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64 Die Versöhnung    66 Stella    67 Galaxis    67/68 Jane erschießt John, weil er sie mit Ann betrügt

80 Hast Du Lust mit mir einen Kaffee zu trinken?      84 Zwei Bilder

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68 Detektive    69 Rote Sonne      70 Supergirl      72 Fremde Stadt      74 Made in Germany and USA
75 Tagebuch  77/78 Beschreibung einer Insel  80 Berlin Chamissoplatz  82/83 System ohne Schatten
86 Tarot    87 Das Mikroskop     88 Der Philosoph    89 Sieben Frauen    91 Liebe auf den ersten Blick
92 Die Sonnengöttin    94 Das Geheimnis    97 Just Married    97 Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan
99 Paradiso, sieben Tage mit sieben Frauen       00 Venus talking        02 Rot und Blau
03 Frau fährt, Mann schläft      05 Du hast gesagt, daß Du mich liebst      05 Rauchzeichen
06 Das Sichtbare und das Unsichtbare      08 Pink    10 Das rote Zimmer     11 Ins Blaue




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Filmkritik 1/70   Wim Wenders, Rote Sonne
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2.12.69   K. Korn, Penthilesia 69
Filmkritik 1/70   Klaus Bädekerl, Weibliche Utopie und utopische Männlichkeit
Filmkritik 1/70   Enno Patalas,Scheherazade muß sterben
Süddeutsche Zeitung, 27.2.71   Frieda Graefe, Mitleid mit den Männern
rororo, Filmlexikon (1977)   Rote Sonne
Die Tageszeitung, 17.5.85   Ch. Terhechte, Rote Sonne
Der Standart Wien, 12.4.1990   Reinhard Jud, Das Kino als mögliche Utopie
Die Presse, Wien, 14.4.90   Stefan Grissemann, Mit chirurgischem Blick



ROTE SONNE
Baby, you can drive my car, and maybe I'll love you

Wim Wenders
Filmkritik
1/70
In vielen Tageszeitungen gibt es auf einer der hinteren Seiten Comics, die immer nur aus drei oder vier Bildern bestehen, so daß eine zusammenhängende Geschichte sich über Wochen und Monate hinstreckt. Kauft man sich die Zeitung nicht regelmäßig, oder versäumt man zwischendurch manchmal, die jeweiligen Geschichten zu verfolgen, erscheinen einem die einzelnen Folgen völlig unverständlich, so daß einen gerade die Selbstverständlichkeit, die die Bilder ausstrahlen, erschreckt. Vor langer Zeit habe ich mir die Geschichten aus den Zeitungen ausgeschnitten und zu Heften zusammengeklebt. So wie diese selbstgemachten Phantom- und Blondiehefte ist mir die Rote Sonne vorgekommen: etwas sehr Einfaches und sehr Billiges und Kunstloses ernstgenommen und mit Sorgfalt behandelt zu sehen. Die Rote Sonne ist einer der ganz seltenen europäischen Filme, die das amerikanische Kino nicht bloß nachmachen wollen und damit zeigen, daß sie eigentlich in New York und mit Humphrey Bogart hätten gedreht werden müssen, sondern die vielmehr von den amerikanischen Filmen eine Haltung übernommen haben, ohne Aufdringlichkeit 90 Minuten lang nichts als ihre Oberfläche auszubreiten. Diese EINSTELLUNG wird in jedem Bild dieses Films sichtbar; sie zeigt sich in der ständigen Flachheit der Einstellungen, in der Monotonie der Optik, die sich nur an eine Handvoll Bildgrößen hält, in der Banalität der Kamerabewegungen, die nie aufwendiger sind, als es gerade nottut, in der merkwürdigen Farblosigkeit der Farben, die genau dieselbe ist wie in Micky-Maus-Heften: es würde niemanden wundern, wenn die eben noch gelblichen Wände plötzlich blau wären, das kommt vor. Die Geschichte geht genauso vor. Obwohl sie von niemandem forciert wird und nur immer irgendwie weitergeht, kommt sie trotzdem zu einem Ende und zu einem SCHLUSSBILD, das ganz zwangsläufig wirkt. Die Sonne geht unter. Oder auf. Fernsehserien und Western hören so auf: mit einem Bild, das offensichtlich ein Ende macht. Die Ökonomie des Films, in 90 Minuten fertig zu werden, ist auch ganz die Ökonomie seiner Geschichte.
In der Roten Sonne reden die Leute dauernd so, als ginge sie der Fortlauf des Films nichts an. Sie reden unverfroren in ihrer jeweiligen Situation. Sie sind immer nur gerade da präsent, wo sie sind. Sie wissen noch nicht, wie es weitergeht: der Film läßt sich auf ihre Geschichte ein, er drängt sich ihnen nicht auf. Der Film spielt in München. Er schämt sich nicht darüber. I like the way you walk I like the way you talk Oh, Suzie Q.


