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Cynthia Beatt und Rudolf Thome im Gespräch mit Sylvia Andresen, Alf Bold und Wilhelm Roth

Kompromiß

Alf Bold: Im Text der „Filmkritik“ zur Methode des Drehens habt Ihr gleich am Anfang Truffaut zitiert: Daß das Filmemachen am Anfang das Realisieren eines kühnen Traums sei, dann wegen der Schwierigkeiten, die sich dem ursprünglichen Plan entgegenstellen, zu einem fortlaufenden Kompromisseschließen werde und damit ende, daß man froh sei, den Film überhaupt zu einem Ende zu bringen. – War es bei Euch auch so?

RT: Das war so, wie ich es vorher geschrieben habe. Nach drei Monaten Drehzeit hat sich abgezeichnet, was das für ein Film werden könnte. Aber bis zum Schluß waren wir fiebrig, war es möglich, war es möglich, noch eine ganz tolle Szene zu drehen, die alles wieder etwas anders aussehen läßt. Es war keine Resignation, kein Kompromisse schließen.

Wilhelm Roth: Aber gab es mal einen Punkt, wo Ihr gesagt habt, wenn er nur wenigstens fertig wird, der Film?

RT: Nein, das war überhaupt nie eine Frage. Aber in den ersten drei Monaten wurden wir einfach von den Dingen, die passierten, überrollt. Am Anfang haben wir uns viel Zeit gelassen, denn wir wußten: sechs Monate dauert das, das ist unheimlich viel Zeit. Aber nach drei Monaten wurde der Kameramann krank, dann unter noch schlimmeren Umständen auch die anderen, mußten ins Krankenhaus. Wir mußten einen Notflug durchführen lassen. Unser Boot ging kaputt. Wir saßen plötzlich zu dritt auf der Insel und hatten nichts, konnten nicht weg. Da habe ich nicht mehr große Hoffnungen gehabt, überhaupt noch jemals da einen Film zu machen.

Sylvia Andresen: Hattet Ihr in den ersten drei Monaten überhaupt noch nichts gefilmt?

RT: Doch, doch, aber nicht viel. Wir haben dann eine Woche ganz konzentriert gearbeitet, als Cynthia und der Tonmann aus dem Krankenhaus zurückkamen. Dann habe ich mich von meinem Kameramann getrennt und habe nocheinmal zwei Wochen riskiert, bin nach Sydney geflogen und habe einen neuen Kameramann gesucht.

Die Gruppe

RT: Man könnte, wenn man die Leute, die wir mitgenommen haben, im Film sieht, sagen: Ihr habt nicht die richtigen Leute mitgernommen. Das glaube ich nicht. Wir hätten jeden mitnehmen können, und es wäre genau das Gleiche passiert.

CB: Davon bin ich absolut überzeugt.

RT: Es ist die Situation, die man sich hier überhaupt nicht vorstellen kann, die die Leute da wahnsinnig macht.

Wilhelm Roth: War die Auswahl der Leute, die mitfuhren, wirklich so, wie Ihr sie Euch vorgestellt habt, auch was die Berufe der Leute  anging, ihre Qualifikationen? Oder war da schließlich auch etwas Zufall dabei?

RT: Überhaupt nicht. Wir wollten aber auch keine Fachwissenschaftler, keinen Botaniker; einen Ethnologen hätten wir schon gerne gehabt, wir hatten eine Ethnologie-Studentin, die Gabrielle. Der Otto ist Architekt, das schien mir auch sinnvoll. Die Susanne, die hat vielleicht noch am wenigsten beruflich Zugang zu dem, was wir da machen wollten. Sie sammelt die Pflanzen. Sie hat sich im Botanischen Institut in Hamburg informiert, hat einen kurzen Kurs gemacht – was wir übrigens hier auch gemacht haben, Cynthia und ich.

Alf Bold: Ihr habt Edda, die Malerin, mitgenommen. Man würde doch annehmen, daß man heute in solchen Fällen fotografieren würde.

