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Rudolf Thome im Gespräch mit Gudrun Max und Karlheinz Oplustil am 27. November 2010 in Berlin

Der Kussforscher

Die Hauptperson des Films ist ein „Kussforscher“. Gibt es diese Forschung wirklich, oder hast Du das erfunden?

Es gibt tatsächlich eine wissenschaftliche Kussforschung, allerdings nicht in Deutschland. Bevor ich das Drehbuch geschrieben habe im März 2009, habe ich im Februar während der Berlinale in der Zeitung einen Artikel gelesen über eine Philematologin in den USA, die einen Aufsatz über ihre Forschungsarbeit in einer wissenschaftlichen Zeitschrift veröffentlicht hat. Das wurde sehr interessiert von vielen Zeitungen aufgenommen, und ich habe das alles gelesen. Als ich dann anfing, das Drehbuch zu schreiben, - der erste Tag war, glaube ich, der 2. März, - da hatte ich am Tag zuvor den ersten Film meiner Tochter Joya gesehen. Darin gab es eine junge Schauspielerin von der UdK, Seyneb Saleh, die darin die Hauptrolle spielt, und die ist mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen, während ich zu meinem Bauernhof gefahren bin, um dort das Drehbuch zu schreiben. Dann habe ich ein Drehbuch geschrieben für dieses Mädchen und über einen Kussforscher.

Die Szene in dem Kusslabor, wo die Assistentin sich bemüht, ein bisschen Atmosphäre zu schaffen, sieht zwar sehr wissenschaftlich aus, wirkt aber ganz absurd. Ist das eine Erfindung?

Das ist eine Erfindung. Wir haben das im Chemielabor der TU gedreht, und es soll natürlich absurd sein. Das war die teuerste Szene des ganzen Films. Es war ein Seminarraum, den wir total leer gestellt hatten. Ich wollte, dass da wirklich Sessel dastehen, denen man ansieht: das ist ein speziell dafür eingerichteter Raum. Es gibt eigentlich zwei Abteilungen, diesen Kussraum und das Labor, wo alle Leute mit den Brillen rumlaufen. Man hatte uns gesagt, dass im Labor alle Brillen tragen müssen. Darüber hatte ich eine Diskussion mit meiner Regieassistentin, die das blöd fand. Aber ich fand das toll, weil die Brillen dem Labor einen Science-Fiction-Aspekt geben.

Man sieht auch mal einen Text zur Kussforschung, den Fred in den Computer schreibt, mit Formeln und Messungen. Hat das irgendeine Tatsachengrundlage?

Ja, auch das war ein teurer Spaß. Das hat jemand, der was von dem Gebiet versteht, für uns geschrieben. Die Ausstatterin hat es für das Drehen von einem Spezialisten besorgt, damit das nicht einfach Quatsch ist.

Die Idee der Kussforschung ist schon in sich widersprüchlich, weil sie eine wissenschaftliche Methode sein will bei einer Sache, die sich dafür nicht anbietet, bei einem Gegenstand, der sich eigentlich der Wissenschaft entzieht, also der Liebe oder dem Küssen. In der Person von Fred wird das auch thematisiert. Der ist Wissenschaftler und betreibt seine Studien auf einem Gebiet, auf dem er als Person überhaupt keinen Erfolg hat, er hat am Anfang bei Frauen offenbar gar kein Glück.

Das schien mir ein interessanter Gegensatz. Die Wissenschaft will auch diese Dinge genau kennen. Dass es so spät zur Kussforschung gekommen ist, ist eigentlich eher ungewöhnlich. Man hat dem Küssen offensichtlich weniger Bedeutung beigemessen. Schauspieler, die sich im Film küssen sollen, haben sehr viel größere Schwierigkeiten, einen Filmpartner zu küssen, als mit ihm eine Sexszene zu machen. Und ich habe meine Schauspieler davor auch gewarnt. Es ist sehr, sehr schwer, jemand richtig zu küssen.

War es schwierig, die Kussszenen zu drehen?

Überhaupt nicht. Das hat den Schauspielern selbst viel Spaß gemacht, zumindest jeweils den beiden, die sich geküsst haben.
Wenn man dreht, sind die beiden, die sich küssen, und auch wirklich richtig küssen, ja auch geschützt durch die Situation des Gefilmtwerdens. Und derjenige, der zuguckt, ist auch bis zu einem gewissen Grad geschützt, einfach durch die Spielsituation. Ich stelle ja eine Spielsituation her, dadurch. dass die Kamera läuft. Ich selbst war durch die Intensität innerhalb dieser Spielsituation so überrascht als Zuschauer außerhalb, dass ich zum ersten Mal den Schauspielern nach dem ersten Take gesagt habe: oh Gott, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, ich weiß nicht, ob das gut war, ich bin verwirrt.
Die wichtigste Kussszene im Film ist die, wenn Sibil und Fred sich zum ersten Mal küssen. Da geht es ja nicht nur darum, dass sie sich küssen, und vor den Augen von Luzie, richtig küssen. Luzie hat Fred ja vorher gestanden, dass sie sich in ihn verliebt hat. Also schon da ist es nicht nur wissenschaftliche Beobachtung, sondern auch Eifersucht, und die beiden, die sich küssen, Sibil und Fred, haben, wie wir als Zuschauer wissen, zu diesem Zeitpunkt schon miteinander geschlafen, aber Luzie weiß das nicht. Also alles, was sie tun und sagen, und jede Bewegung, auch die kleinste Bewegung, ist auch ein Verstecken dieser Tatsache vor Luzie. Diese Kussszene ist total komplex. Fast wie ein Krimi, wo es ganz viele Ebenen und Schichten gibt.
Katharina Lorenz geht dann auch näher ran an die beiden. Sie ist eine großartige Schauspielerin, das hat sie von sich aus gemacht, ich habe es ihr nicht gesagt. Sie hat dabei sicherlich diffuse Gefühle und spielt die auch.
Überhaupt haben beide Schauspielerinnen, mehr als ich das bisher gewohnt war, sehr viel von sich aus zu dem dazu erfunden, was im Drehbuch stand. Sie kamen immer wieder mit neuen Vorschlägen und Ideen. Am Extremsten kam das von Seyneb Saleh, die hat keinen Take so gespielt wie den anderen. Katharina Lorenz war da kontinuierlicher. Peter Knaack war immer gleich. Wenn ich etwas verändern wollte, hat er das, ohne dass es irgendein Nachdenken gab, sofort umgesetzt. Das habe ich bei einem Schauspieler noch nie erlebt.

Ich finde, dass der Film sehr von diesen Schauspielern profitiert.

Das ist ein Schauspielerfilm.

Wie bist du auf die Schauspieler gekommen?

Cynthia Beatt hat sie mir empfohlen. Cynthia Beatt hat mit Peter Knaack einen Film gedreht, der noch nicht fertig ist, da hat Ute Freund, meine Kamerafrau, auch die Kamera gemacht. Ute hat gesagt, der Peter Knaack ist ein Thome-Schauspieler. Na ja, daraufhin war ich neugierig.
Peter Knaack und Katharina Lorenz sind am Burgtheater. Katharina Lorenz hat dort als Gretchen im Faust fantastische Kritiken bekommen. Ich mochte sie sofort total. Ich habe von ihr ein paar Fotos gemacht und war absolut hingerissen, weil ich sie wunderschön fand. Ich hätte sie am liebsten den ganzen Abend fotografiert, jede Bewegung, jeden Gesichtsausdruck. Ich war auch dann beim Drehen total in sie verliebt, also professionell verliebt. Es war nicht so leicht mit zwei Frauen, die brauchen ja beide die Liebe des Regisseurs. Das hat sich dann immer ein bisschen abgewechselt, und ich war einigermaßen in der Lage, die Liebe gleich zu verteilen.

