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    Rudolf Thome im Gespräch mit Gudrun Max und Karlheinz Oplustil am 27. Januar 2000 in Berlin

Interview
  "Rio Bravo" gegen "High Noon"

- Im Film geht es um den 60. Geburtstag des Künstlers, den Hanns Zischler spielt. Du selbst bist letztes Jahr, nachdem du den Film gedreht hattest, 60 geworden. Ist das ein autobiographischer Film?

Nicht mehr und nicht weniger als die andern auch. Der Ausgangspunkt des Drehbuchs war eigentlich nicht mein Geburtstag. Ich hatte 1998 in Haifa den Film von Theo Angelopoulos gesehen, "Die Ewigkeit und ein Tag", und hab mich maßlos über den Film geärgert. Und zwei Monate später war ich in Paris - da hab ich "Tigerstreifenbaby" gezeigt - da fragte man mich, was ich denn als nächstes machen werde, und dann hab ich gesagt: Ich hab keine Ahnung... ich habe da den letzten Angelopoulos-Film gesehen, und ich hab mich so über den Film geärgert... vielleicht werde ich auch ein Porträt eines älteren Künstlers machen, bloß völlig anders: nicht pathetisch und mit tiefer Bedeutung und mit hohem Kunstanspruch, sondern leicht, komisch, ironisch, und ganz einfach.
Als ich mich dann zurückgezogen habe in meine Klausur, um zu schreiben, war das am ersten oder am zweiten Tag der Gedanke, der mir natürlich sofort kam und ich dachte, das könnte ich machen. Dazu kommt noch etwas: Howard Hawks hat, als er "Zwölf Uhr Mittags" von Zinnemann gesehen hat, sich so über diesen Film geärgert, daß er "Rio Bravo" gedreht hat. Das habe ich in den sechziger Jahren gelesen, und das habe ich nie vergessen.
Dann kam der Titel. Ich glaube, ich hatte den Titel bereits am ersten Tag. Bei mir ist der Titel ja immer ganz, ganz wichtig. Um mit dem Schreiben anfangen zu können, brauche ich einen Titel, weil der dann sozusagen ein Ziel, ein Orientierungspunkt für mich ist - wohin, in welche Richtung ich schreibe. So wie ein Wüstenwanderer, der auf eine ferne Oase zugeht - immer mit der Hoffnung, daß es eine wirkliche Oase und keine Fata Morgana ist.

Dante und Südsee

- Wo kam denn "Paradiso" her?

Wenn ich ein Drehbuch schreibe, mache ich mir zunächst mal handschriftliche Notizen. Dazu nehme ich immer irgendein Schulheft. Wenn ich in ein fremdes Land komme, gehe ich in alle Supermärkte, die ich finden kann, und gucke, was die für Schulhefte haben. Da ich 1998 mit "Tigerstreifenbaby" bei vielen Festivals auf der ganzen Welt war, war ich in sehr vielen Supermärkten und habe einen ganzen Stapel von Schreibheften gehabt. Als ich mich dann zum Schreiben auf den Weg machte, hab ich vorher diesen Heftstoß angeguckt und überlegt, welches nehme ich, in welches schreibe ich rein. Ich habe mich für eins entschieden, das war gelb und da stand auf dem Titelblatt "Paradiso".
Da war eine Palme drauf und so eine stilisierte Südseelandschaft. Als ich dann anfing zu schreiben und mir über einen möglichen Titel den Kopf zerbrach, war dieses Schulheft da, dieses Titelblatt von dem Heft. Und da dachte ich, das ist doch ein guter Titel. So kam's.

- Es gibt bei Dante einen Teil der "Göttlichen Komödie", der Paradiso heißt. Hast du auch daran gedacht?

Ich habe dann, als ich den Titel "Paradiso" hatte, im Internet nachgeguckt unter "Paradiso", da kam natürlich die "Göttliche Komödie", und es gibt ja im Film eine Figur, die sollte Beatrice heißen, nach der Muse von Dante. Aber jetzt heißt sie Berenice. Ich habe damit gespielt.

- In dem Film von Angelopoulos soll Bruno Ganz älter sein und stirbt schließlich. Ist das ein wesentlicher Unterschied?

Die Figuren in meinen Filmen waren ja meistens wesentlich jünger, vor allem die Frauen. Und einer der Vorwürfe, die man mir gemacht hat, bei meinen bisherigen Filmen, war: warum machst du mal nicht einen Film über Leute in deinem Alter?
Na ja, man hört ja doch auch auf das, was einem gesagt wird, und so hab ich gedacht, na gut, dann mach ich das mal. Wenn ich einen Film über einen Mann um die sechzig mache, daß ich da natürlich Dinge aus meinem Leben mit einbaue, das ist fast unvermeidlich. Aber das habe ich schon immer gemacht. Denk nur an "Das Mikroskop", die ganzen Aquarien, die hatte ich ja hier in der Wohnung stehen. Und mit dem sechzigsten Geburtstag, das war halt ein Trick von mir. Ich dachte, statt den sechzigsten Geburtstag zu feiern, mache ich lieber einen Film über einen Mann, der seinen sechzigsten Geburtstag feiert.

- Heißt das, daß du deinen eigenen Geburtstag auch gerne so verbracht hättest?