CB: Ich wollte immer jemand haben, der Zeichnungen macht. Ich kannte sie nicht, kannte aber ihre Zeichnungen.

RT: Captain Cook und die anderen Entdeckungsreisenden in der Südsee haben immer einen Zeichner dabeigehabt. Wir haben uns diese alten Bände hier in der Staatsbibliothek angeschaut und sind einfach verrückt geworden, über die Sorgfalt, über die unglaublich schönen Bilder. Das war sicher ein Grund, warum wir eine Zeichnerin mitgenommen haben.

CB: Die Leute haben alle am Ende etwas gebracht für den Film. Wenn ich diese Traumsequenz von Susanne sehe, dann sage ich: deswegen haben wir sie mitgenommen, weil es so phantastisch ist. Und die Szene mit Gabrielle, wo sie über die Verwandtschaft redet und die Probleme, das zu verstehen, das ist für mich auch eine wunderbare Szene.

Außenbeziehungen

Wilhelm Roth: Was mich verblüfft hat, sind die starken Beziehungen der Einwohner zur westlichen Zivilisation. Mich würde interessiern: Wie passieren eigentlich die Aussenbeziehungen der Leute dort?

RT: Es gibt etwa fünf, sechs Schiffe, die den nördlichen Distrikt befahren, die kommen in unregelmäßigen Abständen. Die kaufen Kopra (Kokosnußkerne), und auf den Schiffen gibt es manchmel, nicht immer, was zu kaufen. Manche Schiffe sind wandelnde Läden.

Wilhelm Roth: Ich erinnere mich an die Szene mit dem Radio. Ist ein Radio dort etwas ganz Seltenes?

RT: Es gibt etwa acht oder zehn Radios im Ort, fast jedes Haus hat eines. – Was einen größeren Einfluß als die Schiffe hat, sind Jachten. Während der Zeit, in der wir da waren, waren etwa zwölf Segeljachten auf der Insel. Diese Leute bleiben manchmal nur ein paar Stunden, manchmal bleiben sie aber auch eine Woche. Die rennen überall rum auf der Insel, schauen sich alles an. Das sind Touristen, Segler, nicht nur ganz reiche Leute. Da war zum Beispiel ein älteres englisches Zahnarztehepaar, das segelte schon seit drei Jahren um die Welt. Das hat den Leuten gesagt, sie sollen kommen, wenn ihnen an den Zähnen was fehlt.

CB: Nicholson, der kleine Junge, der um den Radiorecorder handelt, ist immer der erste, der zu den Schiffen geht. Es gibt Leute, die Kontakt halten zu den Fremden, und es gibt andere, die überhaupt keinen Kontakt haben wollen.

Kultur und Verwaltung

RT: Custom ist für die Eingeborenen alles, was ihre Kultur darstellt, bevor der Weiße, bevor die Kirche kam.

Sylvia Andresen: Was ist dann der Custom-Chief?

RT: Der Custom-Chief ist eingesetzt worden durch die Vanuaku-Partei. Die ist vor acht, neun Jahren gegründet worden; sie war nicht die erste Partei, es gab auch eine, die den Franzosen nahesteht. Die Vanuaku-Patei wollte zwar Dinge aus unserer Kultur übernehmen, die sie brauchen konnte, wollte aber auch die eigene Kultur wieder stärken. Deshalb hat sie auf jeder Insel einen Custom-Chief wählen lassen. Der Custom-Chief von Ureparapara ist dieser Jonathan, der am Anfang mit Cynthia aspricht. Es gibt auch einen Chief, der wird gewählt vom Dorf, immer nur für bestimmte Zeiträume.

CB: Der Chief ist so etwas wie der Bürgermeister; der Custom-Chief ist ein weiser Mann; er heilt. Er hat eine ganz besondere Magie. Sie sagen, er kann fliegen. Sie sagen, er hat seine Magie bekommen von einem Zauberer auf einer anderen Insel, der hat ihn geschnitten und etwas in sein Blut hineingetan; dadurch kann er spüren, was einem fehlt, auf den er die Hände legt.

