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Die Zeit, 17.2.89   Norbert Grob, Des Menschen Seele gleicht dem Wasser
Süddeutsche Zeitung, 1.4.89   Fritz Göttler, Der Liebling der Göttinen
Frankfurter Allgemeine Zeitung 6.6.89   Jürgen Richter, Die Geisel der Lust
RIAS 2   Hans-Ulrich Pönack, Der Philosoph
Der Tagesspiegel, 5.1.89   Volker Baer, Wenn Göttinen menschlich werden



DES MENSCHEN SEELE GLEICHT DEM WASSER
Rudolf Thomes neuer Film "Der Philosoph"

Norbert Grob
Die Zeit
17.2.89
Das Abenteuer einer märchenhaften Verführung, die nichts erzwingt, aber alles erweckt: Für seinen neuen Film hat Rudolf Thome eines der großen Themen des Kinos gewählt. Drei schöne, weltgewandte Frauen erwachen morgens in fremden Betten. Die eine flüchtet noch vor dem Frühstück. Die zweite greift gelangweilt zu einem Buch. Die dritte kennt noch nicht einmal den Mann, der neben ihr liegt.

Am selben Morgen, in derselben Stadt: Ein schüchterner, etwas ungelenker Mann bedrängt voller Aufregung seinen Briefträger. Das Päckchen, das er erhält, öffnet er erst zu Hause: feierlich, mit zitternden Händen. Es enthält sein erstes Buch: "Die Liebe zur Weisheit. Eine Anleitung zum Denken."

Berlin zwischen Charlottenburg und Kreuzberg: zwei Orte, zwei Welten. Zusammen kommen sie, als Georg, der junge Denker, den Entschluß faßt, sich für eine Lesung neu einzukleiden. In einem exklusiven Herrengeschäft in Kudammnähe sucht er nach einem günstigen Angebot - und, etwas weltfremd, nach einem Mietanzug. Die drei Frauen, Inhaber des Geschäfts, nehmen sich sofort des unkundigen, etwas skurrilen Mannes an. jede von ihnen sieht etwas in ihm, jede entdeckt neue Ansprüche für ihn. "Was denken Sie über die Liebe?" Seine Antwort: "Dieses Gefühl habe ich seit Jahren nicht mehr empfunden, seit dem Tod meiner Mutter."

Thome und sein Darsteller Johannes Herrschmann haben enorme Kraft und viel Phantasie aufgewendet, um ihren Helden mit besonderen Eigenschaften auszustatten. Diese steifen, unbeholfenen Bewegungen seines Körpers, diese linkische, verschrobene Art und Weise seiner Rede: all das macht seinen ungewöhnlichen Charme aus - und ist zugleich gegen das Selbstverständliche gerichtet, gegen das übliche. Einen so seltsamen Helden hat das Kino bisher nicht gekannt.

Als dieser wundersame Mann ihrer Einladung folgt, scheinen die drei Frauen am Ziel ihrer Wünsche: Wie die Chariten, Göttinnen der Anmut, verwöhnen sie ihren neuen Freund. Martha kümmert sich wie Aglala - um den Glanz der Feste, Beate wie Euphrosyne - um den Frohsinn, Franziska schließlich - wie Thalla - um das Lebensglück.

Der Mann nimmt das Ganze als Wunder, dem nicht zu trauen ist. Über Heraklits "Alles fließt” hat er einen wissenschaftlichen Essay geschrieben. Als aber in seinem eigenen Leben alles in Fluß kommt, reagiert er erstaunt, dann zutiefst verstört. Die Frage ist: Muß denn das Glück so fremd sein, wenn man sich glücklich fühlt?

