehn Pferdebilder malen kannst. Du musst es nur wollen. MARIA: Wenn das so einfach wäre, wäre ich schon lange reich. Danke für die Fotos. Jetzt musst du gehen. Ich kann nicht arbeiten, wenn jemand zuschaut. Das weißt du doch. ELEONORE: Ich bin schon weg. Wird Marquard den Text schreiben? MARIA: Der ist im Moment mit anderen Sachen beschäftigt. Ich seh ihn kaum. Wahrscheinlich zählt er immer noch sein Geld. Die Tür zu seinem Atelier ist verschlossen.

45.
Hügelige Landschaft. MARQUARD fährt sehr schnell. Hinter ihm sitzt ANGIE. MARQUARD: Du musst dich mit mir in die Kurven legen! ANGIE: Ich habe Angst, dass das Motorrad umkippt. Ich will nicht sterben! MARQUARD: Keine Panik, Baby! Der Motor fängt an zu stottern, das Motorrad wird immer langsamer. ANGIE: Was ist los? Ist das Motorrad kaputt. MARQUARD: Ich hab vergessen zu tanken.

46.
MARQUARD und ANGIE laufen Hand in Hand auf der Straße zur nächsten Tankstelle. ANGIE: Ich habe immer davon geträumt, mit dir spazieren zu gehen. Jetzt geht’s mir richtig gut. ANGIE bleibt stehen, umarmt MARQUARD leidenschaftlich und küsst ihn.

47.
An einem See. MARQUARD und ANGIE haben sich nackt ausgezogen und gehen gemeinsam in das noch kühle Wasser. MARQUARD schaut ANGIE an: Du wirst immer schöner. ANGIE: Weil ich dich liebe, und weil auch du mich liebst. Weißt du nicht, dass Liebe schön macht? MARQUARD: Ich versteh nichts von Liebe. Wenn du das sagst, wird es so sein. Vielleicht bist du mein Untergang. ANGIE (lacht): Keine Panik, Baby. Ich pass auf dich auf. MARQUARD umarmt ANGIE und küsst sie immer heftiger. ANGIE: Wenn uns jemand beobachtet? MARQUARD: Das hättest du dir früher überlegen müssen. Jetzt ist es zu spät. Sie lieben sich im Wasser.

48.
In MARQUARDS Atelier. MARQUARD steht vor dem leeren Bild, auf dem noch immer nur ein dicker roter Strich zu sehen ist, in der Hand die Wodkaflasche. Er trinkt einen Schluck und malt mit dem Pinsel einen zweiten dicken roten Strich, so dass die beiden Pinselstriche auf dem Bild ein „X“ darstellen. Dann geht er aus dem Atelier. Diesmal läßt er die Tür sperrangelweit offen.

49.
MARQUARD klingelt an der Tür von LUCIA. Sie öffnet nach einer Weile, wieder im Bademantel, darunter trägt sie diesmal in einem enganliegenden Anzug aus schwarzem Leder. LUCIA: Hallo Papa! Du erwischst mich immer im ungünstigsten Augenblick. MARQUARD: Tut mir leid. Ich muss unbedingt mit dir reden. LUCIA: Wir können uns in einer Stunde unten im Café treffen. Ist das okay? MARQUARD: Gut. Ich warte da auf dich. – (leise) Sag mal, arbeitest du als Prostituierte? LUCIA (lacht): Papa, wie kannst du nur sowas von mir denken! LUCIA küsst MARQUARD und schließt die Tür.

50.
MARIA geht durch die offene Tür in MARQUARDS Atelier und schaut auf das Bild mit dem roten „X“. MARIA: Du liebst mich nicht mehr. Deshalb kannst du nicht mehr malen. Eine Träne läuft über ihr Gesicht.