Sylvia Andresen: Gibt es auch einen Vertreter des Gesetzes?

RT: Das machen die beiden. Es kann aber auch sein, daß man über Radio die Polizei aus der Hauptstadt holt. Ich habe einmal auf einer anderen Insel erlebt, als ich Filmmaterial abholen wollte, daß eine Sondertruppe Polizei kam, bewaffnet mit Schlagstöcken wie bei einer Demonstration hierzulande, aus dem Flugzeug stieg und auf ein Schiff ging. Am nächsten Tag kamen sie zurück mit zehn Leuten in Handschellen. Da hatten auf einer Insel die Leute den British District Officer nicht in ihr Dorf gelassen, hatten ein Tabuzeichen errichtet. Aber er ist rein, da haben sie ihn eingesperrt für eine Nacht, haben ihn wohl auch geschlagen. Was ich gesehen habe, war die Strafexpedition dafür. Die Geschichte ging dann einigermaßen gut aus. Die Leute kamen vor Gericht: neun haben sie gleich wieder nach Hause geschickt, der Anführer mußte für drei Monate in den Knast.

Wilhelm Roth: Wie ist die Verwaltung organisiert?

RT: Die Neuen Hebriden sind englisch-französisches Condominium, das einzige auf der ganzen Welt. Die Gründung war 1906.

CB: Es gibt zweimal die Polizei, zwei Krankenhäuser usw., alles zweimal.

RT: Im nächsten oder übernächsten Jahr werden sie unabhängig, endgültig.

CB: Hoffentlich.

Verständigung

RT: Cynthia kam zwei Tage vor Schluß, als sie alles hatte über das Tamate-System und sagte: es ist alles falsch.

CB: Nein, das stimmt nicht.

RT: Du hast rausgefunden, daß es das System von Mota ist oder ein Mischmasch, was du vorher nicht wußtest, weil du plötzlich mit einem anderen gesprochen hast, mit George.

CB: Nach dieser Szene habe ich dann immer weiter gearbeitet bis zum Ende, und hab dann immer mehr und mehr komplizierte Sachen herausgefunden. Und das ist auch in dieser Szene drin. Man versteht einen Teil, man versteht nicht ganz.

RT: Oberflächlich glaubst du, alles zu verstehen; wenn du mehr reinkommst, merkst du plötzlich, wie wenig du verstehst. Ich habe zum Beispiel manche Lieder übersetzt, die da gesungen werden von George,. Der Mann, der am besten Englisch spricht und der Lehrer. Wir haben  an drei, vier Zeilen manchmal drei, vier Stunden gesessen. Wenn du dann da genau sein willst, verirrst du dic immer mehr. Bei der Hochzeitszeremonie zum Beispiel, kauft einer das Kind von dem anderen. Da sagen die Väter „…unsere Freundschaft ist jetzt zu Ende.“ Was soll das bedeuten? Da stimmen unsere ganzen Kategorien nicht mehr. Du brauchst ganz lange, um zu verstehen, was das Wort „pulpul“  (Freundschaft) bedeutet. Ist das auch Liebe? Und dann meinst du, du hast es, und dann sagen die dir wieder eine Bedeutung, da stehst du einfach vor einem Brett und kommst überhaupt nicht mehr durch. Und dann sind beide Seiten erschöpft, und dann brauchst du eine neue Sitzung, um diese neue Unklarheit wieder zu beseitigen. Es ist also eine Lebensaufgabe, eigentlich.

Alfred Bold: Bei der Hochzeit hatte ich den Eindruck, daß die beiden Väter jeweils den andern Brautpartner kaufen.