Das magische Tablett

Dieses Tablett, das Fred im Schaufenster sieht und dann kauft, bringt ihm anscheinend Glück.

Während der Berlinale, zwei Wochen, bevor ich das Drehbuch geschrieben habe, bin ich von meinem Bäcker, wo ich Brötchen gekauft habe, an einem Antiquitätenladen da um die Ecke von der Sybelstraße, vorbeigelaufen, und da war dieses Tablett mit der Bucht von Rio de Janeiro im Schaufenster. Natürlich war dieses Geschäft morgens in der Früh zu. Als es dann offen war, bin ich reingegangen und habe es gekauft. Genau das, was im Film passiert.

Dein Film DAS MIKROSKOP funktioniert ähnlich. Die Hauptperson kauft das Mikroskop, und dann ändert sich alles, alles wird gut.

Die Degeto hat mich bei DAS MIKROSKOP entdeckt. Die haben diesen Film geliebt und wollten ihn um jeden Preis haben. Sie waren verzweifelt, als sie mich nicht sofort gekriegt haben, weil ich in Amerika war. Jetzt habe ich halt aus dem Mikroskop ein Tablett gemacht und hoffe, dass sie dann auch wieder glücklich sind. Ich will ja auch, dass es weitergeht.

In Klein-Blittersdorf

Wie ist es denn zu dem Auftritt von Milan Peschel in „Klein-Blittersdorf“ gekommen?

Er hat einen Bauernhof in der Nachbarschaft, Den brauchten wir für unser Catering, da unser Drehort von allen mit den Filmaufnahmen verbundenen Dingen frei bleiben musste, und wir haben dort Sachen untergestellt.
Eigentlich sollte ich ja die Rolle spielen, dann hat meine Produktionsleiterin Nicoletta Drossa gesagt, das wäre doch toll, wenn Milan Peschel das spielen würde. Sie hat ihn gefragt. Er war einverstanden, dann hat er es gespielt, und mir hat das sehr gut gefallen. Ich hätte mich nicht getraut, einen Ossi-Dorfbewohner so darzustellen, das hätte ich nicht geschafft. Und er geht da, finde ich, eigentlich auch einen Touch zu weit, aber es ist okay.

Den Ort Klein-Blittersdorf gibt es aber nicht?

Klein-Blittersdorf liegt im Saarland. Ich habe davon gehört, als ich durch Jean-Marie Straub Peter Nestler in München kennengelernt habe, 1964 oder 1965. Da kam Peter Nestler aus Klein-Blittersdorf im Saarland.

Einmal machen Sibil und Peter ein Feuer, ein „Buschfeuer“, und dann löschen sie es gleich wieder. Warum machen sie das?

Warum spielen Kinder im Sand, bauen da Burgen oder im Wasser, bauen da Staudämme? Wir haben immer wieder die Lahn gestaut. Wir haben Feuerchen gemacht, weil es Spaß macht, mit Feuer zu spielen. Meistens auf Ödland-Gebieten mit vertrocknetem hohen Gras, oft in der Nähe vom Bahndamm, und der Wind breitet das Feuer aus. Es kommt dabei darauf an, dass nicht irgendwie was Größeres abbrennt, sondern dass man das Feuer unter Kontrolle behält, und nach einer Weile macht man es wieder aus. Es ist ein Spaß von Kindern, und ich zeige damit das Verhältnis zwischen Sibil und Peter, die das machen, obwohl sie etwas älter sind.. Sie geht ja mit ihm ziemlich barsch um, und ich versuche da, ein bisschen auch die schönen Seiten ihrer Beziehung zu zeigen. Wenn Sibil von diesem Steppenbrand zurückkommt, ist sie leicht schwarz im Gesicht. Sie kommt auf dem Fahrrad von Peter an, er hat ihr also sein Fahrrad geliehen. Wenn sie ankommt, sieht sie die beiden anderen, die dabei sind, sich schon ziemlich toll zu küssen.
Der Reiz bei dem Feuer ist doch, dass man es kontrollieren kann. Und der Schauspieler, der das gespielt hat, der konnte das wirklich gut, der brauchte von mir keine Anleitung. Ich verstehe was von Feuer. Ich kann auch mit nassem Holz Feuer machen, wie Marquard Bohm in ROTE SONNE sagt. Er sagt unter anderem: „Ich bin für die Wildnis geboren, ich kann mit nassem Holz Feuer machen.“ Das kann ich auch. Ich habe schon öfter Dreharbeiten durch ein Feuerchen gerettet.

Tagesschau gucken

„Das rote Zimmer“ ist ein sehr vielversprechender Titel, und in dem Film wird ein bisschen ein Geheimnis daraus gemacht, was es mit dem roten Zimmer auf sich hat. Man erwartet irgendwelche wilden Sachen, die da nun passieren, aber dann wird erst einmal nur „Tagesschau“ geguckt.

Das bringt das Publikum immer zum Lachen. Dabei habe ich da nur etwas Privates in den Film rein getan. Ich sehe mit meiner Freundin gerne abends die „Tagesschau“, in dem roten Zimmer auf meinem Bauernhof. Das ist ein Ritual, ich liebe Rituale. Und wie mir die Reaktion bei den drei Aufführungen, die es bis jetzt gab, beweist, war das richtig, dass es so gezeigt wird im Film, die Leute lachen immer sofort.
Eigentlich war mein Plan, dass man die „Tagesschau“ dabei auch sieht. Aber in dem Haus, wo wir gedreht haben, funktionierte das nicht. Also habe ich aus der Not eine Tugend gemacht. Ich habe dann während des Schneidens 14 Tage lang jeden Abend die „Tagesschau“ aufgenommen mit Bild und Ton. Wir fanden dann, dass der Ton allein völlig ausreichend ist.
So ist das halt. Etwas, was eigentlich ein Fehler ist, erweist sich oft hinterher als gut. So wie zum Beispiel der Regen bei BERLIN CHAMISSOPLATZ, wenn Hanns Zischler und Sabine Bach zum Strandbad Wannsee fahren, und es nieselt. Kein Mensch ist da, die beiden sind allein. Wer bei Nieselregen zum Baden an den Wannsee fährt mit einer Flasche Champagner, der muss sich besonders lieben. Es ist dadurch ein starker Liebesbeweis geworden. Etwas, das anders gewollt war, funktioniert am Ende viel besser.

Das blaue Haus, der rote Volvo

Das blaue Haus der beiden Frauen auf dem Land ist dann ja praktisch der Mittelpunkt der Geschichte. Gab es das wirklich, oder habt ihr es so gestrichen?

Ich hatte vier oder fünf verschiedene Häuser zur Auswahl. Zwei davon wären von der Inneneinrichtung und der Raumaufteilung für mich sehr viel besser gewesen als dieses Haus. Aber dieses Haus war blau, und es hat uns sofort verzaubert, sofort. Die Landschaft drumrum und mitten in dieser Einsamkeit da dieses blaue Haus mit diesem merkwürdigen Glasanbau. Das wirkte auf mich wie ein Ort auf einem anderen Planeten. Es war auch teurer da zu drehen, wir hätten das alles viel billiger woanders kriegen können, aber ich musste das machen. Es liegt bei Pasewalk, nur 6 km entfernt von der polnischen Grenze. Gedreht haben wir bei 30° bis 35°, da war diese extreme Hitze.

Einmal ist das rote Auto von Fred vor dem Haus zu sehen, und daneben das kleine in Rot und Blau. Habt ihr das blau angestrichen?

Das war fertig so. Ein Kotflügel war blau und die Motorhaube und der andere Kotflügel waren rot. Das habe ich deswegen genommen.