"Wenn hundert Menschen in einem Kino sitzen, gibt es immer ein paar, die alles viel früher begreifen als der Rest. Für die mache ich meine Filme." Das ist von Howard Hawks, Rudolf Thomes amerikanischem Lieblingsregisseur. Es bezeichnet genau die Haltung, mit der "Der Philosoph" gemacht ist. Wie immer inszeniert Thome mit ruhigem, verzögertem Zugriff. Seine Filme fordern, den visuellen Entwurf als vorläufige Skizze zu nehmen, der im Moment des Schauens erst zum eigenen, besonderen Kino-Abenteuer sich formt. Wir Zuschauer müssen komplettieren, wofür die Filme nur erste Umrisse, nur Fragmente bieten. Deshalb ist auch Vorsicht geboten, wenn in diesem Film von überirdischen Dingen die Rede ist, von "Göttinnen", "unsterblichen Zeitagenten" und "Götterboten". Man sollte sich hüten, alles wörtlich zu nehmen, wenn die Bilder ihren Sinn so offen lassen.

Am Ende behauptet eine der Frauen: "Wir sind Göttinnen", und die beiden anderen lächeln dazu. Georgs Antwort: "Ich weiß immer noch nicht, ob ich Euch das glauben kann." Während er dann genüßlich einschläft - im Schoß seiner drei Frauen, "überwältigt von zärtlichen Gefühlen", weiß ich genau, daß ich das nicht glaube. "Einen tief rellgiösen Film" nennt Thome selbst seinen "Philosoph". Mir kommt er eher vor wie ein bissiges Psychodram mit mystery touch, das sich schließlich als unwahrscheinliches Märchen entpuppt, als Märchen einer geheimnisvollen Verlockung, die in Hingabe endet.

Rudolf Thome gehört weder zu den Malern noch zu den Dramatikern des Kinos. Ihn interessiert weder das schöne Bild noch die spannende Erzählung. Er ist von Anfang an auf Verzauberung aus. Unentwegt irreallsiert er seine Filme - bis in die Gesten seiner Helden, bis in ihre Rede hinein. "Komm, wir fahren nach Marokko in die Sonne. Die macht uns schön und glücklich und zu besseren Menschen", schwindelte schon in der "Roten Sonne" der lässige Hallodri sich in eine Traumwelt.

Was an Thomes "Philosoph" dennoch erstaunt, ist die Sicht auf Berlin. Diese nervöse Stadt aus verstopften Straßen und verschmutzter Luft erscheint plötzlich als Ort der Ruhe: als Stadt des Wassers - überall Kanäle, Flüsse, Seen. Die Wohnung der Frauen liegt direkt an der Spree. Auf einem Bootssteg schreibt Georg seinen Liebesbrief. Bei einer Bootsfahrt fällt er in den Schlachtensee und wird von Franziska gerettet. Am Wannsee gehen sie später spazieren, während die Wellen sanft ans sandige Ufer schwappen.

Das Wasser bildet das geheime Zentrum des Films. Es ist allerdings nicht als Symbol für Reinigung oder Auflösung genommen, sondern als Quelle der Erneuerung und der Vereinigung. Gefühle strömen, wogen hin und her, brausen auf. Die Helden tauchen ein in Unbekanntes, wirbeln, gleiten, versenken sich ineinander. Seinen Protagonisten weist Thome verschiedene Wasserformen zu: dem Mann den ruhenden See, den Frauen die fließende Spree. Dafür hat er natürlich - wie so oft schon - von Goethe gelernt: "Des Menschen Seele / Gleicht dem Wasser."

Eine Einschränkung zum Schluß: So wunderbar einfach und offensichtlich dieser Film über weite Strecken ist, so aufregend genau und unergründlich zugleich - gegen Ende häufen sich leider die erklärenden Dialoge. Als müßte nun doch alles drei viermal gesagt werden. Dabei sollte doch gerade Thome wissen, daß etwas weniger immer sehr viel mehr ist.



DER LIEBLINIG DER GÖTTINEN
Rudolf Thomes neuer Film "Der Philosoph"

Fritz Göttler
Süddeutsche Zeitung
1.4.89
Mit Thome-Filmen gibt es eigentlich keine Probleme, sie sind wie ein Spiel. Entweder man spielt mit oder man läßt es bleiben, ein unbeteiligtes Zuschauen, ein abwartendes "Erst mal sehen, ob...” gibt es nicht.