RT: Richtig. Und du wirst noch mehr verblüfft sein, daß die Kaufsumme jeweils 90 Dollar beträgt, was sehr viel Geld ist. Aber nicht die Väter kriegen dieses Geld, sondern sie müssen davon das Ausrichten der Hochzeit bezahlen. Essen besorgen, es muß ja extra angebaut werden, es muß geerntet werden, es müssen Geschenke gemacht werden, es muß gekocht werden. Die Leute, die diese ganzen Vorbereitungen machen, werden dafür bezahlt. Wenn also zwei heiraten, findet ein Geldkreislauf durch das ganze Dorf statt, wo eigentlich keiner wirklich was kriegt, sondern wo es um das Geben und Weitergeben geht. Man kann es mit unserem Geld nicht vergleichen. Auch deren Kaufbegriffe sind ganz anders. Geld ist ein Mittel der Kommunikation, und nicht eine Sache, um etwas zu erwerben.

Alf Bold: Was habt Ihr eigentlich, wenn man diese Verständigungsschwierigkeiten bedenkt, auf der Insel erfahren, was Ihr vorher noch nicht wußtet?

RT: Ich habe beim Schneiden des Films, als der Film allmählich Gestalt annahm, das Gefühl gehabt, so wie der Film jetzt ist, in der Länge, in der Art, wie die Dinge aufeinander folgen, übermittelt er indirekt, nicht direkt, ein Gefühl, wie es ist, ein halbes Jahr auf so einer Insel zu leben. Es wird ein Rhythmus transportiert von dem Leben da, und das Leben ist ganz, ganz anders als hier. Dieses Gesamtbild drückt der Film für mein Gefühl ganz genau aus. Ich kann mich irren, ich weiß es nicht. Das ist jedenfalls das, was ich mitgekriegt habe, eine völlig andere Art von Leben, eine völlig andere Welt, ein völlig anderer Lebensrhythmus. Ich habe das Gefühl, ich war auf einem anderen Planeten.

Utopie

Wilhelm Roth: Es gibt in den letzten Jahren plötzlich ein großes Interesse an Ethnographie. Hat das auch zu tun mit politischer Resignation? Sucht man da eine Form von Leben, die man selber nicht hat? Warum seid Ihr da eigentlich hingefahren? Habt Ihr dort tatsächlich die Utopie von einem anderen Leben gefunden, die für uns in irgendeiner Form – warum sieht man Filme? – verbindlich sein könnte? Oder ist das dort auch schon dabei, zerstört zu werden? War das also auch schon eine Art Abgesang? Was bedeutet es für Euer eigenes Leben, ganz abgesehen vom Film, daß Ihr da wart? Lebt Ihr jetzt anders?

RT: Das Projekt ist als präzises Projekt 1975 entstanden. Aber schon nach „ROTE SONNE“ habe ich 1969 angefangen, an einen Südseefilm zu denken. Dem WDR habe ich im Sommer 1970 einen Südseefilm vorgeschlagen. Aber denen war das zu gespenstisch, zu weit weg, zu gerfährlich, zu riskant. Die haben dann „SUPERGIRL“ gemacht, weil da schon ein Drehbuch da war. Und dann habe ich die Cynthia kennengelernt beim Forum 1974. Und Cynthia hat mir erzählt, daß sie auf Fidschi war, auf Fidschi aufgewachsen istz. Plötzlich löste sich für mich dieser ganze Nebel. Es war weniger ein Traum, es war eine Realität zum ersten Mal. Dann: Ihr kennt ja meine Vorliebe für Murnaus „TABU“. Das hat sicherlich auch etwas in dieser Richtung bewirkt.

CB: Ein Jahr, nachdem wir angefangen hatten, an diesem Film zu arbeiten, haben wir beide nochmal „TABU“ gesehen und haben gefühlt, wie wenig „TABU“ zu tun hat mit ethnologischen Fragen.

RT: Daß „TABU“ stattdessen zeigt, was im Kopf von Murnau passiert.

Wilhelm Roth: Was bedeutet es nun für Euch, daß Ihr da gewesen seid? Was kann es für einen Zuschauer bedeuten?