Filmkritik Januar 1970 Wim Wenders



PENTHILESIA 69

K. Korn
Filmkritik
1/70
"Rote Sonne", ein Film von Rudolf Thome Fünf junge Damen, erlesene Körper, hochgeschürzt, mit dem modischen Raffinement Schwabinger Boutiquen ausstaffiert, so smart wie seelenlos in Geste und Rede, wenn sie lächelnd killen, haben sich in einer Jugendstilwohnung als Amazonenkommune zusammengetan, von wo sie gelegentlich ihren Metiers als Bardame, Telefonistin, Journalistin oder Boutiquenverkäuferin ohne Glückserfüllung beiläufig nachgehen. Ein leichter Hauch von Lesbiertum hindert nicht, daß die fünf Mädchen, so keusch wie antikisch kühl, Männer, mit denen sie verkehrten, spätestens am fünften Tag umbringen. Einen dicken, auf einen Stuhl mit roten Fesseln gebundenen Amerikaner legt Sylvia lautlos mit der Pistole um, nachdem sie zuvor den Schalldämpfer lässig vor den Pistolenlauf gesetzt hat. Den Marokkaner, der im Mustang (welch bezüglicher Autoname !) durch München gleitet, haschte es, als er am Ufer der Isar ausrutschte und die smarte Begleiterin ein wenig nachhalf. Es geht um Thomas, den Streuner. Uschi Obermeier ist Penthesilea, eine zartschenkelige, wie Homer oder Archilochus sagen würden. Fünf Tage vergehen rasch. Der Gammler, im Typus ein Belmondo ohne dessen Temperament, aber von der gewissen Ausstrahlung, ahnt und erfährt, weil eine, die etwas mollige Isolde nicht dichthalten kann, was ihm blüht. Das geht eine Weile zwischen den Zimmern der Mädchen auf schönen Liegen, am Kühlschrank, am Volant, in leicht erkennbaren Stadtmünchner Dekors bei enormem Zigarettenkonsum hin und her, und oft geht lautlos eine Pistole los, indes die Bild-Zeitung von mysteriösen Morden berichtet. Die Mädchen wissen ihre masochistische Lust erweckenden Taten lässig und gescheit zu tarnen. Sie basteln eine Zeitbombe - aber Thomas entschärft das Ding, das als allgemeines Terrorsignal in einem schicken Hause hochgehen sollte. Uschi-Penthesilea, zuvor die Chefin der couragierten Emanzipation, wird schwach. Wird sie Thomas dem Fünftagerhythmus opfern? Sie wird - aber, wie es die Schlußromanze will, gemeinsam mit dem Geliebten wird sie dem alten Märchen von unstillbarer Liebeslust und - traurigkeit eine süße, neue Schlußpointe aufsetzen. Rot und gelb steht eine wäßrige Sonne überm Starnberger See, indes zwei Menschen ihren jungen Lebenstraum lieber auslöschen, als ihn einer Trivialverwirklichung auszuliefern. Die Story hat nur indirekt mit Emanzipation als modernem Phänomen zu tun. Einmal klagt eine, wie sie von einen untreuen Freund enttäuscht sich der charmanten Mörderinnenkommune angeschlossen habe. Doch das ist kein ernst zu nehmender sozialer, moralischer oder sentimentaler Bezug, allenfalls ein Hinweis auf kleinbürgerliche Wünsche. Der Film, dem weder mit Psychologie noch mit Sozialkritik beizukommen ist. dürfte eher als die filmische Übersetzung eines Trivialmärchens anzusprechen sein, masochistischer Lustverfeinerung der Konsumentengesellschaft dargeboten. Im Sinne solchen Konzepts hält der Film konsequent einen Stil, der wie Puppentheater oder Ballett wirkt, jenseits von moralischen oder realen Bezügen. Die Mädchen sind schön, kühl, auf mechanische Weise graziös wie Tänzerinnen. Nach den Variationen zum Thema Männermord mit Lustgewinn kommt am Schluß die monumentale Kitschdekoration in erlesenen Farben: Sonne, süffig überm See, zwei schöne Leichen am Ufer, schmelzende Musik. Das filmische Genre wendet sich zu Oper oder Ballett und leistet, was diese den Großvätern und -müttern gewährt hatte: schmelzende Lust zwischen Liebesversagung und Tod. Da es im neuen Medium mit Perfektion produziert ist, wird es bereits als der letzte Schrei des filmischen Fortschritts gefeiert.



