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Frankfurter Rundschau, 11.2.94   A. Schmitt-Gläser, Mystischer Eros
Der Tagesspiegel, 30.12.93   H. Martenstein, Ein Jazz aus Bildern



MYSTISCHER EROS
Rudolf Thomes Spielfilm "Die Sonnengöttin"

A. Schmitt-Gläser
Frankfurter Rundschau
11.2.94
Fremd wirkt der Film, so surreal wie die vielversprechenden Schaufensterposter der Reisebüros, die an die Sehnsüchte von Freiheit, Sonne und Abenteuer appellieren, deren farbenprächtige Ikonografie aber höchstens noch einen nostalgischen Wert hat. Vom Meer handelt der Film und den Wellen, von einer einsamen Inselbucht, der unendlichen Weite des Horizonts und traumhaften Lichtstimmungen. Der Film, fotografiert von Reinhold Vorschneider, schöpft optisch aus dem vollen und hat doch nichts von der geleckten Bacardi-Fröhlichkeit. Er gaukelt Idylle nicht vor, er stellt sie in aller Ruhe aus, damit wir sie betrachten können wie die Postkartenmotive der Reisebürokataloge. Insofern hat sich Rudolf Thomes neuer Film, der ganz anders ist als seine früheren, als "Berlin Chamissoplatz" oder "Liebe auf den ersten Blick" etwa, doch das Konzept vom dokumentarischen Spielfilm bewahrt.

Er fängt da an, wo Thome seine Filme gerne enden läßt: ein früheres Liebespaar kommt nach einer langen Trennung wieder zusammen. Der New Yorker Filmkritiker Richard Todd (John Shinavier) schreibt ein Buch über Murnau und reist nach Berlin. Dort trifft er die Malerin Martha (Radhe Schiff) wieder, und es ist nach einer kurzen Zeit der Fremdheit schöner und geheimnisvoller als es je war.

Nach dem frühen, emotionalen Höhepunkt stürzt sich Richard in die Arbeit. Mit Martha sieht er sich Murnaus Südseefilm "Tabu” mit jener aufwühlenden Tanzszene an, in der die geheiligte und für Männer unantastbar gewordene Jungfrau erkennt, daß sich ihr der Geliebte trotz des Verbotes nähert. Nachher stoßen Richard und Martha in einem Park auf eine alte Statue, die Martha sehr ähnlich sieht. Das wunderschöne, in Stein gemeißelte, kniende Mädchen streckt die Arme dem Himmel entgegen. Zunächst ist die Figur nur ein seltsamer Fetisch, denn der Zufall will es, daß ein Babyfoto von Martha in der selben Pose existiert. Doch bald wird die Statue mehr: der Auslöser für eine unbestimmte Suche der beiden nach den Anfängen ihres gemeinsamen Seins. Sie lassen Malerei und Murnau liegen und reisen nach Griechenland. In Athen studieren sie in einem Museum das 3000 Jahre alte Original der Statue, der Sonnengöttin. Für Richard ist die steinerne Figur eins geworden mit Martha.

Eine Form von fast autistischer Selbstvergessenheit bestimmt die Erzählhaltung in der zweiten Hälfte des Films. Die Verzauberung des Alltags, die Thomes Geschichten immer zu einer Gratwanderung zwischen äußerster Künstlichkeit und beruhigender Einfachheit machten, findet nur noch fragmentarisch statt. Die beiden überlassen sich in beinahe wortloser Übereinkunft der phantastischen Idee von der Reinkarnation der Liebe. Wieder und wieder fotografiert Richard Martha am Strand in der Sonnengöttinnenpose; durch den Sucher der Kamera ergreift er Besitz von ihr. Sie erwidert diese spirituelle Liebe durch völlige Hingabe an seine Anweisungen.

So wird aus der alltäglichen Liebe die höchste Form des mystischen Eros, ein Akt der Schöpfung. Martha, das Modell wird für Richard, den Künstler und Bildhauer, zum Stoff, aus dem er eine grazile archaische Ikone erschafft. Marthas Identifikation mit der Sonnengöttin geht soweit, daß die Grenzen zwischen Nachahmung und Original verfließen. In der markantesten Szene des Films führt sie einen urtümlichen, stampfenden Tanz um ein Feuer auf. Der Kreis zu Murnaus Heldin schließt sich.