Der rote Volvo passt sehr gut zu der Person von Fred. Es ist übrigens eine der schönsten Einstellungen in dem Film, wenn man die Autos vor dem Haus sieht. Die steht auch schon im Drehbuch, ich habe nachgeguckt.

Es ist eine Ozu-Einstellung, eine Reverenz an die Filme von Yasujiro Ozu, die ich sehr liebe. In FRAU FÄHRT, MANN SCHLÄFT gibt es auch solche Einstellungen.
Ich war mir über die Qualitäten meines Drehbuchs nicht so sicher, wie ich es dann beim Drehen geworden bin. Beim Drehen, durch die Schauspieler, durch das sofortige Sehen des Ganzen unmittelbar nach dem Drehen habe ich die Qualität des Drehbuchs überhaupt erst erfahren und war oft total überrascht. Wenn ich ein Drehbuch schreibe, schreibe ich quasi die sieben Szenen, die ich jeden Tag schreibe, immer in einem halb bewusstlosen Zustand. Aber ich weiß schon, was ich mache. Es ist nichts Automatisches, keine „écriture automatique“. Es ist ein Zustand der extremen Konzentration, die aber gleichzeitig eine Art von Bewusstlosigkeit ist, und ich habe immer gesagt, das ist ein Zustand, der absolut vergleichbar ist dem Stadium, wenn man sich frisch verliebt hat, wo die Welt ja auch zusammenschrumpft auf einen winzig kleinen Ausschnitt, das Gegenüber, in das man sich verliebt hat. Deshalb macht das Drehbuchschreiben ja auch so viel Spaß, das macht genauso viel Spaß wie sich zu verlieben

Ich habe noch mal das Drehbuch nachgesehen, das du damals veröffentlicht hast. Ich glaube der Film folgt dem erstaunlich getreu.

Das liegt zum großen Teil an den Schauspielern, die so perfekt gespielt haben. Wären die Schauspieler auch nur einen Hauch schlechter gewesen, wäre das nicht gegangen. Denn die Szenen und die Dialoge sind eigentlich immer haarscharf auf der Kippe. Es hätte ganz schrecklich werden können, wenn es nicht so gut gespielt worden wäre.

Das gewaltige Mysterium der Liebe

Die Frauen sagen, sie wollten die Seele der Männer erforschen. Dann befragen sie die beiden, die sie aufgetan haben, wirklich in einer Verhörsituation. Dabei sagt der junge Mann, den Sibil in der Staatsbibliothek aufgepickt hatte, richtig mit Inbrunst, ganz erstaunliche Dinge darüber, was er fühlt, wenn er mit einer Frau schläft. Also in etwa: er tauche ein „in das gewaltige Mysterium der Liebe.“

Wir waren alle überrascht. Das Team musste sich zusammenreißen, um nicht laut loszulachen. Peter Knaack fällt eine Sekunde aus der Rolle und verbeißt sich ein Lachen. Das ist das, was ich vorhin gesagt habe. Einen solchen Text zu sagen geht nur bei einem richtig guten Schauspieler. Dieser Dialog ist haarscharf an der Grenze, er könnte lächerlich sein. Das kann man nur in aller Unschuld, mit einer Miene der absoluten Unschuld, sagen, sonst wäre es schrecklich peinlich.
Ich habe zu dem Schauspieler gesagt, du musst es mit tödlichem Ernst spielen, aber das war für ihn überhaupt kein Problem. Die Rolle sollte übrigens von jemand anderem gespielt werden, und der Schauspieler, der das spielen sollte, wurde sehr schwer krank und sagte drei, vier Tage vorher ab. Wir waren geschockt, und wo kriegen wir so schnell einen anderen her? Alle Leute, die man mir vorgeschlagen hat, wollte ich nicht. Dann hat Katharina Lorenz, die ihn kannte, Arnd Klawitter vorgeschlagen. Wir haben ihn angerufen, und sie hat wohl für uns ein gutes Wort eingelegt, und er hat das daraufhin gemacht. Für ihn hatte das zur Folge, dass er für die Staatsbibliotheksszene extra seinen Urlaub in Südfrankreich für zwei Tage unterbrechen musste, um das machen zu können.

Die Männer von GALAXIS

Die Szene erinnert mich sehr an deinen Kurzfilm GALAXIS. Es gibt ohnehin einige Berührungspunkte. Diese Art von Science-Fiction-Anspielung bei der Szene im Labor, mit diesen Brillen, hat auch etwas damit zu tun. Da geht es ja auch darum, dass die Frauen die Männer auswählen.

In GALAXIS sind die Männer auf der Erde von Frauen von einem anderen Planeten geklaut worden, weil denen durch viele Kriege die Männer ausgegangen sind. Die Frauen auf der Erde mussten sich daraufhin als Notlösung die Männer teilen, ich glaube, dass immer vier Frauen einen Mann teilen mussten. Da haben sie damals schon in einen Computer ihre Wünsche für ihren Wunschmann eingegeben - das ist ja wie bei PINK, was den Wunschmann angeht. Der Computer war damals ein gigantisches Ungetüm aus der Bausparkasse, in der ich gearbeitet habe, der hat dann so perforierte Bögen mit den Daten der Männer ausgespuckt. Und daraufhin werden zwei Männer zur Vorstellung eingeladen. Tatsächlich beide Männer gleichzeitig. Ich habe jetzt daran nicht gedacht, es ist unfassbar…

Ich glaube, in GALAXIS sind es drei Frauen, die Fragen stellen. Die zwei Männer sind Dieter Geissler und Klaus Lemke.

Den ich jetzt in Wien wieder getroffen habe. Oh Gott.

Klaus Lemke wird dann gebeten, seine Sonnenbrille abzunehmen, damit man seine Augen sehen kann.

In Wien habe ich ihm gesagt: kannst du deine Mütze abnehmen, damit ich deine Augen sehen kann. Er hat sofort die Hand drauf gehalten, weil er gedacht hat, ich mache es vielleicht. Er hat ein bisschen Angst vor mir gehabt. Er hat mir gleich die Hand entgegengestreckt. Ich war erstaunt, weil ich dachte, wir umarmen uns. Ich habe ihn ja früher mal geliebt. Und da habe ich ein bisschen fester zugedrückt, als Ausdruck meiner Freude. Da hat er gesagt: bist du inzwischen Bergsteiger geworden? Die Gästebetreuerin hat sich totgelacht über den Dialog zwischen uns und meinte, das hätte man filmen müssen. Wir haben uns vierzig Jahre nicht gesehen. Das letzte Mal beim Drehen von SUPERGIRL in Paris. Da spielt er einen Filmregisseur, der immer nur auf Englisch Antworten gibt wie „Cool“, „Very good“, und so.

Ich glaube, in GALAXIS fällt Klaus Lemke bei den Frauen durch, obwohl er alles tut, um ihnen zu gefallen. Die nehmen lieber den anderen, der sogar mal als Frauenfeind galt.

Er sagt „Ich war Mitglied der Antifrauenbewegung“, und da fragt das Mädchen, was haben Sie sich dabei gedacht? Darauf sagt er: damals war ich noch jünger.

Der Ewigkeitstest

Im ROTEN ZIMMER fällt der junge Mann aus der Staatsbibliothek durch, obwohl er so schöne Antworten gegeben hat. Fred sitzt dabei und hat eigentlich nichts groß gesagt, der kommt weiter.

Wir wissen nicht, was er vorher gesagt hat. Vermutlich hat er auch eine ganze Reihe von Fragen beantwortet und bessere Sachen gesagt. Die sind mir beim Schreiben nicht eingefallen.

Sie haben ihn dann für den sogenannten Ewigkeitstest ausgewählt. Was ist dieser Ewigkeitstest?