WEIBLICHE UTOPIE UND UTOPISCHE MÄNNLICHKEIT

Klaus Bädekerl
Filmkritik
1/70
In Zeitschriften wie Schöner Wohnen findet man Bilder von Wohnungen, die unbewohnbar sind. Diese Wohnungen gleichen selbständigen Organismen. Bücherrücken und Blumenvasen, Polstermöbel und Stehlampen haben ein Gleichgewicht gefunden, das ein hinzukommender Gast nur stören würde. Gebrauchsgegenstände verflachen so zur Dekoration, ihr einziger Konsumwert ist ein ästhetischer. Es sind Bilder, die sich dem Betrachter versperren. Auch in seiner Phantasie darf er sich nicht auf einen dieser schönen Sessel setzen, geschweige ein Buch aus dem Regal nehmen. In Zeitschriften wie Brigitte sieht man Bilder von hübschen Mädchen, die unberührbar sind. Sie sind untrennbar mit Herbstmantel, mittelalterlichem Brunnen und dem Blau des Himmels verbunden. Sie sind nicht ansprechbar und nicht begehrbar wie etwa die Starlets auf Reportagefotos, in denen immer noch ein Moment des Zufalls abzulesen ist, oder die Mädchen der so schön schlampig gemachten, scheinbar ganz dem Zufall überlassenen Pornofotos. Denn Kommunikation würde eine Beweglichkeit voraussetzen, die der harmonische Bildaufbau den Fotomodellen nicht gestattet. In Zeitschriften wie Merian finden wir Bilder von Landschaften, die nicht zu betreten sind. Ihr Bildaufbau, blühende Zweige, die den oberen Bildrand begrenzen, und das ausgewogene Verhältnis zwischen Kirchturm und Wolkenbildung, macht aus einer Abbildung einer unbegrenzten und dauerhaften Landschaft einen einzigartigen Schnappschuß aus Gottes freier Natur. Was all diesen Bildern gemeinsam ist, ist der Fleiß, der zu ihrer Entstehung führte, und den sie demonstrativ zur Schau stellen. Das erste, was an ihnen auffällt, ist der geübte Blick des Fotografen. An solche Bilder mußte ich denken, als ich Thomes Film sah. Nur daß seine Bilder nicht im Dienste einer Ideologie stehen, was die oben angeführten Beispiele oft so penetrant macht. Was bleibt ist ihre Unfreundlichkeit dem Betrachter gegenüber. Sie verweigern ihm jeglichen Zutritt. In ihrem Stolz, in ihrer uneingeschränkten Eitelkeit lassen sie ihn ehrfurchtsvoll vor der so geschaffenen Schönheit verharren wie ein Kind, das nicht wagt, seinen Schokoladenikolaus aufzuessen. So entsteht mit vertrauten Schauspielern (Marquard Bohm und Uschi Obermeier) und vertrauten Schauplätzen (München und Starnberger See) ein fremdartiger Film, in dem viel zu erkennen, aber nichts wiederzuerkennen ist. Nicht verschwiegen werden dürfen in diesem Zusammenhang die Dialoge von Max Zihlmann. Seine Stilisierungen führen von der Realität zur Utopie, ohne sich als Bumerang zu erweisen wie etwa die denunziantenhaften Formulierungen von Katzelmacher, die nur über Umwege an eingefleischte Attitüden appellieren und so nur eine perfide Art der Reproduktion sind. Der Zuschauer von Rote Sonne, von Kommunikation und Identifikation ausgesperrt, sieht sich einer neuen Welt gegenüber. Wenn Thomas zu Beginn des Films im Fond eines Wagens sitzend zur Musik von Tommaso Albinoni in das Stadtinnere von München fährt, ist dies mehr als nur eine Fahrt in eine Stadt, eher eine Fahrt durch Raum und Zeit wie wir sie in Science-Fiction-Filmen erwarten. Doch diese begnügen sich damit, vertraute Verhaltensweisen und Umgangsformen brutal ein paar tausend Jahre weiter zu verpflanzen, eine heimische Welt mit ein paar neuartigen technischen Accessoires anzureichern, und müssen so zur Langweile führen. Rote Sonne hingegen ist aufregend, fremdartig, utopisch, einer der wenigen Science-Fiction-Filme. Ein Gespräch zwischen Thomas und Peggy. P.: Wohin hast du telefoniert? Nach Hamburg nehme ich an. Du hättest wenigstens fragen können. Wer ist das Mädchen? Natürlich läßt du sie einfach mit ihrem Kind sitzen. Das paßt zu dir. Thomas, es ist das beste, wenn du jetzt deine Sachen packst und gehst. Und bitte gleich. T.: Wo soll ich hin? Ich habe kein Geld. - Du kannst mich doch nicht in den Regen schicken. P.: Ich sehe keinen Regen. T.: Der Wettermann hat ein Tief aus der Biskaya angekündigt. P.: Morgen suchst du dir ein Zimmer. T.: Kann ich nicht da hinten einziehen? Da schläft doch niemand. P.: Nein. T.: Ich bezahle jede Woche im voraus. P.: Wie? T.: Morgen suche ich einen Job. P.: Warum in aller Welt bist du nicht in Hamburg geblieben? T.: Eine Himalaja-Expedition wird hier zusammengestellt. Sie suchen noch Leute. Sie wollen ein paar Erstbesteigungen machen. P.: Die müssen dich ja hinauftragen. T.: Ich bleibe im Basislager II. P.: Alles nur halb wie immer. T.: Ich koche für die Leute. P.: Kochen kannst du. T.: Natürlich. Ich kann viel. Eigentlich kann ich alles, was man braucht, um in der Wildnis zu überleben. Ich kann Bäume fällen, Kaninchen ausnehmen, Knöpfe annähen. Mit nassem Holz Feuer machen. Aber damit kann ich hier nichts anfangen. Damit kommt man hier nicht weiter. In der Zivilisation bin ich aufgeschmissen. Ich bin für die Wildnis geschaffen. P.: Warum gehst du nicht in die Wildnis? T.: Ich kann nicht allein sein. Deshalb bin ich hergekommen. Ich wollte dich mitnehmen. P.: Das soll ich dir glauben? T.: Von Hamburg wäre ich auf alle Fälle weg. Aber ich wäre nicht nach München gekommen. P.: Warum hast du nichts mehr von dir hören lassen? T.: Ich habe allen Mädchen, die ich kennenlernte, von dir erzählt. Da habe ich schließlich gemerkt, daß ich dich liebe. In dieser fremden Welt passiert eine fremde Geschichte. Ein paar junge Mädchen bringen Männer um. Der utopische Aspekt des Films und nicht der Geschichte entzieht die Handlung der augenblicklichen Emanzipationsdiskussion, die in ihrem gegenwärtigen Vokabular nur eine der Männerwelt sein kann. Der Emanzipationsgedanke ist verbal im Film nicht enthalten, er findet in ihm statt. Er findet sich beispielsweise in der Unterdrückung des Publikums, speziell des männlichen. Dies sieht sich einer Reihe von hübschen Mädchen gegenübergestellt, ohne daß es je die vertraute Atmosphäre von Erotik zu spüren bekommt. Kein Held bietet sich ihm zur Identifikation an, der seine Interessen wahrnehmen könnte. Es wird ignoriert, und es ist gleichzeitig glücklich darüber, da es vom Gang der Geschichte her weiß, daß jede Aufmerksamkeit, die ihm gezollt wird, nur in den Tod führen kann. Die Emanzipation dieser Mädchen liegt weniger in ihren Taten als darin, daß sie zu ihrer Rechtfertigung keine Dogmen