Das Spannende an dem ungewöhnlichen, für manche sicher zu esoterischen Film ist, daß Thome immer seinen quasiethnografischen Blick bewahrt und dadurch das Gefühl von Authentizität gibt. Er läßt der Szene ihre natürliche Spieldauer, vermeidet aufwendige Kamerafahrten oder überflüssige Schnitte. Eine völlig offene mise en scène kennzeichnet den Film: Nie, glaubt man, können Regisseur oder Schauspieler mit den mysteriösen Vorgängen, die sie ausgelöst haben, mehr anfangen als wir. Deshalb macht es Sinn, daß Thome mit der wunderschönen exotischen Radhe Schiff und dem ebenso attraktiven John Shinavier zum ersten Mal zwei amerikanische Schauspieler besetzt hat, die - wie die Models aus der Bacardi-Werbung - nur aus gefälliger Oberfläche zu bestehen scheinen. Durch ihre Gesichter hindurch können wir manchmal die tiefen Dimensionen unseres Unterbewußtseins ahnen.



JAZZ AUS BILDERN
"Die Sonnengöttin", der neue Film von Rudolf Thome

H. Martenstein
Der Tagesspiegel
30.12.93
Der Berliner Regisseur Rudolf Thome hat lange als Filmkritiker gearbeitet. In seinem neuen Werk "Die Sonnengöttin" spielt ein Filmkritiker die männliche Hauptrolle. Es ist ein Bild von einem Mann. Sogar in der Badehose macht der athletische John Shinavier seiner im Durchschnitt eher unsportlichen Berufsgruppe Ehre. Mögen manche Kritiker mit dem neuen Thome, mit "Die Sonnengöttin" auch Schwierigkeiten haben: für diese Besetzungsidee müßten ihn alle umarmen.

Falls das Leben, wie man so sagt, ein langer ruhiger Fluß ist, dann hat dieser Film sich dem Leben stark angenähert. Nein, vielleicht ist es ja gar kein Film. Ein Trip. Ein Musikstück, langsam gespielter Jazz, über das Grundthema: Liebe muß, wenn sie sich ereignet, Zauberei sein. Man weiß ja, daß Rudolf Thomes Filme immer auf den ersten Blick von der Liebe handeln und darin oft etwas anderes aufheben, in "Liebe auf den ersten Blick" war es das Thema der deutschen Vereinigung. Aber hier? "Die Sonnengöttin" sollte ursprünglich eine Fortsetzung von "Liebe auf den ersten Blick" werden, mit den gleichen Schauspielern. Statt dessen ist ein Film mit amerikanischen Hauptpersonen daraus geworden, der synchronisiert wurde, der erste synchronisierte Thome, ein Roadmovie von New York nach Berlin, von Berlin nach Athen, von Athen nach Santorin, eine Zeitreise vom gegenwärtigsten aller Länder, USA, in das vergangenste, nach Griechenland, zurück von den Mythen der Jetztzeit, den Laptops und Kinos und Quickies zu den Mythen der Antike, dorthin, wo alles noch für die Ewigkeit gemacht war, sogar die Gefühle.

Shinavier, der New Yorker Filmkritiker, bekommt ein Stipendium. Er darf nach Berlin, um dort ein Buch über Murnau zu schreiben, Rudolf Thomes Lieblingsregisseur. In Berlin erwartet ihn eine Freundin, eine dunkelhäutige Halbdeutsche (Radhe Schiff). Eine gescheiterte Geschichte. Er konnte nur in New York schreiben, sie glaubte, nur in Berlin malen zu können. Niemand von uns wollte auf etwas verzichten, sagt sie. Die zweite Chance ist Zufall. Nun also Berlin, Brandenburger Tor, anschließend Ekstasen in der Badewanne. Nicht weit von Murnaus Grab finden die beiden eine Statue. Sie sieht ihr auffällig ähnlich. Die Sonnengöttin. Das Original befindet sich in Athen, im Museum. Und es gibt ein Foto, das die Malerin als kleines Kind zeigt, an einem Strand auf Santorin, wo sie mit ihren Eltern war, in genau der gleichen Pose wie jene Statue. Die beiden reisen nach Griechenland, erst Athen, dann Santorin, sie finden den Strand. Der Mann fotografiert dort die Frau, nackt, wieder in der Pose der Statue und des Kinderfotos. Sie träumt von seltsamen Ritualen. Sie singt, in Trance, und in einer unbekannten Sprache. Das Mädchen, das Vorbild der Statue war, wurde vor vielen tausend Jahren einer Gottheit geopfert. Eine Erinnerung leuchtet auf. Oder eine Phantasie: daß sie beide schon einmal gelebt haben, hier, vielleicht als Künstler und als Modell, daß ihre Liebe, die auf den Reisestationen wie durch Zauberei an Kraft gewinnt, irgendwo weit weg in der Weltgeschichte vertäut sein muß. Wahre Liebe, die Liebe der Thome-Filme, ist zu extrem, um in die Gegenwart zu passen.