Die Ehe. Das liegt doch eigentlich nahe, nicht? Die machen ja dann hinterher einen Vertrag. Die Ehe ist ja letzten Endes nichts anderes als ein Vertrag.

Nein, das ist auch ein Sakrament, wenn man es religiös betrachtet. Und sie steht im Grundgesetz, sie wird geschützt, sie ist keine reine Geschäftsbeziehung.

Also, wenn man das Religiöse mal wegtut, ist es ein Vertrag. Die Sache mit dem Vertrag am Schluss ist ja nun auch nicht ganz so unkompliziert.
Ganz am Anfang, nach dem zweiten oder dritten Drehtag, kamen die beiden Mädchen zu mir und sagten, dass sie das so nicht machen wollen, das sei ja Prostitution. Ich habe gesagt, so hätte ich das nicht gesehen, aber wenn sie das meinen, würde ich noch mal drüber nachdenken. Dann hat sich das aber so im Laufe der Zeit verläppert. Katharina hatte mir sehr schnell zukommen lassen, dass sie darauf nicht mehr großen Wert legt, dass das mit dem Bezahlen geändert wird. Sie wollten das Bezahlen, den Bezahlmodus verändern. Sie wollten das so übertreiben, dass es lächerlich wirkt.
Eine Kleinigkeit ist doch gegenüber dem Drehbuch verändert worden. Es gibt da einen Satz, dass jeder Beteiligte sich verpflichtet, das gemeinschaftliche Leben nach seinen Möglichkeiten so angenehm wie möglich zu gestalten. Das hat die Ausstatterin formuliert. Aber gut, man kann den Frauen den Vorwurf machen, was der Vertrag regelt, das ist Prostitution.

Das kann man so sehen.

Im Kommunistischen Manifest ist die Ehe bereits als Prostitution beschrieben. Zwischen der Szene mit der Prostituierten am Anfang des Films, gegen die irgendwie keiner was hat, die ich aber sehr schockierend finde, und dem Einwand der beiden Schauspielerinnen, dass der Vertrag am Ende ja auch Prostitution sei, und dem Schlussbild des Films, wo das Auto bei Regen über diesen Hügel fährt und hinten das Schild „Just married“ hängt, da gibt es ganz viele Verbindungen.

Der Vertrag ist ja ziemlich unverschämt. Fred hat offenbar auch die größten Schwierigkeiten, sich darauf einzulassen. Man sieht sehr gut, wie er schluckt und zögert, ob er das eigentlich unterschreiben soll.

Alle drei spielen das wunderbar. Gegenüber diesen beiden Frauen, so wie sie ihn dazu kriegen wollen, das zu unterschreiben, hat er als Mann keine Chance.
Da kommt noch ein Dialog, der steht nicht so im Drehbuch, den musste ich ändern, das war ein Wunsch von Wolfgang Jurgan, der eigentlich nie Änderungswünsche hat. Da sagt Katharina Lorenz, also Luzie: „Wenn du diesen Vertrag unterschreibst, dann bist du total legal mit zwei Frauen zusammen.“ Dieses „total legal“, ist mir erst in letzter Sekunde eingefallen, aber ich finde das total witzig.

Ist es auch. Der Vertrag ist natürlich total unwirksam.

Das Denken der beiden Frauen ist doch nachvollziehbar, ich mache mich ja nun auch ein bisschen lustig über sie. In dem Moment, wo der Vertrag unterschrieben ist, ist das quasi legal, nicht? Obwohl das natürlich nicht legal ist, er bräuchte es sich auch gar nicht so lange zu überlegen, sie könnten keine 3000 Euro einklagen.

Die Liebe neu erfinden

Anderseits er willigt ja ein, und ich frage mich, warum er das macht. Eigentlich muss er doch wirklich von allen guten Geistern verlassen sein: er zahlt noch, damit er die beiden Frauen glücklich macht, die haben doch was davon.

Was sagt Luzie im Film, wenn alle Drei vom Angeln kommen: „Alle alten Männer träumen von einem Harem.“
Ihre Vereinbarung ist ein Geschäft auf Gegenseitigkeit, aber das ist natürlich nur sehr, sehr schwer realisierbar. Ich bezweifle eigentlich auch, dass es überhaupt realisierbar ist. Die Schwierigkeiten sieht man im Film, die Eifersuchtsmomente, die es bei allen immer wieder gibt.
Es ist eine Utopie, an die ich mich mit fast chirurgischer Präzision annähern möchte, und deshalb habe ich das Buch geschrieben, und das ist mir mit diesen drei Schauspielern gelungen, finde ich. Man kann dabei beunruhigt sein, wenn man den Film sieht. Auch wenn man die ganze Zeit lacht, weil es lustig ist.

Warum, meinst Du, ist man beunruhigt?

Bei meinem Kurzfilm STELLA war es ähnlich. In STELLA betrügt der Mann seine Frau. Sie findet das raus und macht ihm eine Szene und will ihn verlassen. Er kommt mit fadenscheinigen Ausreden, und er kriegt sie aber dazu, nicht wegzulaufen. Dann gehen sie ins Bett. Sie schlafen noch getrennt, das waren die 60er Jahre, und er hat einen Schlafanzug an und sie ein Nachthemd, er schläft sogar mit Socken. Als sie dabei sind, sich wieder zu versöhnen, geht er zu dem Bücherregal über dem Bett, holt einen Goethe-Band raus und liest ihr aus Goethes „Stella“ vor. Da rettet ein deutscher Ritter im Morgenland einer Prinzessin das Leben. Er verliebt sich bei der Rettung in sie und darf sie heiraten. Mit ihr kehrt er nach Deutschland zu seiner Ehefrau zurück, und Goethe schreibt, sie haben glücklich und zufrieden zusammengelebt und sind sogar in einem Grab begraben. Goethe selbst hat diesen Schluss später geändert, weil er ihm zu unmoralisch war. In meinem Film sagt sie dann, okay, gut, gib mir ihre Telefonnummer, ich ruf sie an. Und er kriegt plötzlich die Panik und meint, du kannst sie doch nicht anrufen, das geht doch nicht. Dieser Film wurde damals von der FSK verboten, weil er die Sittlichkeit gefährden und generell entsittlichend wirken könne.

Ich denke, dass DAS ROTE ZIMMER durchaus auch ein bisschen so funktionieren könnte. Wenn ich diesen Film in den 60er Jahren gedreht hätte, wäre er mit Sicherheit von der FSK verboten worden. STELLA lief in den 90er Jahren mal in einer Reihe von Münchener Kurzfilmen im Gasteig-Kino, das Kino war gestopft voll und die Leute haben sich totgelacht über diesen Film. So gut wie da ist er nie aufgenommen worden. Die Aufnahme von STELLA ist durchaus vergleichbar der Aufnahme von DAS ROTE ZIMMER heute, also jetzt in Wien oder auch hier in Berlin. Und ich kann mir vorstellen, dass es Leute im Publikum gibt, die noch ein bisschen in den 60er Jahren leben und deswegen den Film nicht so sehen können, wie es eigentlich in der heutigen Zeit angemessen wäre.

Es wird mal erwähnt, die Frauen hätten das Projekt, die Liebe neu zu erfinden.

Das sagt Sibil, nachdem sie bei Fred in seinem Pensionszimmer geschlafen hat, am nächsten Morgen beim Frühstück. Das sagt sie als Erklärung, und sie sagt es so, als sei das ein Satz von Luzie, den sie quasi nur zitiert.
Für eine Liebe zu dritt, dazu muss man die Liebe neu erfinden, damit das möglich ist. Diese Utopie. Weil mit der Liebe, wie wir sie kennen, geht das nicht. Da bin ich auch total ernst, es ist ja nicht nur ein Spiel. Wir selbst sind ja mit unseren Liebesvorstellungen in vergangenen Jahrhunderten verhaftet, und kommen da auch nicht raus. Wenn du so willst, ist der Film auch ein ganz ernsthafter Versuch, da rauszukommen.