und Theorien bereithalten, daß sie, wie auch Valerie Solanas in ihrem SCUM Manifest (März Verlag), sich männlicher Logik und männlichen Begriffssystemen verschließen. Doch während Valerie Solanas diesen Rahmen benützt, um ihn dann von innen her zu torpedieren (man kann auch sagen sich "weiblich" in ihm verhält), lösen sich diese Mädchen nie von ihrer Erfahrung, abstrahieren sie nie zur Theorie, klingen ihre Motivationen subjektiv unverbindlich wie Tagebucheintragungen. So ist es auch kein Zufall, daß alle männlichen Aspekte der Geschichte, wie kriminalistische Nachforschungen, Verfolgungen und Verhöre, Taktik und Strategie, aus diesem Film ausgeklammert sind. Ungehindert gelingt es einem Mädchen, von der Stachusbrücke zu schießen. Unberührt bleiben Taxifahrer nach einem anderen Schuß in ihren Wagen sitzen. Diffamierend ließe sich sagen, dieser Film spiegele weibliches Wunschdenken und Unlogik. Doch wir haben gelernt, die Diffamierung als Waffe zu benützen. So läßt sich mit gleichem Recht sagen, dieser Film ist Bestandteil einer sich entwickelnden weiblichen Gegenkultur. Ein Gespräch zwischen Thomas und Isolde. T.: Wie beurteilst du meine Oberlebenschance? - Ein Tag? Zwei Tage? Oder soll es schon heute nacht geschehen? I.: Frag doch Peggy. T.: Am besten fangen wir mit deinem Lebenslauf an. Elternhaus, Schule, erste sexuelle Erfahrungen, allein, zu zweit, zu dritt und so weiter. - Was ist mit euch los, verdammt nochmal. .I.: Wir bringen Männer um. T.: Das ist mir klar. I.: Es ist klar. Es gibt nicht viel zu erzählen. Vor einem halben Jahr hat Sylvie ihren Verlobten umgebracht. Sie war eifersüchtig. Er hat mit anderen geschlafen. Einmal hat sie die Wut gepackt. Da hat sie ihn vom Balkon gestoßen. Wir fanden das alle eigentlich richtig. Wir erzählten der Polizei eine wunderschöne Selbstmord-Story. Sie haben sie uns sogar abgenommen. Da fanden wir, man sollte eigentlich so weitermachen. Vor allem Peggy. Sie hat uns aktiviert. So hat es angefangen. Zuerst war alles ziemlich planlos. T.: Du hast Männer umgebracht? I.: Ja. schließlich haben sie es verdient. - Später haben wir Regeln aufgestellt. Keine von uns darf länger als fünf Tage mit dem gleichen Mann gehen. Nach fünf Tagen muß er tot sein. Sonst wird es zu gefährlich. Man verliebt sich oder noch schlimmer. Du verstehst, es darf kein Gefühl dabei sein. Wir machen das nicht aus Spaß. T.: Ich bin eine Woche hier. I.: Ja eben. Peggy kann sich mehr erlauben als ich. Ich finde das ungerecht. Aber so geht es mir immer. Als Howard nach fünf Tagen noch am Leben war, haben sie ein großes Theater aufgeführt. T.: Du hast dich in Howard verliebt? I.: Nein. Ich hatte Mitleid mit ihm. Er war so lustig. Ich halte es nicht mehr durch. Wahrscheinlich bin ich zu sentimental. T.: Wie viele sind es? I.: Zwanzig oder dreißig. T.: Ihr habt euch viel vorgenommen. I.: Vielleicht kommt irgendwann eine Zeit, in der wir's wieder mal versuchen können miteinander. Aber dazu müssen sich die Männer ändern. Oder wir müssen uns ändern. Vielleicht bringen wir etwas in Gang. Einmal wird zum Rondo der Nice getanzt, es wird getrunken, gelacht, im Hintergrund wird ein joint geraucht. Thomas liegt auf dem Bett und soll von den Mädchen ausgezogen werden. Er glaubt zu wissen, was ihm bevorsteht und versucht doch nicht zu fliehen. Er ziert sich ein wenig. Er schwankt zwischen Angst und Faszination. Der Kampf um die Kleidungsstücke gleicht weniger einem Todeskampf als einer unschuldigen Rangelei unter Kindern. Zum ersten Mal ist so etwas wie Vergnügen und Erotik zu spüren. Das ist dann der Fall, als Thomas an der Reihe ist, als er umgebracht werden soll. Rote Sonne ist nicht zuletzt ein Film über den Todestrieb, ein Film von einem Mann über Wunschvorstellungen des Mannes. Liebe ist nur im Zusammenhang mit Tod vorstellbar, sie erfüllt sich erst durch ihn. Das erklärt auch die Bereitwilligkeit, mit der all die Männer ohne sich zu wehren in den Tod wandern, weniger über ihn selbst überrascht als über den etwas unvermuteten Augenblick. "Ich mußte nur ein wenig nachhelfen", sagt Sylvie über ihren Mustangfahrer, der, als er ihr folgen wollte, in die Isar fiel. Das erklärt auch, warum der einzige, der den Kampf gegen die Mädchen aufnimmt, einem ausgewachsenen Muttersöhnchen gleicht, von dem Thomas sagt, er habe eine negative Ausstrahlung. Auch die Liebesbeziehung zwischen Peggy und Thomas, die hinter dem spröden Wortwechsel nur zu ahnen war, wird erst offensichtlich, als sie sich am Ufer des Starnberger Sees mit Pistolen gegenüberstehen. Während des Schußwechsels zeigt sich bei ihnen zum ersten Mal Solidarität und Zärtlichkeit. In diesen letzten Bildern verschmelzen Gewalt und Friede, Liebe und Tod, das Rot des Blutes und das Rot der Sonne. Der Friede, der den Tod überlagert, ist nicht der von melodramatischen Filmen, in denen sich die Hände der Sterbenden in einer abschließenden Großaufnahme noch einmal berühren. Im Gegenteil, die beiden legen sich getrennt nebeneinander, als hätten sie sich nicht soeben getötet, sondern miteinander geschlafen. Liebe siegt nicht über den Tod, sie ist der Tod. Eine idyllische, morgendliche Seelandschaft mit einem verlassenen VW. Schließlich kriecht Thomas aus dem Buschwerk und bleibt an dessen Rande liegen. Er blutet aus mehreren Wunden. Aber er läßt sich nicht unterkriegen. Er sieht sich um. Er lauscht. Stille. Thomas (ruft): Peggy! Keine Antwort. Thomas steht mühsam auf und geht mit unsicheren Schritten zum VW. In unmittelbarer Nähe des VW liegt Peggy auf dem Rücken. Ihr Kleid ist rot von Blut. Sie hat die Augen geöffnet und sieht Thomas entgegen, als hätte sie ihn erwartet. Ihre Pistole ist nicht zu sehen. Thomas geht langsam zu ihr hin, ohne die Pistole schußbereit zu halten. Er kniet bei ihr nieder. Thomas (sanft): Alles okay? Peggy lächelt und nickt matt. Thomas gibt ihr einen kleinen kameradschaftlichen Schlag auf die Schulter. Peggy schließt die Augen, atmet aber noch. Sie sieht zufrieden aus. Thomas steht wieder auf, was ihm schwer fällt. Er kann jetzt kaum noch gehen. Er geht etwa zehn Schritte aufs Wasser zu, dann setzt er sich. Er ist jetzt mit sich selbst beschäftigt. Rot geht am Horizont die Sonne auf. Thomas sieht noch einmal zu Peggy, die sich nicht mehr rührt. Dann streckt er sich auf den Steinen aus, als wollte er sich zum Schlafen legen.