Nein. Ich habe nichts dergleichen getan. Ich bin weggefahren und hab gar nicht gefeiert.

- Hattest du auch mal real den Wunsch, alle deine verflossenen Frauen noch mal wieder zu treffen?

Nein, aber die Schauspieler sind fast alle Schauspieler aus meinen früheren Filmen. Ich habe nicht meine sieben Frauen versammelt, die sieben wichtigsten Frauen meines Lebens, sondern habe Schauspieler aus meinen Filmen in diesem Film versammelt. Das war ein Kriterium bei der Auswahl der Schauspieler.

- Hast du auch daran gedacht, Uschi Obermeier zu bekommen?

An Uschi Obermeier haben wir nicht weiter gedacht. Vielleicht, weil es zu schwierig geworden wäre. Sie lebt ja in Los Angeles, und der Film hat ja ein sehr kleines Budget gehabt. Das wäre sicherlich nicht einfach geworden.

Ironie und tiefere Bedeutung

- War der Film von Angelopoulos denn beim Schreiben des Buches ein Stoff, an dem du dich gerieben hast?

Nein. Zumindest nicht bewußt. Ich hab nicht weiter an ihn gedacht. Ich schreibe ja ein Drehbuch so: Ich nehme mir 28 Tage Zeit, in denen ich mich an einen einsamen Ort begebe. Die ersten zehn Tage sitze ich da und mache handschriftliche Notizen und am elften Tag - egal was mir bisher eingefallen ist - fange ich an zu schreiben mit dem eigentlichen Drehbuch.
Und in den ersten zehn Tagen dieser Notizen, da war also am ersten Tag der Gedanke an den Angelopoulos-Film, dann kam der Titel, und am dritten Tag kam mir die Idee, daß ich einen Traum realisieren könnte hierbei, nämlich mal einen Film mit einem inneren Monolog zu machen. Diesen Wunsch habe ich eigentlich schon seit langer, langer Zeit. In Robert Bressons "Pickpocket" gibt es einen inneren Monolog, den finde ich unglaublich stark. Du bist durch diesen inneren Monolog bei "Pickpocket" ganz nah bei dem Mann, der da als Taschendieb die Hauptrolle spielt. Und diese Nähe, die man durch den inneren Monolog erreicht, dachte ich, das wäre eine Möglichkeit hier bei diesem Film, bei diesem Mann, der seinen sechzigsten Geburtstag feiert.
Ein anderer Aspekt, den ich auch haben wollte, war: ich wollte im Grund genommen das Porträt eines älteren Künstlers machen. Ein Porträt muß ja auch das zeigen, was vorher war. Angelopoulos macht das, indem er auch Rückblenden macht. Aber Rückblenden mache ich nicht in meinen Filmen. Wie kann ich dann die Vergangenheit zeigen von einer Person, wenn ich keine Rückblenden mache? Meine Lösung des Problems war: ich zeige Personen, die mit ihm zu einen Teil ihres Lebens verbracht haben. Und indem ich diese Personen zeige, wird etwas von seiner Biographie sichtbar. Und dann gefiel mir natürlich sehr gut, den Zeitraum, den ich erzähle, so klein wie möglich zu machen. Am besten wäre natürlich ein Tag gewesen. Aber da hatte ich keine Chance, weil ein Film, der "Paradiso" heißt, wo der Hauptdarsteller Adam heißt und die Hauptdarstellerin Eva und es auch eine Schlange gibt, da muß diese ironische Komponente weiter ausgebaut werden. Da müssen es halt sieben Frauen sein, obwohl ich damit erhebliche Schwierigkeiten hatte, weil sich für sieben Frauen Geschichten auszudenken, das ist ja nicht einfach, und es mußten sieben Tage sein, um das Märchenhafte, aber auch Ironische der ganzen Konstruktion offensichtlich zu machen. Ich hoffe, daß die Zuschauer das auch so sehen.

Der Sohn der Nonne

- Die Schlange würde ich als reine Ironie ansehen, weil die ja letztlich nur eine harmlose deutsche Schlange ist, die nichts tut, während die biblische Schlange natürlich furchtbare Folgen gehabt hat: die Verstoßung aus dem Paradies.

Ich wollte ein Motiv wiederholen, das ich in "Tigerstreifenbaby" hatte, aber es in einen völlig anderen Kontext stellen. Ein bißchen wollte ich damit auch die Leute provozieren, die mir vorwerfen, daß bei mir ja immer wieder die gleichen Szenen zu sehen sind. Die Leute liegen im Bett, die Leute frühstücken, die Leute gehen am Wasser spazieren, die Leute machen ein Feuer. Es gibt immer wieder ähnliche Szenen in allen meinen Filmen. Auch wenn die Drehbücher von verschiedenen Autoren geschrieben worden sind. Ich spiele mit dem Motiv der Schlange. Aber sie hat natürlich auch eine Funktion im Gesamten, auch wenn das nicht ganz klar definiert ist. Es war mir schon wichtig hier, daß es Billy ist, der die Schlange fängt.

- Warum Billy?

Billy ist ja nun die problematischste Figur im ganzen Film. Und zwischen ihm und Adam gibt es ja einen ziemlich heftigen Konflikt.

- So ganz erfährt man eigentlich nicht, warum der Billy böse ist auf Adam. Also die haben sich dreißig Jahre nicht gesehen...