Sein neuer Film macht es einem besonders einfach, er zieht selbst ein paar der Schubladen auf, in die man ihn, wenn man auf vorschnelles Abhaken aus ist, verstauen könnte. Drei aufgekratzte junge Göttinnen in der Großstadt Berlin, das sieht nach Rivette aus, Liebes- und Lebensfragen von Leuten mit schicken Appartements, ist das nicht reiner Rohmer, und bei Wasser, Luft und Sonne erinnern wir uns gern an den Renoir von Partie de campagne oder Dejeuner sur I’herbe.

Erinnerungen, die mehr sind als cinephiler Bildungsballast, der Film braucht sie, er entwickelt sich aus ihnen. Ein Sammelbecken, ein Fluß, in dem noch alle Bäche und Strömungen zu spüren sind, die er in seinem Verlauf in sich aufgenommen hat. So sagt auch der junge "Held" vom Mouton-Rotschild, als er ihn zum ersten Mal in seinem Leben kosten darf.

Thome hat keine Scheu vor dem Nachgemachten, vor dem Nochmalgemachten. Er weiß, daß Filme lange Zeit zu entstehen beginnen, bevor es an den Drehort geht. Er verkehrt ganz unbefangen mit seinen Kinogöttern, den Regisseuren, für die er Verehrung verspürt.

Der Philosoph ist ein Remake von Rote Sonne, einem Thome-Film von 1969. Er reflektiert darin all die Veränderungen und Unterschiede zwischen der Welt um den Starnberger und den Wannsee, und zwischen dem Ende der Sechziger und dem der Achtziger. Damals hatten die Frauen sich in ihrer Kommune zusammengetan, um die Männer umzubringen, heute drohen sie, sie mit einem Übermaß an Liebe zu ersticken - einer resoluten Mutterliebe, die gemixt ist mit einem Schuß jener eifersüchtigen Liebe, wie sie die drei Göttinnen empfunden haben mögen ihrem Schiedsrichter Paris gegenüber,

Thomes Paris heißt Georg Hermes, ein mönchischer Philosophiestudent. Ein verhärmter Hermeneutiker, eine ganze Magisterarbeit hat er über die zwei Worte Heraklits geschrieben "Alles fließt”. Nun hat er sein erstes richtiges Buch in Empfang nehmen dürfen, "Die Liebe zur Weisheit", sauber gedruckt auf schneeweißem, jungfräulichem Papier.

Thomes Göttinnen - Franziska, Martha, Beate - haben ein Herrenausstattungsgeschäft am Ku-Damm und ein Luxus-Loft am Ufer der Spree. Sie nehmen sich Georgs, des jungen Philsophen, an und führen ihn ein in die Kunst des Lebens und des Liebens. Was, wie immer bei Thome, auf eine Geschichte hinausläuft, die zärtlich und lächerlich zugleich ist. Die Geschichte meiner Filme, sagt er aber, überlasse ich sowieso den Personen, deren Beruf das ist, den Schauspielern.

Er selbst sieht seinen neuen Film lieber als verfilmte Philosophie, von Texten Georg Pichts inspiriert, einer Lehre vom Wissen in Bewegung, ohne festen Grund: "Die Kraft, die es in dieser Schwebe erhält, ist der Eros. Er ist die Macht, welche die Philosophie trägt und antreibt, in der Mitte zwischen Gott und dem, was sterblich ist. Er leistet zwischen Göttern und Menschen den Dienst eines Dolmetschers und Fährmanns.”

Die Männer bei Thome wollen Eindeutigkeit, sie brauchen Handlung und Entscheidungen. Sie wollen wissen, woran sie sind. Die Frauen verstehen es, alles in der Schwebe zu halten, wir sehen ihnen beim Nachdenken zu, wenn sie das erste Gastmahl für Georg bereiten, wenn sie den Wein wählen, die Vorspeisen, das Blumenbukett. Eines der ersten Geschenke, das sie Georg machen, ist ein Schreibcomputer, von da an werden seine Texte reversibel sein, jederzeit löschbar.