SCHEHERAZADE MUSS STERBEN

Enno Patalas
Filmkritik
1/70
In allen langen Filmen, die Max Zihlmann geschrieben hat, gibt es Szenen am Wasser. Unvermischt und rein tritt das Flüssige in Erscheinung, nicht im Übergang in andere Aggregatszustände, nicht als Sumpf, Nebel, Regen oder Schnee, nicht versöhnt mit dem Festen oder der Luft. Wasser reimt sich bei Zihlmann auf Sehnsucht und auf Tod. In 48 Stunden bis Acapulco stirbt Frank Murnau am Strand des Karibischen Meeres, wohin seine Jagd nach Geld und Liebe ihn geführt hat. (Murnau: Die Einstellungen, in denen die Kamera die Oberfläche des Wassers streift. Übers Wasser kommt Nosferatu, der Vampir. Der Sturm auf dem See in Sunrise. Die Südsee in Tabu.) In Rote Sonne sterben Thomas und Peggy am Starnberger See. Sie hat man in einer frühen Szene des Films an derselben Stelle einen Spaziergang machen sehen. Es ist eine sehr lange Einstellung früh am Morgen, und die glitzrig bewegte Oberfläche des Sees ist hinter ihnen aufgezogen wie in einer der unwahrscheinlichen Rückprojektionen bei Hitchcock. In den Filmen von Klaus Lemke sieht man das Karibische und das Mittelmeer. In den Filmen von Rudolf Thome sieht man nur den Schliersee und den Starnberger See. Aber auch in Detektive und Rote Sonne steckt die Sehnsucht nach dem Horizont - Augensehnsucht - , nur geronnen. In ihnen ist die Ferne Synonym für Tod von vornherein. Wenn davon die Rede ist, einer sei nach Kanada abgeflogen oder nach Tokio, oder jemand habe eine Karte aus Casablanca geschrieben, oder jemand macht Pläne für eine Reise nach Marokko (was immer wie ,"Morocco" ausgesprochen wird), dann heißt das immer: er ist tot oder wird bald sterben. Die Filme von Zihlmann und seinen Freunden sind keine Filme über den Tod (sie sind überhaupt keine Filme über), aber in ihnen steckt die Erkenntnis Cocteaus, daß Filmen heißt, den Tod bei der Arbeit zu zeigen. Es wird nicht gestorben in diesen Filmen, sondern getötet. Der Tod: das ist die Regel, das Gesetz, das Wort, die Erzählung. Es ist aber auch der Verstoß, die Wortlosigkeit, die erkannte Unmöglichkeit zu erzählen. Thomas: "Wer Märchen erzählt, lebt länger." Aber die Geschichte, die er wußte, ist ihm entfallen. In Detektive gibt es die Gestalt des alten Krüger, den Wolf Rilla spielt, ein würdiger alter Herr mit weißem Haar, dessen schwarze Wurzeln herausschauen wie der Pferdefuß. Krügers erster Auftritt in seiner Villa läßt gleich an Gottvater denken. Und dann spricht er auch noch davon, daß er seinen Sohn vor einem Jahr durch einen tödlichen Unfall verloren habe, weshalb ihn nun die Macht nicht mehr reize! Aber diese Abwendung von allem Irdischen ist nur gespielt. Dieser Gott ist ein eifersüchtiger Gott. Er wird verzehrt von dem Verlangen nach einem neuen Sohn, in dem er weiterleben kann. Deshalb will Krüger das uneheliche Kind, dem er keine Beachtung schenkte, solange das eheliche noch lebte, in seinen Besitz bringen. Als das Mädchen Annabella den Alten zum ersten Mal halbverdeckt hinter einem Fenster im oberen Stock seiner Villa stehen sieht, erschrickt sie: "Das hab ich letzte Nacht geträumt." Als Krüger später meint, sie würde ihn an ein anderes Mädchen erinnern, mutmaßt sie sofort: "Ihre Tochter?" Dasselbe Mädchen ist es dann auch, das Krügers väterlich gemeintes Lächeln mit dem eines Vampirs vergleicht. Krüger, der archetypische Vater, der Gott, der Vampir, ist auch der Autor der Geschichte, die Detektive - nein, nicht erzählt, das eben nicht, sondern deren Aufdeckung und Zerstörung der Film zeigt. Was den Figuren des Films und dem Zuschauer lange Zeit als ein Drama erscheint, in dem es auf autonome Handlungen und Reaktionen ankommt, ist von ihm vorgeplant und kalkuliert. Worauf es ankommt, ist das Erkennen der Prozesse, in die man selbst eingespannt ist, ohne daß man es merkt. Daß man an sich selbst und seiner Umgebung die Zeichen der fremden Gesetze wahrnimmt, denen man gehorcht. Keines der Paare, die sich im Verlauf eines dieser Filme zusammenfindet, hält bis zum Schluß. Das Merkwürdige ist: man registriert es ohne Bedauern. Oder vielmehr: man registriert es kaum mehr. In Detektive wechseln die Gruppierungen so oft und so rapid, und man hat an dem Wechsel seinen Spaß, daß man am Ende keine Sehnsucht mehr hat nach festgefügten Verhältnissen. Und in Rote Sonne sieht man - vice versa - die Schwierigkeiten, die der Auflösung des Paares als Form, als Gesetz entgegenstehen. Zuerst haben die Mädchen spontan reagiert auf männliche Überheblichkeit. Ihr erster Toter ergab sich, als Sylvie ihren treulosen Verlobten vom Balkon stieß. Dann fanden die Mädchen: er hatte es verdient. Dann begannen sie, die systematische Zerstörung jeder Bindung an einen Mann, die sie eingehen würden, zu planen. Länger als fünf Tage sollte keine Beziehung zu einem Mann dauern. "Nach fünf Tagen muß er tot sein", sagt Isolde. Sie erzählt Thomas die Geschichte ihres Komplotts. Auch diesmal ist es nicht der Film, der die Geschichte erzählt, um die es geht - er zeigt wiederum nur ihre Aufdeckung (keine detektivische: das wäre ja wiederum Erzählung) und Zerstörung. Rote Sonne läuft, wie Detektive, gegenläufig zur Erzählung ab, die zugrundeliegt. Zihlmanns Filme sind gegen das Gesetz gemacht. Sie fingieren sich selbst nicht als autonome Werke. Was in vielen modernen Filmen koketter Schlenker ist, die Offenbarung des "Gemachten", das ist in ihnen ganz in die Gestalt eingegangen - sie sind die Darstellung ihres eigenen Funktionierens. Wie der Film gemacht ist und wie er gesehen werden will, das zeigt er selbst. Die Teams - das der Detektive samt ihren Mädchen und das der mörderischen Freundinnen - entsprechen dem Aufnahmeteam eines "kleinen" Films. Zeit der Handlung ist die Drehzeit. Die Bewegungen im Film sind Kamerabewegungen: Fahrten, Schwenks. Wovon auch immer die Rede ist - von Geldproblemen, von handwerklichen Fähigkeiten, von Publicity oder Mode -, immer ist damit auch schon vom Film die Rede. Viele Szenen sind so gebaut, daß das "Team im Film" gegenüber einem Objekt eine Haltung einnimmt, die der eines Aufnahmeteams entspricht (in Rote Sonne beispielsweise die Szene mit der Versuchsexplosion). Beobachten, das Lesen von Zeichen: immer wieder sind die Personen des Films dabei zu sehen, wird der Zuschauer dazu angehalten. Die Perspektive der Kamera ist immer die eines aufmerksamen Beobachters der Szene. Die Einstellungsart bestimmt sich nach dem Grad der Aufmerksamkeit, die der Gegenstand erfordert. Jedem Vorgang wird seine natürliche Dauer belassen. Auch das bedeutet nichts anderes, als daß der Film dem Zuschauer nichts erzählt. Die "Sprache" Zihlmanns und Thomes funktioniert nicht syntaktisch. Eine Großaufnahme von Gaby Go oder Sylvia Kékulé in Rote Sonne ist kein Ausrufezeichen, sondern ein Blick durch ein Vergrößerungsglas; keine Überblendung sagt "Stunden später" oder "vor ein paar Monaten"; es gibt kein "und dann" oder "daraufhin". Nicht Schlüsse, sondern Analogien führen diese Filme vor - wie diejenigen Bunuels, Hitchcocks und die neueren Bergmans. Jene Traditionen des Denkens und des Erzählens, mit denen Godard sich so verbissen herumschlägt (und denen unsere "engagierten" Filmer kritiklos anhängen)-Zihlmann und Thome haben ihnen wirklich und radikal den Rücken zugekehrt. Auch darin leisten ihre Filme dem Gesetz Widerstand, daß sie keine Autorenfilme sind. Nicht Ausdruck der souveränen bürgerlichen Persönlichkeit ist ihr Ziel, sondern größtmögliche Anonymität und "Parteinahme für die Objekte". Nicht "Kino der Autoren", sondern Kino tout court. Zihlmann schreibt Drehbücher und Dialoge. Thome führt Regie, ohne am Text mehr zu ändern als der Atem eines Schauspielers verlangt. Wie sich im vorgegebenen Rahmen die Freiheit der Schauspieler realisiert, das sieht und hört, wer in Rote Sonne Marquard Bohm, Gaby Go, Sylvia Kékulé und Uschi Obermeier sieht und hört: wie sie sprechen, sich bewegen, tanzen. "Um Kino zu machen genügt es, freie Menschen zu filmen." Zihlmanns Filme streben nicht zurück hinter die kollektiven Formen kapitalistischer Produktion zu den handwerklichen der autonomen künstlerischen Werke. Vielmehr treiben die Entwicklung überkommener Formen ein Stückchen weiter ihrer selbsttätigen Zerstörung entgegen.