RT: Es ist natürlich ein Traum – von mir. Von Cynthia weniger, weil sie ja da aufgewachsen ist. Aber von mir und allen Leuten, die hier leben, ist es doch ein Traum, eine Insel in der Südsee. Was ich ja öfter schon in Filmen gemacht habe, ist, ich habe versucht, einen Traum wirklich zu machen, und das gefilmt. Beim Filmen eines Traums soll man ja nicht versuchen, das alles noch mit einem Glorienschein zu umgeben, sondern man soll die Sachen so zeigen, wie sie sind. Und der etwas desillusionierende Anblick unserer Leute auf der Südseeinsel: das ist eben so, wenn man als Weßer auf eine Südseeinsel geht. Wir wirken da einfach etwas deplaziert.

CB: Wenn man eine Szene im Film sieht, in der es uns gibt, die Weißen, und die Leute von der Insel, dann sind wir so schrill. Die Leute dort sind so zurückhaltend.

Wilhelm Roth: Habt Ihr noch das Paradies so gefunden, wie Ihr Euch das vorgestell habt?

RT: Es ist noch das Paradies. Obwohl es eine Kirche gibt, obwohl die Leute jeden Morgen um sechs Uhr und am Abend um sechs Uhr in die Kirche gehen, obwohl der Pfarrer, der aber auch ein Schwarzer ist, die Leute ziemlich unter seiner Fuchtel hat, obwohl es bereits Geld gibt, obwohl auch gestohlen wird, nicht viel, aber doch auch, obwohl es also Dinge gibt, die zu unserem Paradisbild nicht passen, würde ich sagen: es ist eins.

CB: Am wichtigsten finde ich, wie die Menschen da miteinander umgehen. Das ist für mich die schrecklichste Sache hier; ich will zwar hier mit Leuten zu tun haben, aber ich kann es nicht. Dort sind die Leute sehr tolerant, wir sind dagegen sehr intolerant miteinander, unheimlich schuldbewußt. Sie haben dort eine Wärme miteinander, eine physische Beziehung, die hier fast niemand mehr hat. Wenn einer böse mit einem anderen ist, wird das offen ausgesprochen, nicht diese verkrampfte Wut im Magen, die die Leute hier haben.

RT: Die leben natürlich auch nicht unter solchen Umständen wie wir hier. Sie leben nicht isoliert. Es gibt nichteinmal einen privaten Raum. – Das bringt mich noch einmal auf die Frage nach der Regierung. Es gibt den Custom-Chief und den Chief. Aber die ältesten Männer im Dorf wie George, wie Atkin, die haben einen ungeheuren Einfluß. Die Rolle von Georghe ist fast so stark wie die vom Custom-Chief, auf jeden Fall stärker als die vom Chief. Er ist der älteste Mann, er genießt den größten Respekt, und wenn irgendeine Entscheidung getroffen werden muß, ob die und die heiraten sollen, weil sie miteinander geschlafen haben, beraten die Älteren das gemeinsam. Die Entscheidungen werden im Grunde gemeinsam und fast einstimmig getroffen. Es gibt keine direkten Gegensätze. Durch das enge Zusammenleben werden die Gegensätze ausgeglichen und überbrückt.

Männer und Frauen

Sylvia Andresen: Diejenigen, die die Entscheidungen treffen und die, mit denen Ihr gesprochen habt, waren eigentlich immer nur Männer. Die Frauen haben wohl eine ganz untergeordnete Stellung. Haben die das von uns übernommen?

RT: Nein, das war schon immer so. Das ist das, was wir am genauesten wissen. In den Geschichten spielen Frauen oft eine schlechte Rolle auf den Inseln. Da gibt es eine Geschichte auf Reef-Island, da stehen braune Stalaktiten, die kommen aus dem Boden raus, da war früher der Tanzplatz, da haben Männer getanzt, dann haben Frauen zugeschaut, da sind die Männer alle erstarrt.

CB: Da fehlt aber wirklich etwas in dem Film. Ich habe zum Beispiel Gespräche mit Nancy, wenn ich dusche, in dieser einen Szene, wo sie mir erzählt, sie will nie heiraten. Ihre Schwester Rebecca, die ist jünger als ich, hat schon fünf Kinder; für die ist das unheimlich hart. Und ganz am Ende hatte ich Gespräche mit einer Frau, die mir erzählt, was für sie ein guter Mann ist, nämlich jemand, der sich auch um die Kinder kümmert und das Geld teilt. Das sind Sachen, die nicht im Film sind, obwohl sie wichtig sind.