Du hast es so ähnlich schon mal entwickelt bei TIGERSTREIFENBABY WARTET AUF TARZAN, wo man die Situation wie im Paradies hat, auch mit zwei Frauen und einem Mann. Der Film geht aber anders aus, der geht schlecht aus.

Der geht schlecht aus. Und hier fahren sie ja am Ende eher in den Himmel, wenn das Auto hinter dem Hügel verschwindet und das Bild noch eine Weile stehen bleibt. Diesen Drehort habe ich ganz alleine gefunden, während mein Team in Berlin war, die sind an jedem Wochenende nach Berlin gefahren. Ich hätte das nicht gekonnt, ich bin da alleine oben geblieben. Da habe ich dann diese Stelle gefunden, wo ich dachte, das ist optimal für die letzte Einstellung. Im ursprünglichen Drehbuch wird ja der Geburtstag von Luzie gefeiert und „Happy Birthday“ gesungen. Da hat mich aber unsere Produktionsassistentin darauf aufmerksam gemacht, dass ich wegen der Musik-Rechte dafür zahlen müsste. Die gehören nämlich mittlerweile Warner Music. Deswegen habe ich mir dann ein anderes Ende ausgedacht, und dieses andere Ende war diese Fahrt zum Meer und dieses „Just married“-Schild im Auto. Was natürlich auch ein inside joke ist, denn so beginnt mein Film JUST MARRIED.

Wie eine Fliege im Spinnennetz

Bei Fred musste ich oft an etwas denken, was meine Tante gerne zu sagen pflegte: „Der arme Mann!“. Der wird ja von den beiden Frauen ganz schön manipuliert. Er lässt es geschehen, aber er wird eigentlich unverschämt manipuliert.

Total. Er kapiert nichts, er hat von nichts eine Ahnung. Wie er selbst sagt, er fühlt sich wie eine Fliege im Spinnennetz. Und dann ist auch tatsächlich diese Fliege plötzlich auf seiner Hand und bleibt da sitzen. Von Peter Knaack ist es cool, dass er beim Spielen darauf eingeht. Er ist großartig. Er ist in jeder Kleinigkeit großartig. Wenn er diesen Dialog hat, der im Drehbuch steht, und dann dazu auch eine reale Fliege kriegt, das ist ein Glücksfall. Da weiß ich, die Götter sind mit mir, wenn so was passiert. Es wäre schon gegangen, eine Fliege da zu platzieren, aber den Nerv hätte ich nicht gehabt. Auf die Idee wäre ich nicht gekommen. So viel Fantasie habe ich gar nicht.
Noch mal zu dieser Manipulation der Frauen. Meine Cutterin Beatrice Babin meinte, das Netz, das diese Frauen quasi spinnen, könnte mit Luzies Romanen zu tun gaben. Luzie schreibt Romane, erfindet Geschichten. Und Geschichten, die man erfindet, Romane, sind ja auch Netze.
Es gibt da einen Bezug zwischen diesem Netzespinnen der Frauen und dem magischen Tablett. Es könnte jedenfalls einen Bezug geben. Wir haben versucht, durch die Filmmusik, die in diesem Film zum ersten Mal extrem leise ist, die Möglichkeit einer solchen Verbindung für den Zuschauer bemerkbar zu machen. Ob das funktioniert, weiß ich nicht.
Ich habe jetzt den letzten Roman von Haruki Murakami gelesen. Bei ihm denkt man gleich an eine solche Interpretation, seine Geschichten funktionieren immer so. Und die Filme von Hong Sang-soo sind auch alle so merkwürdig verzinkt. Vertrackt verzinkt.
Ich habe das vielleicht, ohne das zu wissen, so gemacht. Vielleicht gibt es ja wirklich Götter. Es könnte doch "Filmgötter" geben, die irgendwo sitzen und mir Botschaften schicken, die ich dann realisiere. Mir fällt jetzt sofort „Der Philosoph“ ein, wo der Philosoph Hermes heißt, der ja bei den Griechen ein Götterbote ist.

Es gibt eine sehr merkwürdige Stelle aus ihrem Roman, die Luzie mal zitiert: Sie hätte sich in ein Zimmer zurückgezogen, wo alles zerschmettert war, weil nichts mehr an einen Mann erinnern sollte, und hätte sich auf den letzten verbliebenen Stuhl gesetzt. Ist der Text von dir?

Ja. Ich war früher mal ganz gut im Interpretieren von Gedichten. Deswegen hatte ich auch sehr schnell eine Doktorarbeit. Ich glaube im vierten Semester bekam ich schon die erste angeboten, zwei Semester später noch eine, in Mittelhochdeutsch. Mir würde da schon Einiges einfallen, wie man das interpretieren könnte. Aber ich will doch nicht den Job der Kritiker machen, ich will doch nicht alles erzählen. Der Film muss doch sein Geheimnis nur langsam offenbaren. Es ist auf jeden Fall ein Film, der davon profitiert, wenn man ihn mehrmals sieht. Auch eine Parallele zu Hong Sang-soo. Dessen Filme kann man nicht verstehen, wenn man sie nur einmal sieht. Das geht nicht.
Selbst ein Film wie BERLIN CHAMISSOPLATZ, wo es weniger um Geheimnisse geht oder scheinbar nicht auflösbare Reste und Details, selbst der wurde von ganz vielen Zuschauern bis zu achtmal gesehen, und die haben mir dann geschrieben, bei jedem Sehen wäre ihnen mehr aufgefallen.

Romane schreiben ist wie Angeln

Ein wichtiges Motiv im ROTEN ZIMMER ist ja das Angeln. Das kann man vielleicht auch als Metapher für das Erzählen verstehen. Dass Du Deine Angel auswirfst und was einfängst, an Geschichten, an Personen etc. Oder, wie Luzie es sagt: Romane schreiben ist wie Angeln. Man muss warten können auf den dicken Fisch.

Das Schreiben kenne ich ja aus eigenem Erleben. Man kann es nicht forcieren. Man kann nur, ja, dasitzen und warten, dass einem etwas zufällt, dass einem etwas einfällt. Und so ist es beim Angeln.

Beim Angeln denkt man natürlich sofort an Howard Hawks. Und wie die mit den Männern umgehen und sie manipulieren, das hat sehr viel mit Hawks zu tun.

Das ist wie Hawks, genau das Gleiche. Der Hauptdarsteller musste auch vorher den Film von Hawks sehen MAN’S FAVORITE SPORT. Die Kamerafrau hat ihn auch gesehen. Und der Hauptdarsteller musste EL DORADO anschauen, von dort kommt die Chinesen-Imitation.

Blick in eine andere Welt

Einen meiner Lieblingssätze möchte ich nur zitieren, weil er so schön ist: „Wer einsam ist, liest Bücher.“ In Deinem Online-Tagebuch fand ich beim Schreiben des Drehbuchs eine sehr schöne Bemerkung: sinnesverwirrend soll der Film sein, hast Du damals gesagt. Wie ein Blick in eine andere Welt jenseits der Wirklichkeit. Ich finde, das löst der Film ein.

Da machst du mich glücklich.

Es gibt Einstellungen, die ganz fremdartig wirken. Wenn die drei einmal über ein Feld laufen, sehen sie aus wie ein Forscherteam. Als ob sie irgendwas erforschen, unterwegs wären wie in Afrika oder einem fremden Kontinent. Sie sind in Vorpommern, aber es wirkt ganz exotisch, als ob sie sich in einem fremden Land bewegen würden. Was sie auf der Gefühlsebene ja vielleicht auch tun.