51.
Im Café. MARQUARD und LUCIA sitzen sich gegenüber und trinken Kaffee. LUCIA: Mein Freund mag solche Sachen. Er kommt aus Südamerika. Wahrscheinlich sind da alle Männer so. Mir macht das nichts aus, weil ich ihn ziemlich lieb habe. MARQUARD: Hm? LUCIA: Warum bist du gekommen? MARQUARD: Du bist der einzige Mensch, dem ich das erzählen kann. LUCIA: Wieso? MARQUARD: Es fällt mir schwer. LUCIA: So schlimm kann es doch nicht sein. MARQUARD: Doch ist es. LUCIA: Hast du Krebs? MARQUARD reagiert nicht. LUCIA: Musst du sterben?

52.
Im Wald. MARIA und GREGOR reiten langsam nebeneinander her. GREGOR: Komm wir steigen ab und laufen ein bisschen. Beide steigen ab. GREGOR umarmt MARIA. GREGOR: Du bist eine große, erwachsene Frau. Du kannst alle Probleme lösen. MARIA: Habe ich auch immer gedacht.

53.
Waldrand. MARIA und GREGOR sitzen im Gras. Hinter ihnen grasen die beiden Pferde, die sie an einem Baum festgebunden haben. MARIA: Er betrügt mich. GREGOR: Er trinkt zuviel. MARIA: Vor ein, zwei Jahren hat er damit angefangen. Er sagt, er braucht den Wodka, um malen zu können. Ein Auto braucht Benzin, ich brauche Wodka. GREGOR: Liebst du ihn noch? MARIA schaut GREGOR lange an. MARIA: Ich weiß es nicht mehr. (Pause) Vielleicht hätten wir beide zusammenbleiben sollen? GREGOR: An mir lag es nicht. Du wolltest die Welt sehen, du wolltest in die Südsee.

54.
Im Café. MARQUARD: Ich habe mein Gelübde gebrochen und mich in ein junges Mädchen verliebt. Ich wollte nie wieder mit einem Modell schlafen. (Pause) Ich musste es tun. Es war wie ein Zwang. Als hätte mich jemand verhext. (Pause) Sie ist so alt wie du! (Pause) Sie sieht auch so aus wie du. Beide sagen ziemlich lange nichts. LUCIA (tröstend): Was ist daran so schlimm? LUCIA streichelt zärtlich MARQUARDS Hand. Eine Träne läuft ihr über das Gesicht. MARQUARD wischt sie ihr weg. LUCIA: Lass uns igendwohin fahren.

55.
Vor dem Café. MARQUARD geht zu seinem Motorrad. LUCIA: Ich will nicht Motorrad fahren. Komm wir nehmen mein Auto. Es steht um die Ecke.

56.
Straße. MARQUARD und LUCIA steigen in einen ziemlich alten Ford. LUCIA sitzt am Steuer und fährt los.

57.
Das Auto fährt durch eine Landschaft weit außerhalb von Berlin. LUCIA: Ich bin eine Zauberin, und ich will dich verzaubern. Damit es funktioniert, müssen wir eine Verabredung treffen: Keiner von uns darf ein Wort sagen. MARQUARD: Okay. LUCIA: Du musst es schwören. MARQUARD: Ich schwöre es.

58.
Das Auto hält am Ufer eines großen Sees. MARQUARD und LUCIA steigen aus und setzen sich auf einen Baumstamm am Wasser. MARQUARD macht LUCIA nach einer Weile durch Gesten verständlich, dass er Hunger hat.

59.
Das Auto hält vor einem Restaurant, wo man draußen essen kann. Eine Kellnerin kommt mit zwei Speisekarten. MARQUARD macht der KELLNERIN durch Gesten klar, dass sie beide nicht sprechen können. Die KELLNERIN versteht sofort. KELLNERIN: Aber hören können Sie schon, oder sind Sie auch taub. MARQUARD und LUCIA schütteln den Kopf. KELLNERIN: Deuten Sie einfach auf das, was Sie bestellen wollen. MARQUARD und LUCIA machen, was die KELLNERIN gesagt hat. KELLNERIN: Einmal Schweinebraten und einmal Forelle Müllerin. Möchten Sie auch etwas trinken? Die Getränke stehen hier hinten. MARQUARD und LUCIA deuten auf Mineralwasser. KELLERIN: Also zweimal Mineralwasser. Ich bringe Ihnen am besten eine Flasche. Das ist billiger. Die KELLNERIN geht. MARQUARD und LUCIA lächeln sich an.