Ein Spielfilm

RT: Es gab ein paar Szenen, in denen wir die Leute ausgetrickst haben, wo wir filmen wollten, ohne daß sie es merkten. Diese Szenen aber haben in den Film nicht reingepaßt, sie haben bei mir ein moralisches Unwohlsein ausgelöst. In allen anderen Szenen des Films wissen die Leute, daß sie gefilmt werden. Was sie machen, spielen sie. Es ist gespielt, es passiert mit ihrem Einverständnis.

Alf Bold: Was Ihr hier gemacht habt, ist im Grunde in der Methode gedreht, die du, Rudolf, in „MADE IN GERMANY“ und „TAGEBUCH“ entwickelt hast.

Wilhelm Roth: Wenn Ihr Euch, die europäische Gruppe, im Film streitet, ist das dann ein Streit, der nur in diesem Augenblick stattfindet?

RT: Das war kein Streit, die haben doch nur gespielt.

Wilhelm Roth: Da hatte ich tatsächlich das Gefühl…

Alf Bold: Aber Wilhelm…

RT: …wenn in „MADE IN GERMANY“ die Karin mit dem Eberhard redet, weiß du doch auch nicht mehr, ob es wirklich ist oder Spiel.

Wilhelm Roth: Wie habt Ihr geschnitten? Was war in der ersten 7-Stunden-Fassung noch drin?

RT: Es gibt wesentlich mehr Szenen über die Arbeit der Leute, sowohl der Europäer wie der Leute von der Insel. Jede Sache, die drin ist, ist quasi nur noch ein Beispiel.

Alf Bold: Andererseits, das Unwesentliche, das manchmal im Film ist, finde ich oft das Faszinierendste. Wenn die Edda da langläuft, bei dir stehen bleibt und dann sagt, eigentlich wollte sie nur zur Toilette.

RT: Der Rhythmus, wie sie geht, wie sie sitzt, das ist ja nun auch wieder das Wesentliche. Kriegt man in diesem Film das Gefühl vom Leben auf der Insel? Dieses Gefühl zu vermitteln, brauchten wir solche Szenen. In den Szenen mit uns wird der Alltag gezeigt. Die großen Dinge, die passiert sind, wenn einem das Trommelfell platzt, oder wenn unser Boot kaputtgegangen ist oder wenn diese schlimmen Krankheiten bei Cynthia ausgebrochen sind – wie ihre Beine ausgesehen haben, das war grauenhaft -, diese Sachen, die sieht man alle gar nicht. Die kommen nur als Reflexe in den Gesprächen vor. Alles, was passiert, passiert eigentlich nicht im Bild.

Alf Bold: Die Kamera hat einen erstaunlichen neutralen Blick. Ich habe eigentlich nirgendwo den Eindruck, daß du Stellung beziehst bei der Aufnahme.

RT: Du kennst das Problem, daß man etwas verändert, wenn man es beobachtet, daß man nie etwas obkektiv sehen kann. Außerhalb zu sein, das wollte ich von Anfang an. Wir wollten die Leute auf der Insel nicht zur Schau stellen. Es gab auch Konflikte innerhalb unserer Gruppe. Ich war nun nicht nur vom ursprünglichen Konzept her prgrammiert, neutral zu sein, sondern auch noch beim Drehen, in etwas schwierigeren Situationen. Ich hatte bis zum Ende einen sehr guten Kontakt zu Cynthia wie zu den anderen vier Schauspielern. Die anderen vier und Cynthia haben kaum mehr miteinander geredet, und ich mußte mit allen den Film machen. Oder: wir mußten alle zusammen den Film machen.

CB: Rudolf ist selbst ein neutraler Mensch, deshalb macht er neutrale Filme. Das respektiere ich sehr. Das ist für mich fast die wichtigste Sache.