Wenig wird ausgesprochen. Alles bleibt offen. Doch das Mystische, das dem Regisseur Thome manchmal übelgenommen wird, leuchtet diesmal stark. Und die Musik des Dexter-Gordon-und Charles-Mingus-Gefährten, des alten Jazzers Chico Hamilton, strahlt am stärksten.

Rudolf Thome ist ein Seismograph der Gefühle, wie es ihn in Deutschland kein zweites Mal gibt. Niemand im deutschen Film inszeniert Blicke, Stimmungen, Räume so wie er. Niemand kommt seinen eigenen Phantasiegestalten so nahe und läßt ihnen doch so viel Freiheit. Er interessiert sich nicht für Thesen und nicht für Plots, nur für Menschen. Von Magie darf er handeln, ohne sich lächerlich zu machen, weil er nämlich selber ein Magier ist. Er ist unser Eric Rohmer, aber einer, bei dem bedeutend weniger geredet wird, was man durchaus für einen Vorteil halten darf. An Rudolf Thomes Schicksal, den man ohne jedes Pathos, sondern in aller Sachlichkeit einen der großen europäischen Regisseure der Gegenwart nennen kann, läßt sich der Verfall des ganzen deutschen Films ablesen. "Die Sonnengöttin" kommt nur ins Kino, weil Thome dafür seinen eigenen Verleih gegründet hat. Der Film hat 1,2 Millionen DM gekostet. Bei seiner nächsten Arbeit, "Das Geheimnis des Universums", einer Komödie, muß Thome mit 350 000 DM auskommen. Er wird in Super 16 gedreht und "aufgeblasen". Mit 54 Jahren, nach einigen meisterhaften Werken, ist der Künstler Thome wieder an seinen Anfängen angelangt, arbeitet er wieder unter Bedingungen wie ein 25jähriger. In welcher anderen Berufssparte wäre das möglich? Ja, bei den entlassenen AEG-Arbeitern. Bei den Abgewickelten und den Frühverrenteten in Ostdeutschland. Die Vereinigung von Künstlern und Arbeiterklasse, die Thomes Generation vor 25 Jahren gefordert hat, nun kriegt er sie aber um die Ohren gehauen.

"Die Sonnengöttin”, das darf nun gesagt werden, ist nicht Rudolf Thomes stärkster Film geworden. Die Ironie, mit der Thome die für Männer tendenziell unbegreiflichen Frauen immer wieder zu Göttinnen erklärt, sie funktioniert zwar. Und einen mythologischen Schleiertanz am Strand von Santorin kann nur ein einziger unter der Sonne unpeinlich inszenieren, nämlich er. Aber diesmal hat er Mythen und Liebe nicht in Berliner Milieus und nicht in der Realgeschichte festgeknotet wie in "Der Philosoph", wie in "Berlin Chamissoplatz" oder "Liebe auf den ersten Blick". Es fließt alles frei dahin, extraterrestrisch, ohne Bezugspunkt. Es gibt auch keine starken Nebenfiguren. Die Inszenierungskunst läuft manchmal leer, und sie läuft stets provozierend langsam. Der 110 Minuten lange, etwa 15 Minuten zu lange Film hat etwas Selbstverliebtes. Oder vielleicht etwas Trotziges. Thome spricht vor der Vorführung über Adriana Altaras, Johannes Herrschmann, wunderbare Schauspieler aus Berlin, die diesmal in kleinen Nebenrollen auftauchen und die Thome in mehreren Filmen groß herausgestellt hat. Adriana Altaras hat auch einmal einen Bundesfilmpreis gewonnen. Das habe "alles nichts genützt", sagt Thome, die Stars, die sie doch inzwischen längst sein müßten, wenn es noch Göttinnen gäbe, die sind sie nicht geworden. Jetzt wird das Kino Arsenal für "Die Sonnengöttin" mit seiner eigenen Tradition brechen und zum Erstaufführungskino werden (l. bis 9. Januar). Rudolf Thome darf nicht resignieren.