MITLEID MIT DEN MÄNNERN

Frieda Graefe
Süddeutsche Zeitung
27.2.71
Thomes Film "Rote Sonne" im Münchner ABC Panische Angst angesichts junger Mädchen, Proust-Leser werden sich erinnern: dem Erzähler der "Suche nach der verlorenen Zeit" macht sie zu schaffen. Wer amerikanische Filme kennt, vergißt die Gesichter der verhängnisvoll bösen Weiber nicht - Stanwyck, Crawford, Hayworth -, denen man nie weiter als bis vor die Stirn schauen kann. Thomes Mädchen haben von beiden etwas, das macht sie reizvoll und auch ein wenig neu: Wir bringen Männer um. Schließlich haben sie es verdient. Keine von uns darf länger als fünf Tage mit einem Mann gehen, dann muß er tot sein. Wir machen das nicht aus Spaß. Und das alles spielt in München und Umgebung. Man kennt jede Straße, jedes Haus, jedes Café. Außen kennt man alles. Drinnen, in der Wohnung der Sirenen, der Spinnen, herrschen andere Gesetze. Uni eingefärbte Wände, assortierte Bettwäsche, der Tag wird zur Nacht, Vorhänge halten das Licht draußen, am Abend frühstückt man und sagt Guten Morgen. Man erwarte keinen Emanzipationsfilm. Die Mädchen haben keine Theorien für ein besseres Leben der Frauen. Sie handeln so gut sie können. Sie spüren, es sollte sich was ändern. Sie versuchen, einen Anfang zu machen. Sie haben keine Botschaft zu vermitteln, nichts Neues zu bieten, sie verschieben nur Bekanntes. Sie übernehmen Männerrollen: sie fesseln, sie schießen, sie machen sich stur Prinzipien. Das führt dann zu bekannten Krimiszenen: die Gangster, die endlich ihre aussichtslose Lage begriffen haben, lassen alle Vorsicht fahren und ballern wild um sich herum. Schließlich muß das Gros der Personen zum Schluß tot sein, damit der Film im Sinn der Geschichte, daß das Verbrechen sich nicht auszahlt, enden kann. Hier sind es nun drei deutsche Taxis und drei Mädchen. Umgelegt wird die, die das Unternehmen gefährdete. Sie hatte Mitleid mit den Männern. Das klingt hart und malt die Zukunft der Männer in düsteren Farben. So scheint es nur. Genau besehen ist dieser Film ein reiner Männertraum. Die Spielregeln der Mädchen sind keine Gesetze. Die Mädchen schlafen wahllos mit Männern, aber sie glauben an die große Liebe. Und die beschreibt der Film. Die Mädchen Männer spielen zu lassen, ist ein rührender Trick wie Kinder, die im Dunkeln singen. Das Unbekannte wird domestiziert, indem es zum Gleichen gemacht wird. Dabei wäre es anders herum viel einfacher: man müßte sich nur entschließen mit der Verschiedenheit zu leben. Aber das ist ein trivialer Vorschlag, weil er genau das tut, was der Film nicht will, Lebensregeln geben. Er spielt an der Stelle, wo Realität und Fiktion sich vermischen; er zeigt, wie sie zusammenhängen und voneinander leben. Gerade deshalb auch die entschiedene Markierung von Innen und Außen. Und nochmal: der Film ist ein Traum, und Träume "denken nicht, rechnen nicht, urteilen überhaupt nicht, sie beschränken sich darauf umzuformen". Ein Teil der Geschichte des Films, das Komplott der Mädchen, demonstriert überdreht, die Willkürlichkeit klassisch realistischer Geschichten, die nur eins im Kopf haben, so zu erscheinen wie die Realität. Der Film macht immer wieder Anläufe, so Geschichten zu erzählen ("Am besten fangen wir mal mit deinem Lebenslauf an"). Aber es bleiben Anläufe, denen gleich die Feststellung folgt, alles sei klar, folglich gäbe es nichts zu erzählen. Denen, die dem Film vorwerfen, daß er ein Nichts sei, ist entgangen, daß er ein inszenierter Fehlschlag ist, der sich zusammensetzt aus vielen kleinen Unternehmen, die alle zu nichts führen. Es bleibt kein Mehrwert. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß bei der Generalprobe, einmal, ein von den Mädchen fabrizierter Sprengkörper tatsächlich explodiert. Eben, es knallt zur Unzeit. Als Warnung? Diese Gangstermädchen sind zu gleichen Teilen Prousts gackernde, kichernde Mädchen, steif und absolut in ihren Forderungen, noch nicht weich und nachsichtig gemacht durch Erfahrung, nicht bereit, Dinge zu verbrämen. Mit schönen Geschichten: "Ich weiß eine schöne Geschichte, aber sie fällt mir im Augenblick nicht ein." Filme, die Geschichten erzählen, leben leichter, weil sie vertuschen, durch Kontinuität, daß sie anders sind als das Leben. In diesem Film sterben alle daran, daß sie die Geschichten satthaben und das Leben wollen. Dennoch: der Film erzählt seine Geschichte, um den unausweichlichen Moment hinauszuzögern, in dem man sich mit einer Realität abgeben muß, die man nicht will, so wie sie ist. Wenn Frauen über Filme schreiben, die Männer über Frauen machen, sollte man dem Geschriebenen so wenig trauen wie dem Gefilmten - je nachdem, ob man Mann oder Frau ist.



ROTE SONNE

rororo
Filmlexikon (1977)
Die vier langen Spielfilme, die Thome ab 1968 drehte, sind die perfektionierte Fortsetzung seiner Kurzfilme und der Höhepunkt in seinem Werk. Sie sind Kino in einem emphatischen Sinn wie sonst fast nichts in Deutschland nach dem Krieg. Zu allen schrieb Max Zihlmann das Drehbuch, der schon bei dreien der Kurzfilme mitarbeitete. Detektive (1968) und Fremde Stadt (1972) sind Kriminalfilme in Schwarzweiß, Supergirl (1971) ist ein Science-fiction-Film in Farbe. Dazwischen kam noch Rote Sonne (1969), ebenfalls in Farbe, einer der besten deutschen Filme seit Beginn der Tonfilmzeit. Die Geschichten, die in diesen vier Filmen erzählt werden, sind richtige Kinogeschichten und von einer großen, gleichmäßigen Genauigkeit in ihrem Ablauf; deswegen gibt es auch keine "Höhepunkte": Versatzstücke und Kulminationspunkte erhalten die gleiche wie beiläufige Aufmerksamkeit, die Filme sind extrem unterkühlt. Zihlmanns Dialoge sind pointiert knapp und voll von trockenem Witz. Die Bewegungen der Darsteller und der Kamera sind möglichst einfach; die Kameraführung ist von einer absoluten Funktionalität. Die Darsteller gehen eher als sie selbst durch die Filme, als daß sie "spielen". Alle Vorgänge behalten ihre natürliche Dauer. Die Figuren sind richtige Kinofiguren, die nur auf der Leinwand existieren; sie bieten jedoch ob ihrer sparsamen Motivation kaum Identifikationsmöglichkeiten. Das alles macht das eigenartige Understatement der Thome-Filme aus. Es gibt in ihnen keine "tieferen Bedeutungen", und doch bieten diese Filme an praktischer Erfahrung für den Zuschauer mehr als viele bemühte, sich politisch gerierende.