60.
In einem Supermarkt. MARQUARD und LUCIA gehen durch den Supermarkt. LUCIA packt Süssigkeiten in den Einkaufswagen. MARQUARD will eine Wodkaflasche in den Wagen legen. LUCIA macht ihm ein „X“. MARQUARD gibt nach und stellt die Flasche wieder zurück. LUCIA legt ziemlich demonstrativ vier Flaschen Mineralwasser in den Einkaufswagen. MARQUARD nimmt von einem anderen Regal einen Packen Schreibhefte und zwei Kugelschreiber, zeigt es LUCIA und legt alles, als sie nickt, in den Wagen.

61.
Flache Landschaft. MARQUARD und LUCIA steigen aus dem Wagen und gehen durch grasbewachsenen Sand. Hinter einer Düne sehen sie, als sie weitergehen, das Meer. Sie gehen bis zum Wasser und setzen sich in den Sand. LUCIA steht auf und holt aus dem Auto ein Schreibheft und einen Kugelschreiber. Sie setzt sich wieder neben MARQUARD  und schreibt in das Heft. „Das ist schön!“ MARQUARD nickt. Dann schreibt LUCIA: „Spürst du schon den Zauber?“

62.
Am Empfang eines Hotels. MARQUARD und LUCIA machen dem PORTIER durch Gesten klar, dass sie zwei Zimmer möchten. PORTIER: Für eine Nacht. Oder wollen Sie länger bleiben? LUCIA malt ein Fragezeichen in die Luft.

63.
Flur im Hotel. MARQUARD und LUCIA gehen in ihre Zimmer.

64.
MARQUARDS Hotelzimmer. MARQUARD öffnet die Tür zum Balkon. Vor ihm liegt das Meer. LUCIA kommt und zeigt, was sie in ihr Schreibheft geschrieben hat. „Ich brauche eine Zahnbürste und Zahnpasta. Ich fahre nochmal einkaufen. Soll ich dir auch eine mitbringen?“ MARQUARD schreibt darunter: „Ja“.

65.
Es ist draußen dunkel geworden. LUCIA putzt im Badezimmer ihre Zähne. Dann geht sie mit dem Schulheft aus dem Zimmer.

66.
LUCIA zeigt MARQUARD, was sie jetzt in ihr Schulheft geschrieben hat. „Darf ich heute bei dir schlafen? MARQUARD schreibt darunter in Großbuchstaben: „NEIN!“ LUCIA macht ein trauriges Gesicht. Dann gibt sie MARQUARD einen Kuss auf den Mund und geht. MARQUARD geht wieder auf den Balkon, zündet sich eine Zigarette an und schaut auf das Meer.

67.
Im Schlafzimmer von MARIA und MARQUARD. MARIA zieht den Vorhang auf und öffnet das Fenster. Die Sonne ist schon aufgegangen.

68.
MARIA öffnet die Tür zu MARQUARDS Atelier. Da steht noch immer das Bild mit dem großen roten „X“. MARQUARD ist nicht da. MARIA geht zum Telefon und wählt eine Nummer. MARIA: Hallo Eleonore. – Ich mach mir langsam Sorgen. Marquard ist seit drei Tagen verschwunden. – Es könnte ja sein, dass er mit seinem Motorrad einen Unfall hatte und jetzt liegt er vielleicht halbtot in irgendeinem Krankenhaus. – Kennst du Angie? – Diese Blondine, die bei der Preisverleihung war. Vielleicht hat er sich mit ihr aus dem Staub gemacht. – Ich mache jetzt auf jeden Fall eine Vermisstenanzeige bei der Polizei. – Tschau. MARIA wählt eine andere Nummer. MARIA: Guten Morgen GREGOR. Ich hab schlecht geschlafen heute Nacht. Marquard ist immer noch nicht da. – Kannst du bitte sofort herkommen und mit mir zur Polizei gehen? – Ich kann Bullen nicht leiden, und du hast so eine wunderbar seriöse Ausstrahlung. - Deine Pferde können auch mal alleine Gras fressen. Bitte komm!