Genauso verweigern Thomes Bilder sich der Festlegung durchs Erzählen, nie geben sie vor, auf ein bestimmtes Ende hinzusteuern, sie funktionieren gerade über ihre Widersprüchlichkeit, über die losen Anschlüsse zwischen ihnen. Ein Kino des Hier und Jetzt, ein Gewebe aus mal falschen, mal richtigen Spuren, ein schweifendes Beobachten, das nur dem den Spaß am Kino verderben kann, der sich davon immer nur nahtlos konstruierte Sequenzen erwartet, die den Test in Drehbuchfabriken und Storyboards bestanden haben.

Thomes Kino ist von unwahrscheinlicher Einfachheit. Das Natürliche ergibt sich nie von allein, ist ein Produkt, entstanden aus der Liebe zu den Formen, zur Kunst, zur Kunst der Liebe. Der Philosoph ist nach Das Mikroskop der zweite Teil einer Trilogie über die "Formen der Liebe”. Sieben Frauen soll der dritte Teil heißen, das klingt wie ein Versprechen. Das Ende des Philosophen nämlich bleibt ungewiß. Der Junge läuft den drei Frauen davon und irrt durch die Stadt, dann fängt er aber zu fiebern an und muß sich von den dreien zurückholen lassen. Nun liegt er mit ihnen im Bett das sieht aus wie eine Ehe zu viert und vermittelt doch auch eine Ahnung von Pentheus unter den Mänaden. Mit einer Ekstase am Wannsee blendet der Film ab.

Hermes der Philosoph ist selbst zum Götterboten geworden, zum Messias. Eine rhetorische Figur oder, wie die Cineasten sagen würden: ein MaeGuffin. Die Blicke gehen in den Thome-Filmen nie den direkten Weg, ihre Unschuld ergibt sich nicht daraus, daß unmittelbar die Kamera auf die Realität gehalten wird. Diese Filme brauchen Widerstände, Umwege, Vorgaben. Die Rollen, mit denen Thome seine Akteure spielen läßt, sind wie Handikaps im Sport, sie lassen etwas zum Vorschein kommen, das sonst unsichtbar bleibt. Sie ermöglichen Blicke auf eine neue Wirklichkeit. Ein Film nicht unbedingt über die Liebe, sagt Thome zu Der Philosoph, aber über den Tod. (In München im Theatiner)



DIE GEISEL DER LUST
Im Kino: "Der Philosoph", der zweite Teil von
Rudolf Thomes Triologie der Liebe

Jürgen Richter
Frankfurter Allgemeine Zeitung
6.6.89
Mit seinen dreißig Lebensjahren hat Georg schon viel erreicht - er ist Doktor der Philosophie, soeben erschien sein erstes Buch, eine Anleitung zum Denken, im Intellektuellen-Kabinett schlägt ihm die Hochachtung für seine Betrachtungen über die Vernunft entgegen. Doch Georg kann nicht schwimmen, nicht Auto fahren, und seit dem Tod der Mutter ist ihm auch die Erfahrung der Liebe abhanden gekommen.
Ganz anders Beate, Franziska und Martha - das jugendliche Frauentrio verbirgt hinter der scheinbar pragmatischen Geschäfts - und Wohngemeinschaft einen sinnlichen Gleichklang, eine gemeinsame erotische Strategie. Morgens verabschieden sie ihre Liebhaber für eine Nacht, verbarrikadieren sich gegen Bindungsansprüche mit Migräne und Berufsstreß. Erst als sie Georg entdeckt haben, kennen sie das ideale Mannsbild für ihre weiblich geprägte Weit: einen rachitischen Asketen-Bizeps mit lustabgewandtem Denkerkopf und verlegenem Lächeln. Ihn wollen sie sich in ihre Wohnung holen, ihn wollen sie sich als Hofpoeten halten, von ihm wollen sie sich täglich und nächtlich die eigenen Reize und die Vorzüge des Lebensstils bestätigen lassen.
Unwiderstehlich entfaltet die Riege den Glanz femininer Lebensqualität. Die drei teilen ihr Wissen um die Vorzüge einer Flasche Mouton Rothschild, eines Artischockensalats, eines Blumengebindes, eines bequemen Ledersofas mit. Georg, der sich aus der düsteren Bücherbude im Hinterhof hat locken lassen, ist betäubt und betört. Der gebildete Tolpatsch, der bisher Freude und Lust allenfalls analysieren konnte, läßt sich bereitwillig in die Praxis des Genusses ziehen. Den Zauber der Frauen erlebt er, lange bevor er sich hat deflorieren lassen. Und mit seiner Intelligenz, seiner Bildung kann er zum neuen Lusterlebnis nicht mehr als ein paar besonders gescheit formulierte Komplimente beitragen.
Trotzdem muß das traumhafte Glück unter den drei Arbeitsbienen, die ihn zu ihrem Götterboten, zu ihrer Drohne erkoren haben, den etwas vertrockneten Diener der Wissenschaft irritieren. Erst macht er sich noch wichtig mit seinen Fachsimpeleien über die Formen der Askese, was von den Damen nachsichtig belächelt wird. Später flüchtet er mit geborgtem Geld in sein altes Einsiedlerdasein, ins einsame Hotelzimmer. Doch infiziert vom wirklichen Leben, wird er schnell von Entzugserscheinungen ereilt schon am zweiten Tag wirft ihn ein Fieber nieder, die Häscherinnen des Lustsystems führen ihn im, Triumph zurück. "Du brauchst jetzt viel Wärme", verkünden sie nüt gütigem, aber zwingendem Lächeln ihrer Geisel.