Die Landschaft ist auch real ein bisschen so. Bei der Motivsuche, als wir da hinkamen, bin ich ganz schnell weg von den anderen und überall in der Gegend rumgelaufen. Ich hatte das Gefühl, ich bin da wie auf einem anderen Planeten. Das lag an der Architektur des Hauses und an der Farbe, aber auch an der Gegend. Das ist eine ganz merkwürdige Gegend, nur 6 km von der polnischen Grenze, und das ist wie eine Art Niemandsland, noch immer.
Es ist alles Naturschutzgebiet, und man hört im Film immer wieder den Schrei der Kraniche. Ich habe das jedes Mal wie ein Geschenk empfunden. Die Natur spielt eine Rolle, es hat etwas Fantastisches.
Gerade studiere ich regelrecht die Filme von Hong Sang-soo, einem Regisseur, von dem ich noch nie etwas gehört hatte. Ich studiere ihn nicht, das ist falsch, ich bewege mich in seinen Filmen wie in einer fremden Welt, die ich gerade kennen lerne, langsam und vorsichtig. Für mich ist es eine Parallele dazu, wie ich in diesem Jahr, im Januar, Kairo zum ersten Mal kennengelernt habe. Ich war begeistert, und so passiert es mir jetzt mit Hong Sang-soo. Und ich würde sagen, das ist jetzt ein unfassbares Geschenk. Sich erstmal noch neu zu verlieben, dann eine Stadt kennen zu lernen wie Kairo, und drittens einen Regisseur kennenzulernen, von dem ich vorher noch nie was gehört habe und der für mich plötzlich eine Bedeutung bekommt, wie in den 60er Jahren Godard. Mehr als Godard in den 60er Jahren, das gab es nicht bei mir. Rossellini und Ozu, die kamen später, auch Howard Hawks.

Drehen mit RedOne

Du hast zum ersten Mal mit der digitalen Kamera RedOne gedreht. Wie hat das funktioniert?

Die Red ist ein Computer. Das was gedreht wird, kommt auf eine Festplatte. Das kenne ich nun seit 11 Jahren von der digitalen Kamera, und mich hat da eigentlich überhaupt nichts überrascht. Das sind einfach Nullen und Einsen, weiß man ja eigentlich vom Computer. Jeder Mensch, der sein ganzes Leben lang mit Filmmaterial, das man in die Hand nehmen kann, gearbeitet hat, hat natürlich Panik. Es gibt spezielle Sicherheitsprobleme, Lagerprobleme, auch bei mir ist ansonsten die Postproduktion ohnehin schon seit 6 Jahren digital. Die digitale Projektion ist dann besser als die analoge Projektion, als die 35 mm-Kopie. Aber das mit der digitalen Projektion funktioniert noch nicht 100 % zuverlässig, und nicht alle Kinos können es.

Wie hat die RedOne denn das Drehen verändert?

Das Drehen selbst war für mich entspannter, weil es gab keinen Materialverbrauch mehr. Ich konnte Proben aufnehmen, ich habe den Schauspielern zum ersten Mal wieder gesagt, ihr spielt solange, bis ich „Cut“ sage, solange spielt ihr weiter. Also für mich war es ein Fest als Regisseur und als Produzent. Ich sah mich plötzlich mit einer Freiheit konfrontiert, die ich früher gerne gehabt hätte
Ich muss nicht die Schauspieler kontrollieren, um zu sehen, wie gut sie sind, das sehe ich beim Drehen. Ich sitze auch nicht hinter dem Monitor, obwohl beim Drehen mit der Red wahrscheinlich 90 % meiner Kollegen das tun werden. Weil das bequemer, weniger anstrengend ist, und man sieht das fertige Bild. Für die Mehrzahl der Regisseure ist ja das Bild eines Films wichtiger als die Schauspieler, als die Menschen, die sie darstellen. Für mich geht es um die Leute, die ich zeige, das ist mein Hauptaspekt. Ich muss sie sehen und vor ihnen stehen, damit zwischen ihnen und mir das Vertrauen entstehen kann, das sie brauchen, um wirklich gut zu sein. Dass sie sich steigern können, dass sie über das hinaus gehen können, was sie sonst machen.
Die schwierigsten Szenen für Schauspieler sind die, wo sie alleine sind mit der Kamera, wo sie einfach zuerst das tun müssen, dann das, und dann das. Wenn sie mit andern spielen, wenn sie Partner haben, ist das Spielen ein bisschen leichter, aber da zeigt sich dann die Qualität meiner drei Hauptdarsteller, die bei allem, was sie sagen, wie sie beim Sprechen der einzelnen Sätze und bei ihren Bewegungen, das Vorhandensein der anderen, die dabei sind, mit einbeziehen. Als ich DAS ROTE ZIMMER geschnitten hatte, habe ich gesagt, es ist eigentlich ein Film über die Blicke. Der Film war natürlich am Ende nicht mehr komisch für mich, aber die Blicke habe ich einfach gesehen, und die funktionieren. Es ist unglaublich, was sich zwischen allen dreien die ganze Zeit abspielt.


"Das Küssen hat für mich besondere Bedeutung"
Der Autorenfilmer Rudolf Thomé will, dass man sich im Kino wohlfühlt

Ein Mann und zwei Frauen versuchen auf dem Land die Liebe: Fred ist Kussforscher und frisch geschieden. Er lernt Luzie kennen, die in ihren Romanen die Seele der Männer erforscht. Sie wohnt mit ihrer Freundin Sibil in einem Haus im ländlichen Vorpommern. Fred beschließt, aus Berlin zu den Frauen zu ziehen und eine Ménage à trois zu probieren. - Der Regisseur Rudolf Thomé beschäftigen sich seit mehr als 40 Jahren mit Liebesbeziehungen und Beziehungsproblemen. Er bleibt sich auch mit seinem neuen Film "Das rote Zimmer" treu.