ROTE SONNE

Ch. Terhechte
Die Tageszeitung
17.5.85
Die Thome-Biographie liest sich aufregend. Anfang der 60er Jahre als Filmkritiker angefangen, unterstützte er und ein paar andere, die sich später als "Neue Münchner Gruppe" einen Namen machten, eine Art Kino, wie es in der Bundesrepublik keiner haben wollte. Die Überreste deutscher Nazikultur hatten aus der Nazizeit nicht viel mehr herübergerettet, als die Fähigkeit, Komödien mit Heiz Rühmann zu inszenieren, und der "Neue deutsche Film" ließ schon erahnen, was einmal daraus werden sollte: eine steife Kinokultur mit überzogenem künstlerischen Anspruch, der filmisch nie eingelöst wurde. Von den - sicher zahlreichen - Ausnahmen einmal abgesehen. Dem deutschen Kino gab "Oberhausen" jedoch keine wirksamen Impulse. Leute wie Carl Schenkel ("Abwärts") oder Peter Keglevic ("Der Bulle und das Mädchen"), der ja eigentlich Österreicher ist, stehen heute, über zwanzig Jahre später, immer noch am Anfang. Oder sie orientieren sich wie Roland Emmerich, der zur Zeit an einer Art "Begegnung der Dritten Art" mit dem Titel "Joey" arbeitet, an Hollywood. Thome, Klaus Lemke, später Roland Klick und noch einige andere, wollten Aufbauarbeit leisten. Der französische Film erlebte, ausgehend von der "nouvelle vague" damals einen ungeheuren Aufschwung, und die Münchner träumten wohl auch davon, Godardsches Kino zu machen. Die Deutschen zogen nicht mit, und so sind von ihren Anstrengungen lediglich ein paar irrwitzige Versuche übriggeblieben, die unter oft abenteuerlichen Bedingungen zustande kamen. "Rote Sonne" ist einer davon, vielleicht der aufregendste. Es ist ein irrer Alptraum. Schon der Anfang balanciert auf der schwindelnden Kante zwischen Realität und Verrücktheit. Marquard Bohm als lotterhafter Thomas steigt aus einem dicken Wagen, der ihn nach München mitgenommen hat, macht ein paar unverschämte Bemerkungen und benimmt sich, als müsse er jetzt schon die Angst vor dem verbergen, was da kommen wird. So geht es eigentlich dem ganzen Film. Seine Geschichte ist so überzogen, so vorlaut, daß man denkt, da schreit einer laut, um seine Angst nicht zeigen zu müssen. Für Rudolf Thome wars wohl die Angst vor der Frauenbewegung, die den Männern an den Schwanz wollte.(Da muß der Arme irgendetwas falsch verstanden haben...d.S-in) Und er hat sie durch die Angst vor der femme fatale kaschiert. Das ist in diesem Fall Uschi Obermeier, eine von vier Frauen, die sich gegen die Männergesellschaft wehren, ganz ohne Ideologie, aber schwer bewaffnet. Nicht, daß sie die Männer auf Distanz hielten, aber wenn sie einmal dran sind, geht es ihnen schlecht. Fünf Tage Zeit hat jede der kurzen Beziehungen, dann wird das männliche Wesen liquidiert. "Schließlich haben sie es verdient...wir machen das nicht aus Spaß". Die Männer begreifen das nicht. "Was soll der Unsinn?", murmelt eines der Opfer kurz vor dem Ableben. Thomas ist allerdings ein etwas cleverer Typ, um nicht zu merken, was gespielt wird. Peggy (Uschi Obermeier) tut alles, um ihm das Schicksal der anderen zu ersparen und ihn vor der Fünftagesfrist loszuwerden. Er jedoch stellt sie auf die Probe. Das Finale ist der bloße Wahnsinn., King Vidor kann da mit seinem technicolorbunten Geschmacklosigkeiten nicht mithalten. Thome läßt die Kanonen sprechen, dran glauben müssen beide. Und die rote Sonne sinkt in den Starnberger See.



DAS KINO ALS MÖGLICHE UTOPIE
Das erste Meisterwerk des jungen deutschen Films

Reinhard Jud
Der Standart Wien
12.4.1990
Die Verkrampftheit des deutschen Autorenfilms überwand Rudolf Thome bereits Anfang der 60er Jahre. Anstatt nach bewährtem sozio-politischen Muster die Verhältnisse zu kritisieren, schuf er utopische Gegenentwürfe, zeigt er die Welt von jungen Menschen, die sorglos in den Tag hinein leben. Unbelastet vom Gestern und Morgen schienen die Helden von Thomes Kurzfilmen, vor allem von Jane erschießt John, weil er sie mit Anne betrügt, wie aus dem Nichts entstiegen, bewußt flach und trivial, ausschließlich für den Augenblick ihrer Präsenz auf der Leinwand beseelt. Sie agierten als Personal einer von Sex und Konsum bewegten Gegenkultur, als Projektion eines Regisseurs, der mitten in der filmischen Provinz - Deutschland, Bayern, München - eine anmaßende Synthese aus Howard Hawks und Jean-Luc Godard, plakativem Hollywoodkino und authentischer Nouvelle Vague vollführte. Namhafte Mitverfechter dieses ästhetischen Konzepts, des sogenannten "Sensibilismus" waren der Regisseur Klaus Lemke, der Kameramann Nikolaus Schilling und der Drehbuchautor Max Zihlmann. Zihlmann sollte mit Thome 1969, am Höhepunkt der APO- und Kommunenkultur, das erste Meisterwerk des "Jungen deutschen Films" gestalten: Rote Sonne. Rote Sonne läßt sich als Endprodukt einer ganzen Serie von glücklichen Konstellationen bezeichnen. Der Autor griff heißdiskutierte Thesen aus dem SCUM-(Society for Cutting Up Men)-Manifest der radikalen Feministin und Warhol-Attentäterin Valerie Solanas aus. Als Darsteller brilierten zwei Superstars des bundesdeutschen Underground - Uschi Obermeier, berüchtigt für ihre Mitgliedschaft in der Revoluzzer-Vereinigung K1 und K2, berühmt als freizügiges Model für Poster-Motive, und Marquard Bohm, als gutaussehender Lebemann und Aushängeschild des damaligen Jungfilms. Mit der für Thome so typischen Pose der Figur, die aus dem Nichts kam, landet Bohm in einer Münchner Frauenkommune, verliebt sich in Uschi Obermeier, und sieht sich bald mit der grausamen Regel im Haushalt der vier Frauen konfrontiert: Keine von ihnen darf länger als fünf Tage mit einem Mann zusammenbleiben, Liebhaber, die dauerhaftere Beziehungen beabsichtigen, werden nach Ablauf der Frist getötet. Ausnahmen gelten für keinerlei Kategorien, nicht für verständige Hippies, Dollar-Millionäre und brave Angestellte, auch nicht für den Abenteurer und Romantiker, den Bohm spielt. Am Ende wird die von Thome und Zihlmann sehr locker und lakonisch beobachtete sozialen Gegenwelt in einem Akt der absoluten Übersteigerung von einer filmischen Utopie überholt: In einer unwirklichen Kulisse - vor der glitzernden Oberfläche des Starnberger Sees, unter roter Sonne - treten Obermeier und Bohm zum tödlichen Duell an. Männer, Frauen, Pistolen, Liebe und Tod, alles, was den trivialen Film in seiner Essenz definiert, wird hier noch einmal von einem begabten Team in neuem, zeitgenössischen Kontext zitiert. Thome und Zihlmann entwickelten Rote Sonne auch als Beispiel für ein mögliches Massenkino. Damit aber scheiterten sie aber.