Rudolf Thome, der im vergangenen Jahr mit seinem Film "Das Mikroskop' bereits die männliche Urangst vor de Fessel des Familienlebens voller Ironie ausgemalt hat, läßt im "Philosoph", dem zweiten Teil der geplanten Trilogie der Liebe, einen märchenhaften Männertraum vom Paschadasein, von der lustvollen Unterwerfung unter ein liebevolles Matriarchat in feinsinnigem androgynem Witz Gestalt gewinnen. Die Vision der Emanzipation bekommt hier die angenehmsten Konturen inmitten einer Schar toleranter und ansehnlicher Amazonen, die ihren Schützling verwöhnen wie sonst nur die, Mutter ihr Einzelkind.
Und niemand braucht bei diesem Traum das schlechte Gewissen des Machos zu spüren, haben doch die lasziv lauernden, aber mit der Selbstverständlichkeit der Unschuld auftretenden Frauen diese Haremssituation selbst geschaffen. Eine Situation, die mit ihrem gediegenen Interieur, mit gesellschaftlich akzeptierten Berufen, mit dem exakt zwischen Armut und Wohlstand plazierten Understatement-Auto wie selbstverständlich ins Weltbild des progressiven Menschen von heute eingebettet ist.
In einer unprätentiösen darstellerischen Gesamtleistung stehen Adriana Altaras, Friederike Tiefenbacher und Claudia Matschulla mit synchroner spöttischer Freundlichkeit der linkisch und schüchtern zur Schau gestellten Ahnungslosigkeit von Johannes Herrschmann gegenüber. Sie formieren sich zu einem komödiantischen Ausspielen von über Kreuz geratenem Rollenverhalten und Erwartungshaltungen, in dem spektakuläre Gags deplaziert wären.



DER PHILOSOPH

Hans-Ulrich Pönack
RIAS 2
Ein junger Mann, der bisher scheu-zurückgezogen und nachdenklich wie ein Eremit gelebt hat, schreibt sein erstes Werk. Titel: "Die Liebe zur Weisheit. Eine Anleitung zum Denken.” Durch die Veröffentlichung, muß er aus sich und seiner bescheidenen Behausung heraus und lernt dabei drei unkomplizierte, junge Frauen kennen. Die sind von ihm angetan, ja anscheinend sogar fasziniert. Georg Hermes kann es nicht fassen. Sie laden ihn ein, venwöhnen ihn, nehmen ihn schließlich sogar bei sich auf und lieben ihn. Ein Dichter und Denker erlebt die Praxis und Freude "Leben".