69.
Polizeirevier. MARIA und GREGOR sitzen vor einem POLIZEIBEAMTEN. MARIA: Sie ist blond und heißt Angie. Mehr weiß ich nicht. GREGOR: Ich kann Ihnen da weiterhelfen. Sie heißt Angela Angler und wohnt in Schöneberg. Sie studiert an der FU Philosophie. Zu mir kommt sie zweimal die Woche zum Reiten. Ich kann Ihnen auch das Kennzeichen seines Motorrads geben. Es ist „B- MM 714“. POLIZEIBEAMTER: Damit kommen wir bestimmt weiter. Aber Frau Abendroth, versprechen kann ich Ihnen nichts. Zu uns kommen jeden Tag zwanzig, dreißig Frauen, denen die Männer weggelaufen sind.

70.
Wohnung Angie. ANGIE läuft unruhig in ihrer Wohnung herum, überfliegt die Zeitung, guckt in ihrem Laptop nach neuen emails, nimmt ihr Handy in die Hand und wählt dann eine Nummer. ANGIE: Ich bin Angela Angler. – Sie haben mich auf der Preisverleihung kennengelernt. – Können wir das im Moment mal vergessen. Ich habe einfach panische Angst, dass ihm etwas zugestoßen ist. – Wir müssen jetzt zusammenhalten:

71.
Küche von MARIAS Wohnung. MARIA, GREGOR und ELEONORE trinken Kaffee. MARIA legt das Telefon auf. MARIA: Das war Angie. Sie ist in einer Viertelstunde hier. Wenigstens ist er nicht mit ihr zusammen. GREGOR: Ich denke, dass er tot ist. So wie er manchmal mit einer Flasche Wodka intus Motorrad fährt, will er das auch. Vielleicht ist er jetzt glücklich? ELEONORE: Ich hab das schon immer vorausgesehen. Er war ein Blutsauger, der deine Liebe nur ausgenutzt hat. MARIA: Ich habe ihn gerne von meinem Blut saugen lassen.

72.
Am Meer. MARQUARD und LUCIA spazieren langsam am Strand entlang. LUCIA findet immer wieder Muscheln, die sie MARQUARD zeigt.

73.
Flur von MARIAS Wohnung. MARIA öffnet die Türe. Vor ihr steht ANGIE. ANGIE: Ich bin Angela Angler. Sie dürfen mich Angie nennen. MARIA: Guten Tag Angie, kommen Sie rein.

74.
Küche. MARIA, GREGOR, ELEONORE und ANGIE sitzen zusammen. ANGIE: Ich liebe ihn. Das dürfen Sie mir nicht übel nehmen, Frau Abendroth. Gegen Liebe kann man nichts machen. Das Telefon klingelt. MARIA: Vielleicht ist das Marquard. Sie rennt zum Telefon und nimmt ab. MARIA: Ja hallo. – Ach Sie sind es. – Vielen Dank. MARIA legt auf. MARIA: Das Polizeirevier. Sie haben sein Motorrad gefunden. Es steht vor dem Haus von LUCIA. Das ist seine Tochter. Gottseidank ist er nicht mit dem Motorrad unterwegs.

75.
Ein Sonnenuntergang. MARQUARD sitzt am Steuer von LUCIAS Auto. LUCIA schreibt ganz schnell etwas in ihr Schreibheft und zeigt es MARQUARD: „Hier will ich immer bleiben. Hier möchte ich sterben.“ MARQUARD hält den Wagen an. Beide steigen aus und gehen hinunter zum Wasser.

76.
Am Strand. MARQUARD und LUCIA setzen sich in den Sand und beobachten die Sonne, die über dem Meeresspiegel untergeht. MARQUARD möchte etwas in LUCIAS Schreibheft schreiben. Sie gibt es ihm und auch den Kugelschreiber. Er schreibt: „Ich auch!“.