MIT CHIRURGISCHEM BLICK
Thomes Rote Sonne im Filmcasino

Stefan Grissemann
Die Presse, Wien
14.4.90
Die extreme Ökonomie der Darstellungsmittel sichert die Klarheit des Films. Schauplätze werden in knappen Kamerabewegungen vermessen, die Wände der Räume sind monochrome Flächen, vor deren Sterilität die Handlungen ablaufen: kühl stilisierter Dialogabtausch, Alltäglichkeiten, lakonischer Witz. Rudolf Thomes "Rote Sonne" (1969), eine der wesentlichsten und schönsten Arbeiten des gesamten deutschen Kinos, wagt sich in Grenzgebiete des Naturalismus, der blanken Abbildung von - fiktiven - Menschen, Räumen und Handgriffen. Eine Wohngemeinschaft des Jahres 1969 in München, vier Mädchen bewohnen sie. Es gibt nur eine einzige narrative Künstlichkeit: Die Frauen sind Killer, sie töten ihre Liebhaber, sobald sie länger als fünf Tage bei ihnen sind, um potentiellen Abhängigkeiten entgegenzuwirken. Dieser einfache Kunstgriff erlaubt es, dem Film all das einzuschreiben, was er dekonstruieren, analysieren will: Kino-Verbrechen, Melodram, Liebe und Tod, Paradoxien, die die Geschichte vorantreiben und ihre Eigenheiten festsetzen. Regisseur Rudolf Thome vergewaltigt sein Material nicht, er gesteht ihm präzise jenes Quantum an Raum und Zeit zu, das es zum Funktionieren benötigt. In nicht geringem Maß ist "Rote Sonne" ein spannender Film, auf grundlegend andere Weise allerdings als übliche Kinoware. Bei Thome resultiert Spannung aus der klinischen Reinheit seiner Konstruktionsmuster, aus dem abwartenden Betrachten der Dinge und Figuren. Auf diese Weise verfährt er mit allen kinematographischen Einzelteilen. Indem er sich fragt, was ein Melodram ausmacht, stellt er eines her; versucht er, einen Showdown zu arrangieren, so tut er es möglichst durchschaubar, die Mechanismen der Kino-Konvention durchleuchtend. Die Elemente des abschließenden Duells werden - wie von Kinderhand - naiv, fast ungeschickt aneinandergeklebt: Zwei Personen, wilde Natur um sie herum, Waffen, ein Konflikt, der nur durch den Tod zu lösen ist. Das Resultat ist geistig bearbeiteter Hollywood-Rohstoff unter radikalem Abzug jeglicher visueller Überwältigungsstrategie; keine undurchsichtigen Montagetricks, keine große Dynamik, keine Voyeursbefriedigung. Was übrig bleibt, ist das dürre Klicken der Pistolen und das nüchterne Hinnehmen des Zusammenbruchs, des Sterbens. Daß die Gegner nebenbei Liebende sind, addiert den Geschmack des Melodramatischen hinzu. "Rote Sonne" summiert das Kino, seine Gewohnheiten und seine Genres durch dezidierte Reduktion aller verwendeten Bausteine. Die mutige Simplizität der Arbeit zeigt sich letztlich auch in der Zeichnung der Helden - Uschi Obermeier und Marquard Bohm sind - wie alles andere auch - perfekte Abstraktionen: keine Filmstars, vielmehr Verkörperungen des Begriffs "Filmstar". Ihre Kinopräsenz verweist auf Mythologie und Wirkung des Hollywood-Starsystems, auf die optischen und inszenatorischen Konzepte zur Herstellung der Kunstfiguren "unterkühlter, aber tiefgründiger Abenteurer" und "Femme fatale".

Rote Sonne
von Rudolf Thome (Deutschland 1970)

Text vom 14.8.2007
zur Ausstrahlung
auf Arte
Die neuzeitlichen Töchter der Sirenen leben in Schwabing: Vier Frauen in einer Münchner Altbauwohnung teilen ein Geheimnis – hat eine von ihnen einen Liebhaber, so muss dieser nach fünf Tagen getötet werden.
Viel mehr als diese reißerische Prämisse brauchte Regisseur Rudolf Thome nicht, um mit "Rote Sonne" eine faszinierende Spätsechziger-Fantasie zu entwerfen, die schwerelos zwischen Novelle Vague- Reminiszenz und Popart-Theaterlaienspiel oszilliert. Für das Minimum an Plot in dem hochstilisierten Reigen sorgen derweil Sixties-Ikone Uschi Obermaier als verführerische Kommunardin Peggy und der unverwechselbare Marquard Bohm in der Rolle des designierten Liebesopfers Thomas. Und nicht nur weil der im vergangenen Jahr verstorbene Schauspieler mit dem markanten Gesicht den spröden Sex-Appeal eines hanseatischen Jean-Paul Belmondo verströmt, gemahnt die amour fou im bayerischen Szenemilieu in manchen Momenten an Godards "Außer Atem".
Wie dort ist auch hier der Tod ständiger Begleiter eines unmöglichen Liebespaars, dessen Beziehung nicht anders als tragisch enden darf. Wenn bei Thome schließlich die titelgebende Sonne über den Starnberger See scheint, verwischen endgültig die ohnehin fließenden Grenzen zwischen schwelgendem Kitsch und ironischer Künstlichkeit.
Mit seinen hochstilisierten Vignetten, gebrochenen Genrezitaten und dem ungebremsten Stilwillen bleibt Thomes Film aus dem Jahr 1969 bis heute eine aufregende Episode in der deutschen Filmgeschichte. Zudem zeichnet er bei aller artifiziellen Entrücktheit ein beunruhigend treffendes Phantombild des "Sommers der Liebe": Symbolisch wird noch einmal vorgeführt, wie strukturelle und physische Gewalt das schockierende Ende aller Hippieträumen bedeutete und sich das vormals sonnengelbe Glück blutrot färbte.