Herr Thomé, woher kommt Ihr Interesse am Küssen, und wie wurde es zu einem Filmthema?
Das Küssen hat für mich schon immer eine besondere Bedeutung gehabt. Als ich dann das Drehbuch für "Das rote Zimmer" schreiben wollte - das war nach der Berlinale 2009 -, hatte ich in einer Zeitung einen Bericht über eine amerikanische Kussforscherin gelesen. Da dachte ich, dass wäre doch ein lustiges Thema. Das Interview kann man noch heute im Internet nachlesen.
Sie schreiben Ihre Drehbücher immer in 28 Tagen live im Internet.
Ja, und wenn ich anfange, weiß ich noch gar nicht, was ich machen will. Es beginnt mit handschriftlichen Notizen 10 Tage lang. Am 11.Tag fange ich dann richtig an.
Das klingt fast alttestamentarisch. Wie darf man sich das konkret vorstellen?
Das Erste, wonach ich suche, ist ein Titel, der mir gefällt. Wenn ich den habe, kommt immer mehr dazu. Wenn ich Glück habe, ist der Film am 10. Tag im Prinzip im Kopf.
Es soll Leute geben, die diesen Prozess im Netz verfolgen?
Ja, auf meiner Website moana.de gucken ungefähr 300 Leute täglich rein, und manche schreiben mir dann E-Mails.
Kommt es vor, dass Sie etwas aufgreifen, was Ihnen geschrieben wird?
Uff, wenn es mir gefällt ... Es gab auch schon Proteste.
Bezogen auf was? Dass Frauen sich im "Roten Zimmer" so leidenschaftlich küssen?
Dass das so werden würde, war mir selbst vorher nicht klar! Beim Casting habe ich zu den Schauspielern gesagt, ich habe keine Ahnung, wie ich diese Szenen drehen soll, dass es nicht unangenehm wirkt. In meinen früheren Filmen habe ich immer gesagt "Bitte die Lippen nur ganz leicht berühren, das sieht viel schöner aus, viel ästhetischer." Und dann war ich platt, wie unkompliziert das hier ging.
Diese Nähe, die Sie mit den Schauspielern hergestellt haben, überträgt sich auch auf die Zuschauer. Man schwimmt im Erzählfluss so mit.
Ja, genau so soll sein! Gestern hab ich einen Film von Jean-Luc Godard gesehen, "Une Femme Mariée". Mein Gott, das ist Kino! Godard hat eine Art zu erzählen, die gegen alles ist, die total revolutionär ist, die liebevoll mit den Figuren umgeht, die er zeigt. - Max Zihlmann, Klaus Lemke und ich, wir haben früher immer gesagt, Film ist eine Sache der Einstellung. Damit meinten wir natürlich nicht die Kameraeinstellung, sondern die innere Haltung. Und das ist letztlich auch eine Sache der Moral. Ein wirklich guter Film muss zutiefst moralisch sein.
Sie haben mal gesagt, 99 Prozent aller Filme hätten nichts mit Kino zu tun. Das ist starker Tobak.
Ja, da steh ich zu!
Was ist dann Kino nach Thomé?
Von Beginn der Filmgeschichte an gibt es Kino im thoméschen Sinn, etwa die Filme von D. W. Griffith. Ich würde sogar so weit gehen: Auch Eisenstein ist Kino. Obwohl der eine Botschaft rüberbringen wollte. Und wenn die Botschaft das Primäre wird, gefällt mir das überhaupt nicht!
Das würde jetzt aber bedeuten, dass Ihrer Meinung nach 99 Prozent der Filme eine Botschaft haben?
Ja, denn das ist es, was das Publikum will, was die Filmfestival-Chefs wollen und was die Kinobesitzer wünschen - und die verstehen von Film ja gar nichts. Vom Hollywood-Mogul Samuel Goldwyn gibt es den bekannten Spruch aus den 30er-Jahren: "Wenn Sie eine Botschaft haben, dann schicken Sie mir ein Telegramm!" Mein Filmverständnis ist geprägt durch die Nouvelle Vague: Durch deren Filme und Texte (die meisten Regisseure haben ja auch geschrieben) habe ich Kino kennengelernt. Und durch das amerikanische Kino. Für die deutsche Kritik war damals ein Film von beispielsweise Howard Hawks unannehmbar. Das war ja Kommerz! Und in den 50er-Jahren wollten sie historische Themen. Das waren dann Filme, in die ganze Schulklassen reingehen mussten, um hinterher Aufsätze zu schreiben, Filme über Gustav Stresemann oder so was. Als dann das Oberhausener Manifest erschien, hat sich zwar ein bisschen was verändert. Aber die gegen Opas Kino aufbegehrenden jungen Filmemacher sind damals total auf die Forderungen der Filmkritik eingegangen. Filme mussten gesellschaftskritisch sein. An vorderster Front stand Alexander Kluge, aber schauen Sie sich heute mal einen Kluge-Film an! - Für mich ist es so: Man muss aus dem Kino kommen und sich wohlfühlen.
Dann kämen am Ende ja nur Wohlfühlfilme raus.
Was heißt das denn schon! Es will doch niemand einen schlechten Film machen oder sehen. Dazu ist das Ganze auch zu mühsam und zu teuer. Es gibt durchaus Leute, denen "Das rote Zimmer" überhaupt nicht gefällt! Einer hat gesagt, der Film beginnt mit einer Prostituierten und endet mit Prostitution. Ein Mann, der mit zwei Frauen zusammenlebt und die einen Vertrag machen, dass er das bezahlt - das sei doch Prostitution. Ich habe gesagt: im Kommunistischen Manifest bei Karl Marx heißt es, die Ehe ist Prostitution.
Ein Vertrag zur gegenseitigen Benutzung der Geschlechtsorgane, schreibt Kant ...
Im Christentum heißt es, die Ehe ist ein Sakrament. In meinen Filmen wird ja relativ häufig geheiratet. Ich habe schon erlebt, dass ein katholischer Pfarrer bei einer Trauung zu spielen ablehnt - die echten Pfarrer sind einfach besser als Schauspieler -, weil die Ehe ein Sakrament ist.
Es gibt absolute Thomé-Fans und absolute Thomé-Hasser. So zu spalten, ist doch eine echte Leistung.
Sie sehen das positiv? Aber ich muss damit leben! Mir wäre es lieber, wenn es das nicht gäbe. Ich möchte von allen Leuten geliebt werden.
Interview: Daniela Kloock, Berliner Zeitung 13.1.11

 


"Ich bin niemand, der Lust an der Macht hat"

Rudolf Thome ist der große Unbekannte unter den deutschen Regisseuren. Seit mehr als vierzig Jahren dreht er Filme über die Beziehungen von Frauen und Männern mit sehr eigener Handschrift. Sein aktuelles Werk "Das rote Zimmer" macht da keine Ausnahme.

INTERVIEW ARIANE HEIMBACH

Ein Hinterhof in Berlin-Kreuzberg. Der Geruch von Kohleöfen hängt in der Luft. Auf einem schlichten weißen Klingelschild steht Thome/Moana. Der Regisseur und seine Firma. Rudolf Thome öffnet die Tür im Erdgeschoss. Seine Augen sind gerötet, seine Stimme ist heiser. "Ich weiß, ich sehe furchtbar aus."

taz: Herr Thome, was ist passiert?


Rudolf Thome: Ich konnte heute Nacht nicht schlafen und habe eine Stimmbandlähmung, aber ich kann reden.

Das ist gut, ich möchte nämlich mit Ihnen über die Liebe reden.

Mit mir? Ich bin doch kein Liebesexperte.

Sie drehen aber seit über vierzig Jahren Filme über die Beziehungen zwischen Männern und Frauen.

Aber da sammle ich keine Erfahrungen. Nicht in der Liebe. Das geht nur im Leben.

Dann reden wir darüber. Sie waren dreimal verheiratet.

Um es genau zu sagen, gab es in meinem Leben wohl sieben wichtige Frauen.

Wenn Sie zurückblicken: Hat es überhaupt Sinn, eine Beziehung auf so etwas Unverlässlichem wie der Liebe aufzubauen?

Natürlich geht es auch ohne große Emotionen. Vernünftig. So wurde früher geheiratet, und das waren zum Teil sehr gute Ehen. Diejenigen, die sie arrangiert haben, waren nicht von ihren Gefühlen verwirrt, sondern haben ganz klar überlegt, was zusammenpasst und was nicht. Daraus kann sogar Liebe entstehen.

Und das funktioniert heute noch?

Nein, jedenfalls nicht in unserer westlichen Welt, weil wir so ein Arrangement ablehnen. Hier träumt doch jeder von der großen Liebe. Davon, dass ein Mensch alle Wünsche erfüllen kann: Leidenschaft, Nähe, Verständnis. Das ist eine romantische Vorstellung aus dem 18. und 19. Jahrhundert, mit der wir aufgewachsen sind. Wir können sie nicht einfach wegwischen.

Sondern laufen weiter einem Traum hinterher.

Nicht ganz, denn das Gefühl, das wir Liebe nennen, ist auch das Ergebnis einer einigermaßen nüchternen Kalkulation. Man verliebt sich ja nicht blind, sondern weiß etwas über den anderen, bevor das alles passiert. Ich halte die Liebe immer auch für das Erzeugnis einer buchhalterischen Berechnung - die unser Kopf aber oft von ganz allein anstellt, ohne dass es uns bewusst wird.