Es ist halt wie eigentlich alles in "Paradiso". Die Hintergrundgeschichte wird immer nur aus Kleinigkeiten und indirekten Sachen klar. Nichts wird direkt und explizit erklärt. Man sieht hier ganz am Anfang, wenn Billy eine Email an Joschka Fischer schickt, der offensichtlich so etwas wie ein väterlicher Freund in seinem Leben gewesen ist, da schreibt er ja ganz direkt, wie er zu seinem Vater steht. Und dann sieht man es, wenn er mit seiner Frau losfährt, daß er zornig ist, wütend und aber auch Angst hat. Sie sagt: Ich hab keine Angst vor diesem alten Mann. Und er sagt: Es ist ja auch nicht dein Vater. Also der Vater ist für ihn ein ungelöstes und sehr großes Problem.

- Weil er sich nicht um ihn gekümmert hat.

Die haben sich 30 Jahre nicht gesehen. Was auch immer da war. Es war offensichtlich gar nichts. Man muß ja auch sehen, der Adam, der lebt getrennt von seiner Familie. Er lebt in seinem Haus da am See, und seine Kinder und seine Frau leben in Berlin. Die kommen immer nur in den Ferien. Da würde man doch sagen, die leben getrennt. Aber so wie der Film die Geschichte dieser Familie im engeren Sinne zeigt, ist da trotzdem eine Beziehung - sowohl zu den Kindern wie zu seiner Frau.
Bei der ersten Vorführung des Rohschnitts auf einer großen Leinwand wurde mir klar, daß das Kernthema des Films weder die Geschichte mit Billy ist, also das Zusammentreffen von Vater und Sohn nach langer Zeit und der Konflikt zwischen ihnen, sondern daß es um was ganz anderes geht, was mir beim Schreiben so explizit nicht klar war, daß es um die Familie geht. Es geht um die Herstellung einer Familie und um die Sehnsucht nach einer Familie, aber nicht einer Familie, wie man das früher verstanden hat, wo also quasi die Großeltern, die Enkel und Kinder, die Brüder und Schwestern, die Onkel und Tanten, die Nichten und Vettern und die Schwiegereltern zusammenkommen, sondern eine Familie, wo die wichtigen Menschen, die einen durch das Leben begleitet haben, zusammenkommen. Das wurde mir klar bei der Szene am Ende, wo sie alle beim Mittagessen auf der Terrasse des Hauses am See sitzen und wo zunächst mal Billy seine Geschichte erzählt und alles zum Guten fügt, wo er eben sagt: Irgendwie sind wir so was wie eine Familie geworden. Und danach kommt dann plötzlich Jaqueline, die ja am unglücklichsten ist in der ganzen Gruppierung da und wo die plötzlich aus heiterem Himmel ihr ganzes verunglücktes Leben offenbart, und wo sie sagt, das wäre das gewesen, wovon sie geträumt hätte, aber hier ist es für ein paar Tage für sie passiert. Und sie sagt eben: Nicht jeder kann eine Familie haben.

Vergangenheit - Gegenwart - Zukunft

- Ich denke, es gibt noch eine Reihe anderer "großer Themen", die ganz beiläufig behandelt werden, etwa die Kunst, die Religion auch, wenn man so will, und dann, was ich eigentlich als das Hauptthema des Films ansehe: die Zeit. Es sind Personen aus verschiedenen Zeitstufen, die da zusammenkommen. Und es fällt auch einmal der Satz von Adam: wenn er in einem Werk Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammen kriegen könnte, das wäre das Absolute, was er erreichen könnte. Vielleicht ist das als der Kernsatz dieses Films anzusehen, der sich auch in der Handlung widerspiegelt. Wobei ich es schön finde, daß alles auf eine praktische und alltägliche Art behandelt wird, obwohl es abstrakte Themen sind.

Ich habe nicht explizit daran gedacht, einen Film über die Zeit zu machen. Ich habe auch nicht, wenn Adam diesen inneren Monolog spricht, an eine Selbstinterpretation des Films gedacht. Ein viel wichtigerer Aspekt im Zusammenhang mit der Zeit war mir die Tatsache, daß der Film... ich wollte um jeden Preis den Film 1999 drehen, also an dieser Jahrhundertwende oder dieser Jahrtausendwende. Ich wollte, daß der Film im Jahr 2000 rauskommt. Ich hab, um das erreichen zu können, sehr viel geopfert. Ich hätte vielleicht mehr Geld für diesen Film zur Verfügung haben können, wenn ich darauf verzichtet hätte, ihn noch unbedingt in diesem Jahr zu drehen. Ich konnte keine Förderung dafür kriegen, weil die Förderungsinstitutionen sich alle erst entschieden hätten, nachdem der Film bereits fertiggestellt war. Das einzige was gegangen wäre, wäre der Filmboard Berlin-Brandenburg gewesen, die hätten sofort entscheiden können, aber die hatten kein Geld mehr.

Hanns Zischler und die Sonnenfinsternis


- Es gibt mehrere Momente in dem Film, wo man auf die Vergangenheit verwiesen wird, schon durch die Frauen, mit denen Adam zu tun hatte. Und es tauchen dann auch immer Geschichten aus der Vergangenheit auf. Man überlegt, was ist davon eigentlich geblieben, und wie wirkt sich das auf seine Gegenwart aus. Und in der Szene mit der Sonnenfinsternis wird die Zeit mit dem Text dazu wunderbar zusammengeschoben.