Das ist ein ironisches, mit vielen amüsanten Anspielungen versehenes, leises, feines Beziehungsmärchen. Karg und dabei imponierend erzählt, mit einem Johannes Herrschmann in der Hauptrolle, der mit diesem Debüt in Hollywood über Nacht zu einem begehrten Star werden würde. Wie der mit seiner großen, schlaksigen, hilflos rudernden, aber "innen" blitzwachen Figur spielt und dabei alles ausdrückt, ist darstellerisch vom allerfeinsten. Ein Talent, das groß und, selten ist und hierzulande viel Beachtung verdient. Selten kam eine Person in einem deutschen Film so gut von der Leinwand rüber, selten war die Berührung von ihr so nah und sympathisch. Rudolf Thome entwickelt sich anscheinend immer mehr zu einem deutschen Eric Rohmer, denn dermaßen Freude und Lust an Personen, Sprache und Gesten gab es schon lange nicht mehr im deutschen Film. Dazu sein begnadetes Talent, Frauen zu entdecken, zu führen und "anzupreisen" Die drei Heldinnen in seinem Film werden durch ihn in der Tat zu irdischen Göttinnen. "Der Philospph" - Teil zwei der geplanten Trilogie um die "Formen der Liebe" (nach "Das Mikroskop") - ist ein kleiner, feiner, intellektueller Volltreffer, der stark emotional berührt und noch lange nach Filmende angenehm im Kopf herumwuselt. "Der Philosoph" ist schon jetzt ein Gewinner im neuen Kinojahr und läßt 1989 fröhlich-keß anfangen.



WENN GÖTTINEN MENSCHLICH WERDEN
Rudolf Thomes Film "Der Philosoph". 
Mittelteil einer Triologie

Volker Baer
Der Tagesspiegel
5.1.89
Ist das nun der Wunschtraum eines jeden Mannes oder doch nicht eher. der Alptraum? Von drei lieblichen Wesen gleichermaßen sorglich umhegt, gepflegt, geliebt zu werden, ohne daß dabei Streit oder gar Eifersucht auszubrechen drohen. Drei Wesen von unendlicher Sanftmut, von stiller Ausgeglichenheit und zu allem noch alles andere als mittellos, zudem auch noch kultiviert und von feiner Lebensart. Was will das Herz da noch mehr? Das könnte dem Rudolf Thome so passen, meinte eine liebenswürdige und vielleicht auch ein wenig emanzipierte Dame im Kinoparkett. Paßt es ihm tatsächlich so?

Er hat sein Spiel an der feinsten Nahtstelle zwischen Realität und Unwirklichkeit angesiedelt. Real die Umgebung durchaus, das Haus der drei Grazien mit dem feinen Interieur direkt an einem Berliner Kanal (ohne daß man jemals dessen Außenfront zu Gesicht bekommt), die nächtliche Welt der Straßen, die Plätze, auf denen ein einsamer Trompeter (Marquard Bohm, eine feine Anspielung auf frühere Thome-Inszenierungen, spielt ihn mit aller Zurückhaltung) agiert, die Ufer der Havel, an der erste Liebe sich entfalten und alle Ausgelassenheit sich turbulent entwickeln kann. Und in diese alltägliche Welt stellt Thome nun vier Figuren, die sich bei all ihrem menschlichen Agieren doch auch wieder äußerst unwirklich verhalten. Thome will in ihnen Götter sehen. Drei Göttinnen die Frauen, ein Götterbote der Mann zwischen ihnen, der den bürgerlichen Namen Hermes trägt.

Vor nahezu zwei Jahrzehnten, woran man hier unwillkürlich erinnert wird, sah die Welt, zumindest bei Rudolf Thome, noch anders aus,

da spiegelten sich die Träume und Gefühle einer jungen Generation, für die Erfahrung und Kino oftmals identisch waren, in einer anderen Geschichte. Vier - Frauen lebten damals, 1969 in der "Roten Sonne”, in einer Wohngemeinschaft miteinander und brachten, wehrhaften Spinnen, gleich, ihre jeweiligen Liebhaber um. Sie kannten keine Gnade mit dem Manne, der erst dann allen zum Verhängnis wurde, als sich eine von den jungen Frauen tatsächlich verliebte. Marquard Bohm spielte damals die Rolle des Kristallisationspunktes Mann. Für Thome war es damals auch ein Spiel mit den Formen des Kinos.