Wird die Liebe dadurch verlässlicher?

Na ja, unser Kopf kann sich auch verrechnen, weil der andere sich nicht so verhält, wie erwartet. Außerdem verändert sich eine Beziehung. Wenn es schlecht läuft, sehen wir nur noch die negativen Seiten am Partner. Einige Frauen, mit denen ich zusammen war, haben dann versucht, mich zu verändern. Lieben heißt aber doch nicht, sich eine Kunstfigur so zurechtzuformen, dass sie einem gefällt.

Einige Paarpsychologen gehen noch weiter. Sie sagen, wir müssten uns von der Vorstellung verabschieden, dass Glück machbar sei, sondern lieber als Paar einigermaßen zufrieden sein. Sind unsere Glücksvorstellungen zu unrealistisch?

Nein, ich darf glücklich sein wollen. Aber ich darf nicht vom anderen verlangen, dass er mir zu diesem Glück verhilft. Und sollte ihn sonst einfach tun lassen, was er tun möchte. Als Filmproduzent versuche ich das auch zu beherzigen: Ich muss anderen zwar zeigen, wo es langgeht. Aber ich zerre nicht an ihnen herum oder sage ihnen, wie sie es besser machen sollen.

Lieber sind Sie hinterher unzufrieden?

Klar, das kommt vor. Aber ich bin einfach niemand, der Lust an der Macht hat - und das sagt ein Mann!

Gab es bei Ihnen nach Trennungen Phasen, in denen Sie länger allein waren?

Ja. Und manchmal hat es zu lange gedauert. Da kam es vor, dass ich mit hungrigen Blicken durch die Straßen gelaufen bin, aber nie passierte etwas. Man kann noch so viel in Cafés rumsitzen. Oder tanzen gehen. Wenn man dabei die Zunge raushängen lässt, lernt man niemanden kennen. Ich jedenfalls nicht.

So etwas von einem Mann zu hören, ist ungewöhnlich.

Ich bin wohl ein Mann mit vielen weiblichen Anteilen, wenn Sie das so unterscheiden wollen. Und ich mag gern starke Frauen. Ich war immer begeistert von den Filmen des Regisseurs Howard Hawks - und von seinen Filmfrauen: Katherine Hepburn, Lauren Bacall. Seine Filmmänner sind meinen übrigens ziemlich ähnlich: Sie können zwar schießen und wilde Tiere jagen. Oder todesmutige Rennfahrer sein. Aber in dem Moment, in dem sie mit einer Frau konfrontiert werden, sind sie vollkommen hilflos.

Der Filmkritiker Enno Patalas hat Sie wegen Ihrer dominanten Frauenfiguren als einen der ersten Feministen bezeichnet. Andere haben geschrieben, Sie würden gegen Ihr eigenes Geschlecht rebellieren.


In meinem Film "Rote Sonne" mache ich das vielleicht, da haben die Frauen die Pistolen. Aber ich habe damit nie ein politisches Ziel verfolgt. Ich glaube, Männer lieben dominante Frauen. Ich liebe sie jedenfalls. Allerdings hatte ich damit auch Probleme. Im Leben, nicht im Film.

Sie verfassen Ihre Drehbücher seit vielen Jahren selbst. Denken Sie beim Schreiben manchmal: Oje, das wird schon wieder eine Beziehungsgeschichte?

Nein, weil ich am Anfang noch keine Geschichte habe. Ich gehe vom Titel aus und dann sammle ich um den Titel Personen, Drehorte. Und dann entwickelt sich eine Geschichte. Ich überlege mir nichts beim Schreiben, es geschieht fast automatisch.

Meinen Sie damit, dass Sie ohne Plan drauflos schreiben?


Mehr oder weniger. Aber dadurch, dass ich die Texte ins Internet stelle, auf meine Homepage, habe ich natürlich eine Kontrolle. Da werde ich auch kritisiert oder bekomme gute Ratschläge. Dann weiß ich, dass ich nicht völligen Mist schreibe.

Dabei haben Sie einen ganz eigenen Stil entwickelt. Und den verfolgen Sie trotz des geringen Erfolgs an der Kasse sehr eigenwillig. Ihre Filme tragen Ihre Handschrift. Sie sprechen ja selbst von Thome-Filmen.

Ich würde schon gern mal weg davon. Mein letzter Film "Pink" war ein Versuch. Ein kurzer, schnell geschnittener Film. Meine Tochter Joya und mein Sohn Nicolai mochten ihn. Aber auch er lief nicht an der Kasse. Ich wäre glücklich, wenn ich mal eine Million Zuschauer hätte. Ein bisschen habe ich das mal bei "Berlin Chamissoplatz" erlebt, der ein echter Liebesfilm war. Da kam ich zum Kino, und eine lange Schlange stand an der Kasse, das war toll. Wenn aber nur zehn Leute bei einer Premiere im Kino sitzen, dann möchte ich am liebsten sofort nach Hause gehen.

Wie erklären Sie sich, dass Sie in Frankreich mehr Erfolg hatten als hier? Die Zeitschrift "Cahiers du cinéma" hat Sie einmal als den "wichtigsten unbekannten deutschen Regisseur" bezeichnet.

Der Spiegel hat einmal einen Film von mir total verrissen, da hieß es: tiefgründelndes deutsches fürchterliches Mischmasch oder so. Und die Libération schrieb: ein kleines ironisches Meisterwerk. Ich spiele halt mit den Erwartungen der Zuschauer. Das ist meine Art von Ironie. Aber das verstehen die Deutschen oft nicht.

Was verstehen Sie unter Ironie?

Das bezieht sich auf eine grundsätzliche Haltung meines Erzählens. Ich erzähle Geschichten, die extrem einfach scheinen, schrecke vor keinem Klischee zurück, verwebe das mit märchenhaften, manchmal auch religiösen Bezügen. Ich will den Zuschauer provozieren, aber gleichzeitig bei der Stange halten. Ich unternehme jedoch nichts, um ihn emotional zu packen. Ironisch ist auch meine Haltung gegenüber den Figuren. Ich identifiziere mich mit ihnen, bin ganz auf ihrer Seite. Und gleichzeitig betrachte ich sie sachlich und distanziert. Wie ein Beobachter von einem anderen Planeten.

Ehrlich gesagt, fühlt man sich als Zuschauer bei Ihnen oft nicht ernst genommen.

Zugegeben, ich übertreibe oft. Was ich dem Publikum zumute, ist immer ein bisschen zu viel, das nehmen mir einige übel.

Und doch haben Sie immer so weitergemacht.

Das Filmen ist eine Leidenschaft, ich mache das ja nicht, um viel Geld zu verdienen, sondern weil ich es liebe. Ich werde filmen, bis ich tot bin.

Können Sie diese Leidenschaft beschreiben? Sie drehen seit einiger Zeit trotz hohem finanziellem Risiko fast jedes Jahr einen neuen Film.

Das hat Rainer Werner Fassbinder auch gemacht.

Der hat aber nicht lang gelebt.

Stimmt, weil er zu viel gekokst hat. Das mache ich nicht. Ich trinke eine Flasche Rotwein am Tag, was nicht so gefährlich ist. Warum ich Filme mache? Das ist mein Job, ich kann nichts anderes. Das Filmemachen hält mich lebendig, ich vergesse dabei auch das Älterwerden. Ich freue mich jedes Mal auf die Arbeit mit den Schauspielern. Wenn die gut sind, bin ich glücklich, dann ist mir alles andere wurscht.
Ariane Heimbach, TAZ 13.1.11 (das Interview war ursprünglich für "Brigitte Woman" gedacht)


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