Da kamen eben Dinge zusammen. Für mich war dieser Aspekt 1999 wichtig, deswegen ist der Kosovo-Krieg drin, und deswegen habe ich daran gedacht, die Sonnenfinsternis rein zu nehmen. Wir wußten ja nicht, ob wir sie sehen können. Das war ja das große Problem. Und ich hatte sie am Anfang nicht eingebaut, weil ich beim Drehbuchschreiben unmöglich wissen konnte, daß ich an diesem Tag einen Film drehen würde. Aber als dann der Drehtermin feststand und wir wußten, am 5. oder 6. Drehtag wird also die Sonnenfinsternis passieren, da haben wir gesagt, wir setzen das auf die Dispo und die einzige Szene, die sich mit der Sonnenfinsternis drehen ließ, war eine Szene, die eigentlich für eine Bootsfahrt, wo Adam mit seinen Kindern im Boot fährt und die Kinder angeln, gedacht war, und ich hab gesagt, wenn die Sonnenfinsternis sichtbar ist, drehen wir diesen Dialog auf dem Bootssteg, und die gucken mit ihren Brillen auf die Sonnenfinsternis.
Dann kam dazu, daß Hanns Zischler die Geschichte, die er in seinem inneren Monolog über die Sonnenfinsternis erzählt, selbst erlebt hat. Den Monolog hat er, als wir die inneren Monologe aufgenommen haben, on the spot erfunden. Dazu muß ich sagen, daß es für Hanns Zischler, als er das Drehbuch gelesen hat, ein Selbstporträt war. Also von wegen Selbstporträt von mir, Rudolf Thome, so ist das gar nicht. Hanns Zischler hat sich in diesem Film genauso widergespiegelt gesehen wie ich.
Es ist ein Glücksfall, daß er als Schauspieler das spielt und daß er sich auch gleichzeitig da drin erkennt. Ich muß sagen, mir ging das sehr zu Herzen, als er sagt: Als ich 14 war, habe ich die erste Sonnenfinsternis gesehen. Und man sagte mir, wenn du 60 bist, was man sich als Jugendlicher gar nicht vorstellen kann, daß man überhaupt so alt wird. 60, da ist man ja ein Greis für Vierzehnjährige. Da wirst du dann die zweite Sonnenfinsternis sehen.

- Das ist ein wunderschöner poetischer Satz über das Vergehen der Zeit. Ich meine, abgesehen davon, daß er wunderbar spielt, ist Hanns Zischler natürlich Auch deshalb ein Glücksfall, weil man ihn aus allen möglichen früheren Filmen von dir kennt, auch in verschiedenen Erscheinungen. In "Berlin Chamissoplsatz" war er eben noch zwanzig Jahre jünger.

Ich mußte dazu einen kleinen Sprung machen, weil nach dem Drehen von "Tarot" hab ich zu ihm gesagt: Hanns, ich werde nie wieder mit dir einen Film machen. Und daran hab ich mich gehalten, bis zu "Paradiso". Als ich die Finanzierung hatte und ihn anrief - der erste Mensch, den ich anrief, war Hanns Zischler - ich bekam ihn auch sofort und ich hab ihn einfach nur gefragt, ob er so was machen würde und ob das von der Zeit her ginge, das ging alles und er hat ja gesagt, dann hab ich ihn gefragt, soll ich dir die Geschichte erzählen. Drauf sagt er: nein, brauchst du nicht. Ich kenn dich doch. Dann haben wir uns am nächsten Tag getroffen, zum ersten Mal nach mindestens zehn Jahren. Das war sehr harmonisch. Dann hat er mir, nachdem er das Drehbuch gelesen hatte, eine Email geschickt und hat geschrieben: er freut sich sehr auf diese Rolle. Es sei für ihn eine große Herausforderung.

Bankdirektor Marquard Bohm

- Was ich ähnlich sehe, ist natürlich auch die Wahl von Marquard Bohm. Den kennt man noch aus deinen allerersten Filmen als sehr jungen Mann, aus "Detektive" und "Rote Sonne". Er ist jetzt dreißig Jahre älter geworden, und das sieht man auch.

Es hätte bestimmt Schauspieler gegeben, die sehr viel besser einen Bankdirektor hätten darstellen können. Wobei ich in Kauf genommen habe, daß Marquard Bohm als Bankdirektor vielleicht nicht ganz so glaubwürdig ist. Aber das ist egal. Er ist Marquard Bohm. Er ist so, wie er jetzt ist, und er mußte das einfach sein. Da ging nichts daran vorbei.

Eva und die sieben Frauen

- Es scheint eine besondere Beziehung zwischen Adam und seiner Frau zu bestehen. Sie ist seine gegenwärtige und letzte Frau... Gibt es da irgendetwas Besonderes in dieser Beziehung, das ermöglicht?

Sie nimmt ihn so wie er ist. Es bleibt ihr gar nichts anderes übrig.

- Ich finde sie eine sehr interessante Figur in dem Film, auch wie sie gegenüber den anderen Frauen ist. Das ist ja nicht selbstverständlich, daß sie da dermaßen tolerant und gelassen ist.