77.
Die Sonne scheint immer noch, denn es ist der schönste Frühling seit vielen Jahren. GREGOR hält mit seinem Wagen vor seinem Reiterhof. GREGOR (zu MARIA, die neben ihm im Auto sitzt): Ich muss nur noch meiner Aushilfe ein paar Sachen sagen, ich bin in fünf Minuten wieder da. Dann haben wir eine Woche Zeit. MARIA: Ich bin wie betäubt. Mach mit mir, was du willst. Von mir aus kannst du auch eine Stunde wegbleiben.

78.
Ein Park. MARIA und GREGOR spazieren durch einen Park mit uralten Eichen. GREGOR: Diese Eichen sind tausendzweihundert Jahre alt! Sie haben alles überlebt: alle Kriege und alle Krankheiten. MARIA geht zu einer Eiche und fasst sie an. GREGOR: Unter diesem Baum hat vielleicht Karl der Große manchmal ein Picknick gemacht. Oder Kant. Hier könnte ihm die erste Idee zu seiner „Kritik der reinen Vernunft“ gekommen sein. Vielleicht hat sich auch Goethe hier mal mit Schiller getroffen. MARIA sagt nichts.

79.
Im Auto in einer flachen Landschaft. GREGOR sitzt am Steuer. MARIA: Ich hatte völlig vergessen, wie schön es ist, mit dir Auto zu fahren.

80.
Am Meer. MARIA und GREGOR spazieren Hand in Hand am Strand. Sie setzen sich in den Sand. MARIA: Ich glaube, ich habe nie aufgehört, dich zu lieben. MARIA küsst GREGOR zärtlich. MARIA: Alles, was ich auf Moorea erlebt habe, hat sich wie eine Nebelwand zwischen dich und mich geschoben. Ich konnte dich nicht mehr sehen. In Moorea war alles so strahlend hell. Das war wie eine Zeitreise ins Paradies.

81.
Strasse vor LUCIAS Haus. LUCIA parkt in eine Parklücke. Dann schreibt sie etwas in ihr Schulheft und zeigt es MARQUARD: „Der Zauber hat gewirkt. Jetzt darfst du wieder sprechen“. MARQUARD: Ich weiß gar nicht, ob ich in Zukunft noch sprechen will. MARQUARD küsst LUCIA. LUCIA: Das war die schönste Zeit meines Lebens.

82.
Vor einer Apotheke. MARQUARD stoppt sein Motorrad und geht in die Apotheke.

83.
MARQUARDS Atelier. MARQUARD steht vor dem leeren Bild mit dem roten „X“ und beginnt es zu übermalen.

84.
Küche. MARQUARD holt aus dem Kühlschrank eine volle Wodkaflasche. Er öffnet sie und lässt etwa vierzig Tabletten in die Wodkaflasche fallen, die sich dort langsam auflösen.

85.
MARQUARDS Atelier. MARQUARD malt weiter und trinkt immer wieder einen Schluck Wodka. Am Anfang sind seine Pinselstriche wild und schnell. Er weiß genau, was er tut. Je mehr er trinkt und je mehr er malt, desto langsamer werden seine Bewegungen. Er arbeitet wie in Zeitlupe. Als das Bild fertig ist, gelingt es ihm nur noch mühsam sein „MM“ in grellroter Farbe auf das Bild zu malen. Dann bricht er zusammen. Aber er steht wieder auf und schaut auf das fertige Bild. Es zeigt einen Mann und eine Frau, die miteinander schlafen. Die Frau hat zwei Gesichter. Im Hintergrund ein Strand mit Palmen. Er schleppt sich langsam in die Ecke seines Ateliers und legt sich dort auf eine auf dem Boden liegende Matratze. MARQUARD (flüstert unendlich langsam): Eigentlich wollte ich Euch allen noch einen Brief schreiben. Hab’s nicht mehr geschafft. MARQUARD schläft ein.

 

 

THE END

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