Inzwischen hat sich die Welt gewandelt, die Sitten sind feiner geworden, die Umgangsformen differenzierter - aber ist der Mann nicht immer noch das ebenso hilf- wie wehrlose Opfer weiblicher Begierde und Trickkünste? Gewiß, auch die Götter der Antike und, vor allem, die Göttinnen waren listenreich, wenn es galt, ihresgleichen übers Ohr zu hauen. Sie kannten da keinerlei Zurückhaltung. Und die Menschen glaubten doch an die Uberlieferungen, an die Legenden der Liebe und Lüge. Glauben sie noch?

Panta rei, alles fließt, über diesen Satz des Heraklit hatte der titelgebende Philosoph,einst promoviert. Auch wenn alles in steter Bewegung ist, mag der Himmel über Berlin voller Engel hängen und die Erde darunter von Göttinnen bevölkert werden. Doch bei allem guten Glauben bedarf es nicht unbedingt der Frage, inwieweit sich archetypische Vorstellungen in der Realität manifestieren können. Man kann Rudolf Thomes Spiel auch weit realistischer sehen, ohne dabei die Figuren gleich in archaische Größe überhöhen zu wollen.

Die Urangst des Mannes, hier im übrigen eines Einzelgängers, der seinen Weg von der Mutter zu der Frau nicht so recht finden will, weshalb denn der Weiblichkeit nichts anderes übrig bleibt, als ihrerseits aktiv zu werden. Ihm, der für seine philosophische Lesung einen Anzug benötigt (und den in der Tat denn auch In einem luxuriösen Ku'damm-Geschäft ausleiht), setzen sich die jungen Damen, ob nun Göttinnen oder nicht, auf die Fersen. Er verliebt sich tatsächlich in eine der drei, was die anderen keineswegs stört, ihre Verführungskünste an ihm zu üben. Und das nun wiederum verwirrt und irritiert den ahnungslosen Philosophen solchermaßen, daß er das Weite sucht. Erst Krankheit läßt den Flüchtigen Hilfe bei der Frau, bei den Frauen suchen, versöhnt ihn am Ende mit seinem Geschick.

Thome, der seinen Philosophen als Mittelteil einer Trilogie sieht, die mit dem "Mikroskop” begann und mit "Sieben Frauen” enden soll, Thome hat seine Inszenierung als realistisches Märchen, wenn man so will, angelegt. Man muß sich dieser seiner Intention anvertrauen, sonst verliert man die Balance. Betrachtet man nämlich die Geschichte realiter, so wird man ein gut Teil Glaubwürdigkeit vermissen; sieht man sie ausschließlich unter symbolischen Aspekten, so dürfte so manchen Betrachter die Wirklichkeit ringsum (Kamera: Reinhold Vorschneider) stören. Und am Ende, da weiß man kaum, ist all die Ausgelassenheit der vier am Havelstrand nun fatale Euphorie oder ganz gemeine Ironie.

Am besten, man nimmt alles als Komödie; denn dieser Vorstellung fügen sich auch die Protagonisten am besten ein. Die Damen haben durchweg einen leichten Ton, der alles ein wenig über das Alltägliche erhebt (selbst wenn sie Zeitungsschlagzeilen vorlesen, wird das für sie zur unwichtigsten Sache der Welt, und wenn sie am Computerbildschirm Hilfestellung leisten, gerät das zum Vorwand für Amouröses). Sie, die zu dritt ein Edel-Konfektionsgeschäft besitzen, stehen alle ein wenig außerhalb des Gewöhnlichen, was man Adriana Altaras, Friederike Tiefenbacher und Claudia Matschulla auch durchweg abnimmt (warum sollen sie, wenn auch schon Bruno Ganz und Otto Sander Engel sind, denn keine Göttinnen sein?). Und zwischen ihnen der Mann, der als einziger linkisch, unwissend, hilflos, wehrlos sein darf: Johannes Herrschmann. Er bietet den ironischen Kontrast zur gepflegten, raffinierten, überlegenen, taktisch agierenden Weiblichkeit. Aber das ist doch ein ganz irdisches Spiel.