Da ist durchaus komplex. Das ist bei den einzelnen Frauen verschieden. Bei der jüngsten Frau, bei Marion, mit der Adam offensichtlich eine Liebesgeschichte hatte, während sie schwanger war mit ihrer Tochter, die empfängt sie ja extrem unfreundlich, ja geradezu beleidigend unfreundlich , aber das verändert sich ja zum Ende hin. Am Ende umarmen die sich, und Eva sagt, ich möchte auch, daß du noch zum Mittagessen bleibst. Da ist dieser Konflikt beigelegt. Und die andere Frau, mit der es ein Problem gibt, ist ja Berenice. Nachdem Adam mit Berenice diesen Rock 'n Roll getanzt hat und anschließend von Eva wieder verarztet wird, kommt so etwas wie Eifersucht heraus. Da sagt sie: Gott sei Dank ist sie eine Nonne.

- Und sie sagt, du hast wohl etwas zu wild getanzt. Das sagt sie dann auch sehr spitz. Warum ist die Berenice eine Nonne?

So wie die Jacqueline ja noch immer - irgendwas tief in ihr drin - einen Schmerz hat, weil das damals mit dem Adam nicht geklappt hat, so hat die Berenice auch noch immer einen Schmerz. Und sie sagt es genau so offen wie Jacqueline, in ihrer ersten Szene, wenn sie betet und sagt: ich liebe ihn immer noch. Es wäre denkbar, daß sie vielleicht damals, als Adam sich von ihr getrennt hat, aus Verzweiflung Nonne geworden ist.

- Da fragt man sich, was ist mit Billy gewesen. Ich hab noch nie von einer Nonne mit einem Sohn gehört.

Da war der vielleicht schon in der Schule. Der Billy kann nicht bei ihr gelebt haben, als sie schon Nonne war. Deshalb war er ja auch so sauer. Weil der Vater sich nicht um ihn kümmerte. Und seine Mutter vielleicht auch nicht lange genug. Es gibt ja eine Szene, da sagt er: Meine Kinder bedeuten mir alles. Da sagt Adam: Das kann ich von mir nicht sagen. Und die Beziehung von Berenice zu ihrem Sohn ist ja auch nicht ganz so unkompliziert. Wenn die beiden sich zum erstenmal sehen, begrüßen sich die beiden gar nicht.

Nah am Mikrofon

- Es ist das erste Mal, daß du das mit dem inneren Monolog gemacht hast. Der ist auch insofern interessant, als er etwas ungewöhnlich gesprochen ist, er wirkt ganz besonders intim.

Als ich für das Berlinale-Forum gearbeitet habe, ist der Mann, der bei der Vorführung eines Godard-Films den deutschen Text einlesen sollte, nicht aufgetaucht. Dann hab ich gesagt, na gut, dann mach ich das halt. Da hab ich gemerkt, daß, wenn man das Mikrofon ganz dicht an den Mund hält und relativ leise spricht, daß man einen unglaublich suggestiven Einfluß auf das Publikum hat. Als wir den inneren Monolog aufgenommen haben, hab ich mich daran erinnert und gesagt, genau so will ich es machen.

- Der innere Monolog ist ein Kunstgriff, der eigentlich den Prinzipien deiner früheren Filme entgegensteht.

Ich habe oft mit dem Gedanken gespielt. Der erste Film, wo ich überlegt hab, ob ich das mache, war "Beschreibung einer Insel". Aber da hab ich mich dann nicht getraut es zu machen. Je älter ich werde, desto mehr traue ich mich.

Email an Joschka Fischer

- Wenn hier an Joschka Fischer geschrieben wird, würde ich es auch erstmal als ironisch auffassen.

Auch. Ich meine es ist ja auch ein bißchen kühn. Ich hätte ja auch einen beliebigen Namen einsetzen können und es hätte auch funktioniert. Es charakterisiert sehr stark auch den Billy. Bei der Busfahrt erzählt Billy, daß er früher gegen den Staat gekämpft hat, keine Demo ohne Billy, Joschka Fischer war auch so einer.

- Und er ist eine Figur, der sich im Laufe der Zeit verändert hat, der vom Revoluzzer zum Außenminister geworden ist.

Etwas aufbewahren

- Warum war es dir so wichtig, den Kosovo-Krieg da auch drin zu haben?

Das Jahr 1999 wird durch zwei Ereignisse in der Außenwelt bestimmt, das eine ist der Kosovo-Krieg und das andere ist die Sonnenfinsternis. Ich hab es dafür sogar in Kauf genommen, daß der Film historisch nicht stimmt, denn der Kosovo-Krieg war von Februar bis Juni und die Sonnenfinsternis war im August, da war der Kosovo-Krieg längst vorbei. Doch im Nachhinein fällt das schon nicht mehr auf.

- Man hat diesen Krieg beinahe schon wieder vergessen.

Aber wenn man die Aufnahmen im Fernsehen sieht, fühlt man sich sofort wieder zurückversetzt. Sogar durch die Stimme der Tagesschausprecherin, Dagmar Berghoff, die übrigens jetzt in Ruhestand gegangen ist...
Das finde ich wunderbar, das liebe ich total. Ich habe das schon vorher gemacht. Beim "Philosoph" gibt es eine Szene, wo eine der Frauen morgens beim Frühstück die Schlagzeilen aus den Zeitungen vorliest. Unter anderem, Strauß tut das und das. Als der Film rauskam, war Strauß gestorben. Das gibt der Szene einen ganz merkwürdigen Effekt. In "Das Geheimnis", nachdem der Mann, der sich Jesus nennt, tot ist, steht Adriana Altaras am Fenster und hört das Frühstücksradio von Lutz Bertram, der "Frühstücksdirektor" von Radio Brandenburg, der wirklich genial war. Da kommt auch etwas von außen rein. Der war dann auch nicht mehr bei Radio Brandenburg. Die haben ihn gefeuert wegen seiner Stasivergangenheit. Das gefällt mir. Das hab ich sehr gerne. In "Berlin Chamissoplatz" und "Tagebuch" sieht man, wie alles aussah, als die Mauer noch da war. Das ist heute allein dadurch schon ein Zeitdokument. Durch das Hereinnehmen von Außenwelt automatisch kriegt das so eine Komponente von Zeitdokument. Und da es hier um die Zeit geht, ist das ganz wichtig.
Also ich bin zur Zeit sehr viel am Potsdamer Platz, weil da das Festival ist und ich da Dinge zu tun habe. Dann ist meine Bank umgezogen von der Stresemannstraße an den Potsdamer Platz. Also das ist jetzt mein Revier sozusagen. Ich muß gestehen, ich gehe da gerne hin. Und ich freue mich schon darauf, da später einmal zu drehen. Ich bin richtig froh, daß ich das erleben kann. Wie da etwas absolut Verrücktes, etwas für Berlin völlig Neues jetzt schon entstanden ist. Man muß ja bloß ein paar Schritte von da weglaufen, zur U-Bahnstation. Wenn man dann zurück guckt wie die Gebäude aussehen, einfach die Bilder, es ist unglaublich, daß es so was in Berlin gibt. Und wenn ich es filme, hab ich das Gefühl, ich bin mittendrin noch in allem, was jetzt passiert. Wenn man älter wird, hat man manchmal das Gefühl, alles verändert sich und alles wird neu und irgendwie ist man draußen, ist man nicht mehr dabei. Und man ärgert sich plötzlich über die Veränderungen. Solange ich mich freue, daß ich bei den Veränderungen dabei bin, weiß ich, ich bin noch immer nicht alt genug, um zu sterben.

- Wie sind die Ausschnitte vom Kosovo-Krieg ausgesucht?

Es waren die einzigen Ausschnitte, wo das deutsche Fernsehen, die ARD, die Rechte hatte. Bei allen anderen Tagesschau-Ausschnitten lagen die Rechte beim serbischen Fernsehen. Ich bekam die Ausschnitte von der Tagesschau zunächst auf VHS. Es gab darin eine Sequenz, wo während eines Tagesschauberichtes ein Interview mit Joschka Fischer gemacht wurde, wo Joschka Fischer dann so als Videobild eingeblendet wurde - der saß also nicht mit dem Interviewer direkt zusammen -, und das hätte ich gerne gehabt, aber auf der Super VHS-Kassette, die ich dann zum Drehen hatte, war diese Szene leider nicht mehr drauf. Ich hätte Joschka Fischer auf diese Weise gerne direkt in meinem Film drin gehabt. Wir hatten leider nicht die Zeit, diese Szene noch einmal anzufordern. Das ging einfach nicht. Der Film ist ja vom 20. April bis 20. Mai geschrieben worden, vom 10. oder 15. Juni bis 7. August waren die Produktionsvorbereitungen, und vom 7. August bis zum 10. September ist gedreht worden. Das Ganze ging so unglaublich schnell...

Nachtwandler im Internet

- Man könnte anhand deiner Filme, die verschiedenen Arten mit Computern umzugehen, rekonstruieren. In "System ohne Schatten" war‘s relativ primitiv. Dann taucht es auf in den "Sieben Frauen".

Und in "Der Philosoph". Da kriegt der Philosoph beigebracht, wie man mit einem Macintosh umgeht.

- In "Sieben Frauen" kommt diese Botschaft vom Vater aus dem Computer, aber auch noch vergleichsweise simpel. Und jetzt in "Paradiso" schicken sich die Leute Emails.

Ich hab ja diesmal etwas gemacht, was ich noch nie vorher gemacht habe. Ich hab diesmal die Entstehung des Films von Anfang an öffentlich gemacht, in dem ich das, was ich in den vier Wochen des Drehbuchschreibens gemacht hab, täglich im Internet veröffentlicht hab. Ich hab seit "Tigerstreifenbaby" und "Just Married" auf der Berlinale 1998 liefen, eine Homepage, die sich immer mehr erweitert hat und immer größer und umfangreicher geworden ist, weil es diese Möglichkeit halt gibt und ich auch für mich bequem Infos zusammen haben wollte. Und das Einfachste war, all die Sachen ins Internet zu tun. Und wenn ich heute etwas nachgucken muß, gucke ich auf der Homepage nach. Da finde ich alles. Am Anfang war sie nur Englisch, dann kam das Deutsche dazu und im letzten Jahr auch noch das Französische. Dann haben meine Grafikerinnen, die mein Plakat gemacht haben, gesagt, wir müßten mal die Grafik deiner Homepage ein bißchen verbessern und dem Ganzen eine logischere Struktur geben und dann sagte ich denen, ich könnte ja mein neues Buch ab Mitte April live im Internet schreiben und die waren total Feuer und Flamme und dann habe ich gesagt, dann mach ich‘s. Und dann wurde auch das neue Design der Website rechtzeitig zum Start des Drehbuchschreibens fertig. Das war natürlich ein gewaltiges Experiment, wo ich überhaupt nicht wußte, ob das gut ist beim Schreiben, weil die Einsamkeit, die muß man haben beim Schreiben. Und wenn man so eine Öffentlichkeit herstellt, wo jeder halt sofort alles lesen kann, das ist schon ein gigantisches Risiko. Vor allem, ich weiß ja auch selber nicht, vielleicht fällt mir ja gar nichts ein. Ich spiele ja wirklich va banque dabei. Gut ich kann sagen, mir ist nichts eingefallen und höre auf, da hochzuladen. Die Möglichkeit hat man natürlich schon. Aber man hat ja auch seinen beruflichen Ehrgeiz und will das dann halt durchziehen. Und ich hab gemerkt, daß mir das Spaß gemacht hat, daß es für mich überhaupt kein problematisches Gefühl ist. Ich hab mich so gefühlt wie früher, als ich für Tageszeitungen Kritiken geschrieben hab. Ich mußte um halb zwölf oder zwölf mit einer Kritik fertig sein und dann hab ich die dahingebracht. So mußte ich dann am Abend um halb sechs etwas haben, was ich hochladen kann. Und das hab ich ja gemacht. Und die Reaktionen, oder die Anzahl der Menschen, die da reingegangen sind, ist immer größer geworden und das hat mir einen zusätzlichen Kick gegeben. Das ist so wie wenn ein Film im Kino Premiere hat und es steht eine lange Schlange davor. Das freut einen natürlich. Denn natürlich will man, daß ganz, ganz viele Leute einen Film sehen. Dann habe ich das weiter gemacht. Auch beim Drehen des Films. Und ich gedenke, das auch in Zukunft so zu machen. Vielleicht sogar noch ein bißchen auszubauen. Hier habe ich es nur etwa acht Leuten gesagt, die ich gut kannte. Aber es kamen wesentlich mehr dazu, die dann mitgelesen haben. Ich denke beim nächsten Mal werde ich das richtiggehend veröffentlichen und unter Umständen mache ich es auch dann parallel auf Englisch. Es kommen unheimlich viele Leute aus dem Ausland, die da reingehen, merkwürdigerweise.

- Ist deine Einsamkeit dadurch auch ganz positiv unterbrochen worden?

Die Einsamkeit ist trotzdem da. Da ist ein ganz merkwürdiges Gefühl. Man ist ganz alleine - wie in einer Klosterzelle, ist aber trotzdem durch das Internet mitten in der Welt. Ich erlaube es niemanden mich anzurufen, wenn ich schreibe, ich nehme das Telefon auch nicht ab. Auch meine Frau und meine Kinder können mich nur per Fax erreichen. Ein Fax ist etwas, das stört dich nicht in deinem Tagesablauf, in deinen Ritualen, die du brauchst, um schreiben zu können. Und ein Telefonat ist einfach zu viel. Ich lebe beim Schreiben ein bißchen wie ein Nachtwandler. Den darf man ja auch nicht ansprechen, wenn er nachtwandelt.

- Schafft das nicht auch eine größere Konzentration beim Schreiben?

Der Druck wird größer. Durch den größeren Druck ist natürlich auch die Konzentration größer. Aber die Konzentration ist immer da. Man kann nicht schreiben, wenn man die Konzentration nicht hat. Da fällt einem nichts ein. Das ist es ja, weshalb ich mittlerweile gerne schreibe, weshalb ich das schreiben sogar liebe, in manchen Momenten sogar fast mehr als das Filmemachen, weil es weniger anstrengend ist. Wegen diesen Momenten der Konzentration, diese eine Stunde oder zwei Stunden, mehr ist es ja nicht an einem Tag, da vergißt man alles, die ganze Außenwelt ist weg. Es ist nichts mehr da, nur noch das, was man gerade macht, die Szenen, an denen man gerade arbeitet, die man gerade im Kopf sich zusammenbaut. Und die ganze übrige Zeit bin ich ja eigentlich auch beim Schreiben. Mir fallen Sachen ein und ich baue letzten Endes immer weiter da dran. Bloß der reine Moment ist sehr kurz - also diese absolute Konzentration.

- Du vermeidest auch Ablenkung offenbar? Du brauchst diese Isolation auch.

Ich kann nicht anders. Ich habe mal versucht, hier in dieser Wohnung ein Drehbuch schreiben und habe dafür ein ganzes Zimmer renoviert, aber es ging nicht. Ich brauche diese absolute Einsamkeit.

Ein Park mit tausendjährigen Eichen

- Waren es sehr schwierige Dreharbeiten?

Die zwei Filme, die ich 1997 hintereinander gedreht habe, waren von der Anstrengung her ein Klacks dagegen. Die vielen Hauptdarsteller, das war das Problem, die ja auch alle noch andere Verpflichtungen in diesen fünf Drehwochen hatten. Also einfach der Ablauf war... da war eine gigantische Logistik dahinter. Ich hatte überhaupt keinen Einfluß mehr. Ich hab nur noch das gemacht, was mir das Produktionsteam vorgegeben hat. Ich hab einfach mechanisch gedreht, was die auf die Dispo geschrieben haben. Und war hinterher fix und fertig. Wir sprangen beim Drehen hin und her, eine Szene aus dem Anfang des Films, eine Szene vom Ende, und immer wieder auch mit anderen Schauspielern... weil es gar nicht anders möglich war. Irm Hermann drehte gleichzeitig einen Film in München und flog vier oder fünfmal hin und her, Guntram Brattia, der Billy, spielte Theater hier in Berlin, Cora Frost war eine Woche lang gar nicht da. Das war verrückt.
Es gibt manches, was ich gerne noch gemacht hätte, was einfach nicht machbar war. Es gibt zum Beispiel in der Stadt, in der wir beim Drehen gewohnt haben, in Stavenhagen, wo Fritz Reuter geboren ist, einen Park mit tausendjährigen Eichen. Da war ich eines morgens mit Hanns Zischler vor Drehbeginn und das war unglaublich. Wenn ich das gekannt hätte, hätte ich mit Sicherheit eine Szene reingeschrieben in das Drehbuch und das hätte wunderbar gepaßt. Meine Grafikerin wollte, daß ich für das Filmplakat ein Standfoto mache von Hanns Zischler und Cora Frost mit einem Baum in der Mitte. Aber ich hatte nicht die Kraft und die Zeit. Also wenn man vor diesen Bäumen steht und sich vorstellt, diese Bäume waren schon groß als Karl der Große lebte. Und die wachsen noch immer.

Die Wahrsagung


- Noch etwas zu einer Szene, die ich sehr schön fand, auch sehr ironisch, die Szene mit der Wahrsagerin. Man weiß ja da nicht so recht, wie ernst gemeint das ist. Die soll ja da für die Zukunft stehen, auch weil sie da eine Prophezeiung macht. Ich find’s im Ton sehr schön. Man ist da involviert, aber man weiß nicht so recht, was man davon halten soll. Ob er das ernst nimmt?

Er sagt in seinem inneren Monolog, das ist alles Hokuspokus. Aber das muß man ja nicht glauben. Also einmal ist es natürlich ein Bezug zu "Tarot" und deswegen steht "Tarot" ja auch auf dem Schild am Wohnwagen. Ich mag die Szene sehr, wie die drei Frauen davor stehen und da auf ihn warten. Ich liebe es, wenn Lilith ihre Hände auf die gemalten Hände legt - das hätte Godard vor dreißig Jahren so drehen können. Das ist aber eine Idee gewesen von der Schauspielerin, von Sabine Bach. Die hat das, während wir Licht aufgebaut haben, gemacht. Einfach so, spontan. Und ich hab gesagt. Das find ich wunderbar. Genauso machen wir das in der Szene. Die Wahrsageszene ist sehr komplex und es ist vielleicht gar nicht so leicht, da alles zu sehen. Die Wahrsagerin sagt ja zu ihm innendrin - das hören wir, daß er noch irgendeine Begegnung haben wird, daß sich sein Leben noch einmal sehr verändern wird - vielleicht eine neue Frau. Wenn er dann aus dem Wohnwagen rauskommt und gefragt wird, erzählt er das natürlich nicht, aber wie die Eva, die Cora Frost, ihn anguckt und wie er ihr begegnet, er streicht ihr so - tröstend - über die Haare, da ist das, was wir als Zuschauer vorher gehört haben, bereits drin enthalten. Auf der anderen Seite wiederum erzählt er draußen vor dem Wohnwagen Dinge, die die Wahrsagerin gesagt hat, die wir aber nicht gesehen und gehört haben, das nämlich mit seinem künstlerischen Schicksal, daß er berühmt wird, allerdings erst nach seinem Tod.

- Ich hätte diese Wahrsagung vom Schluß her gesehen eher auf das Kind bezogen.

Ja genau! Das ist das, was ich gedacht habe. Die Schlußszene ist ja noch einmal etwas ganz Spezielles. Nachdem alle weg sind, die ganzen Frauen wieder abgefahren sind und er wieder alleine ist, hätte der Film ja aufhören können. Aber dann sieht man ihn etwas graben in seinem Garten und dann kommt der einkopierte Text: Drei Wochen später. Da mache ich noch einen erzählerischen Schlenker. Der aber ganz wichtig wird, und wo alles unglaublich schnell geht... Eva besucht Adam für eine halbe Stunde, um mit ihm ein Kind zu zeugen. Ich zeige diesmal keine Liebesszene. Wir sehen die beiden im Bett liegen und da kommt dann der innere Monolog, der hier plötzliche eine ganz andere Funktion bekommt, er erzählt etwas aus der Zukunft. Wie die beiden da liegen und die Kamera ganz langsam auf sie zufährt, das ist wie ein Moment von Zeitlosigkeit - von Ewigkeit fast. Natürlich gibt es einen Bezug zu der Tarotszene, wo Adam von der Wahrsagerin die Karten gelegt kriegt und sie ihm sagt, daß es vielleicht eine neue Frau in seinem Leben geben wird. Es gibt am Ende des Films eine neue Frau, nämlich Sarah, seine Tochter.